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# taz.de -- Debatte um den Paragrafen 219a: Neue Ermittlungen gegen Ärzt*innen
> Nach einer Solidaritätsbekundung in der taz für das Recht auf Information
> über Abtreibungen wurden mehrere Mediziner*innen angezeigt.
Bild: Weg mit § 219a: Gute Beratung ist für die Patientinnen wichtig
Berlin taz | Gegen mindestens drei Ärzt*innen laufen Ermittlungsverfahren
nach einer Solidaritätsbekundung mit einer Kollegin. Die Mediziner*innen
aus verschiedenen Bundesländern hatten im November gemeinsam mit
Kolleg*innen auf der Titelseite der taz erklärt: „Wir machen
Schwangerschaftsabbrüche“.
Grund für die Aktion war der bevorstehende [1][Prozess gegen die Gießener
Ärztin Kristina Hänel], die auf der Webseite ihrer Praxis angegeben hatte,
dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt – nach Ansicht der
ermittelnden Behörden ein Verstoß gegen den Paragrafen 219a
Strafgesetzbuch, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet.
Die jetzt aus dem selben Grunde angezeigten Ärzt*innen kommen aus Hessen
und Nordrhein-Westfalen. In mindestens einem der Fälle steht hinter der
Anzeige die Initiative „Nie wieder“ um den Abtreibungsgegner Klaus Günter
Annen aus Weinheim. Das geht aus einer Vorladung hervor, die der taz
vorliegt.
Es liegt nahe, dass dies auch in den anderen Fällen zutrifft und dass die
Anzeigen sich auf die Erklärung in der taz beziehen. Annen drangsaliert
seit Jahren Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen – nicht
nur mit Anzeigen. Auf den von ihm betriebenen Webseiten babykaust.de und
abtreiber.com listet er diese Ärzt*innen namentlich neben Bildern
zerstückelter Embryonen und nennt sie „Tötungsspezialisten für ungeborene
Kinder“ und [2][Abtreibungen den „neuen Holocaust“].
## Anzeigen auch in Sachsen
Die Anwälte mehrerer der nun Betroffenen haben Akteneinsicht beantragt.
Bislang wollen sich die Angezeigten nicht öffentlich äußern, ihre Namen
liegen der Redaktion vor. Zudem wurde gegen eine weitere Ärztin aus Sachsen
ermittelt. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage des sächsischen
Linkenpolitikers Klaus Bartl an das sächsische Justizministerium vom Ende
des vergangenen Jahres hervor, über die zuerst die Sächsische Zeitung
berichtet hatte. Beide sächsischen Ärztinnen, die sich an der Aktion
beteiligt hatten, geben aber an, bisher keine Nachricht über ein
Ermittlungsverfahren erhalten zu haben.
In der Antwort des sächsischen Justizministeriums heißt es, Mitte Dezember
sei in drei Fällen wegen des Anfangsverdachts des Verstoßes gegen § 219a
StGB ermittelt worden. Bei einem Fall sei der Beschuldigten zur Last gelegt
worden, „sich gemeinsam mit 37 anderen Gynäkologinnen und Gynäkologen in
der ‚Tageszeitung‘ dazu bekannt zu haben, Schwangerschaftsabbrüche
durchzuführen“, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Zur Frage, ob das
Ermittlungsverfahren noch läuft oder inzwischen eingestellt wurde, war die
zuständige Staatsanwaltschaft wegen des Wochenendes bisher nicht zu
erreichen.
Bei den zwei anderen Fällen aus Sachsen geht es um die Webseiten von
Ärzt*innen. Auch in Hessen wird gegen mindestens eine weitere Ärztin und
ihre Kollegin wegen eines Eintrags auf ihrer Website ermittelt. Ihr Anwalt
sagte der taz, er habe Mitte Januar eine umfangreiche Verteidigungsschrift
vorgelegt. Ob die laufenden Ermittlungsverfahren tatsächlich in Anklagen
münden werden, bleibe abzuwarten.
## Empörung bei Politiker*innen
„Mit Entsetzen habe ich gehört, dass Kolleg*innen, die sich öffentlich mit
mir solidarisiert haben, angezeigt worden sind“, sagte Kristina Hänel der
taz. „Gleichzeitig verleugnen selbsternannte ‚Lebensschützer‘ ungestraft
die Leiden der Holocaustopfer. Ich würde mich freuen, wenn wir diese
Doppelmoral endlich zu einem Ende bringen könnten.“
Auch Politiker*innen reagiert empört. „Wenn gegen Ärztinnen und Ärzte, die
sich öffentlich dazu bekennen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche machen,
wegen des Werbeverbots nach § 219a StGB strafrechtliche
Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, dann zeigt dies sehr deutlich,
dass der Bundestag als Gesetzgeber gefragt ist“, sagte Eva Högl,
stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, der taz.
„Ärztinnen und Ärzte können angezeigt werden, weil sie Solidarität mit
einer Kollegin bekunden – das ist ein Skandal“, sagte auch Ulle Schauws,
frauenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion. „Dass das
überhaupt möglich ist, zeigt, dass Paragraf 219a schleunigst aus dem
Strafgesetzbuch gestrichen werden sollte. Es muss um mehr Rechtsklarheit
gehen und nicht um weniger.“
## Initiativen in Bundesrat und Bundestag
SPD, Grüne und Linke im Bundestag wollen den Paragrafen streichen. Sie
sehen darin einen Eingriff in das Recht auf Information und auf freie
Arztwahl der Frauen sowie in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen. Alle drei
Fraktionen haben Gesetzentwürfe beschlossen, die die Streichung des
Paragrafen vorsehen. Darüber soll am 22. Februar im Bundestag diskutiert
werden.
„Wir Grünen möchten, dass Informationsrechte gestärkt und Schwangeren der
Zugang zu seriösen, medizinischen und zeitgemäßen Informationen ermöglicht
wird“, sagte Schauws. „Wenn Ärzte sich nach § 219a StGB strafbar machen,
wenn sie über Abbrüche objektiv informieren und sich öffentlich dazu
bekennen, dann verliert § 219a StGB seine Bedeutung als Verbot der
Werbung“, sagte Högl. „Ich hoffe, dass es für diese Auffassung eine
Mehrheit im Bundestag gibt.“
Auch Vertreter*innen der FDP kritisieren den Paragrafen und sehen
mindestens Änderungsbedarf. Die Union will am Paragrafen festhalten. Auch
sachliche Information trage zur Verharmlosung von Schwangerschaftsabbrüchen
bei, hatte die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth
Winkelmeier-Becker, [3][im Interview mit der taz gesagt].
Parallel haben die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und
Thüringen im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Streichung des
Paragrafen 219a StGB eingebracht. Dieser wird derzeit in den Ausschüssen
beraten. Die Linksfraktion im sächsischen Landtag hat die Landesregierung
am Donnerstag aufgefordert, sich dem Gesetzesantrag anzuschließen.
3 Feb 2018
## LINKS
[1] /Geldstrafe-wegen-Abtreibungswerbung/!5466133
[2] /Diskussion-um-Unwort-des-Jahres/!5468381
[3] /CDU-Politikerin-ueber-Abtreibungsparagraf/!5474676
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
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