| # taz.de -- Neue Doppelspitze der Grünen: Realos setzen sich durch | |
| > Auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover wählen die Grünen Annalena | |
| > Baerbock und Robert Habeck zu ihren Vorsitzenden. | |
| Bild: Annalena Baerbock und Robert Habeck nach der Wahl in Hannover | |
| Hannover taz | Nein, Annalena Baerbock ist nicht gewillt, neben dem neuen | |
| Medienliebling Robert Habeck unterzugehen. Auch sie genießt die | |
| Aufmerksamkeit auf der Bühne, nimmt einen besonders großen Schluck Wasser | |
| und wartet eine Weile, bevor sie mit ihrer Bewerbungsrede für das Amt der | |
| Parteivorsitzenden beginnt. Dann legt sie los: Als „progressive Macht der | |
| linken Mitte“ verstehe sie die Grünen, gerade in Zeiten, in denen FDP und | |
| CSU versuchen, die AfD rechts zu überholen, aber auch in Zeiten einer Sahra | |
| Wagenknecht, die linke Politik wieder nationalistisch denken will. | |
| Sie plädiert für eine grüne Europapolitik und für Radikalität im | |
| Klimaschutz: „Wenn die Koalitionäre von SPD und Union sich von den | |
| verbindlichen Klimazielen verabschieden, da muss ich Ihnen sagen: Die | |
| Arktis schmilzt sehr verbindlich. Die Klimakrise ist die größte Bedrohung | |
| unseres Planeten“. | |
| Außerdem wolle sie jeden Bundestagsabgeordneten auf den Familiennachzug | |
| ansprechen: „Stellen Sie sich vor, es wäre Ihr Kind. Liebe | |
| Bundestagsabgeordnete, Ihr würdet alles tun. Also tut verdammt nochmal | |
| alles, um diese Kinder zu retten“. Baerbock vom Realoflügel sendet damit | |
| deutliche Signale an die Linksgrünen in ihrer Partei, doch sie brilliert | |
| auch rhetorisch, setzt die Pausen an den wirkungsvollsten Stellen. | |
| Die anfangs noch etwas wackelige Stimme wird von Minute zu Minute stärker. | |
| So, wie schon zu Beginn ihrer Rede, bleibt sie auch nach dem Ende länger | |
| als nötig auf der Bühne stehen, saugt die begeisterten Blicke auf, die sie | |
| da erreichen, badet im Meer aus Jubelrufen und Applaus. | |
| ## Nicht nur Habeck | |
| Annalena Baerbock ist ein Gesicht der Erneuerung bei den Grünen, eines des | |
| Aufbruchs. „Und das ist erst der Anfang“ lautete das Motto der | |
| außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover, zu der rund 800 | |
| Delegierte gekommen waren. Baerbock verkörpert einen solchen Anfang. Sie | |
| hat gegenüber Robert Habeck das noch unbekanntere Gesicht, doch auch Habeck | |
| steht für den Neubeginn. | |
| Er hatte seinen großen Auftritt bereits am Vortag, als es ihm gelang, die | |
| Satzung der Grünen so ändern zu lassen, dass er für eine achtmonatige | |
| Übergangszeit seinen Ministerposten in Schleswig-Holstein und sein neues | |
| Amt als Bundesvorsitzender behalten darf. Den gewaltigeren Applaus, die | |
| mitreißenderen Emotionen bekommt am Samstag die 37-jährige, auch, weil sie | |
| gleich zu Beginn ihrer Bewerbungsrede klarstellt: „Wir wählen heute nicht | |
| nur die Frau an Roberts Seite“. | |
| Sie sei stolz, gemeinsam mit ihrer Konkurrentin Anja Piel um diesen Platz | |
| streiten zu dürfen. Zwei starke Frauen. Auch Piel bekommt für ihre Rede | |
| viel Applaus, doch ist er auch deutlich verhaltener, weniger | |
| enthusiastisch. Dabei ist die linksgrüne Piel diejenige, die noch | |
| abzuwenden versucht, was es bei den Grünen nie zuvor gab: eine | |
| Realo-Doppelspitze. Sie wolle, dass die Grünen, „verdammte Axt“, nicht | |
| länger als reine Ökopartei wahrgenommen würden, weil man die ökologische | |
| Frage eben nicht ohne die soziale denken dürfe. Vielmehr müssten alle | |
| Anliegen der Grünen gemeinsam gedacht werden. „Eine ungerechte Gesellschaft | |
| wird niemals eine nachhaltige Gesellschaft werden können“, ist der stärkste | |
| Satz ihrer Rede und auch der, bei dem es für einen kurzen Moment danach | |
| aussieht, als habe sie gegen Baerbock wenigstens eine kleine Chance. | |
| ## Solide, aber nicht mitreißend | |
| Doch die anschließende Abstimmung ist deutlich: Annalena Baerbock erhält | |
| 504 der abgegebenen 782 Stimmen und gewinnt die Wahl mit mehr als 64 | |
| Prozent. Gegen Robert Habeck auf dem freien Platz tritt dann niemand an – | |
| es wäre angesichts seiner Beliebtheit wohl auch verlorene Liebesmüh. | |
| Vielleicht strengt sich der Posterboy aus dem Norden deshalb dann in seiner | |
| Rede auch nicht mehr so richtig an – oder aber er nutzt die Gelegenheit, um | |
| seinen Intellekt zu betonen: Habecks Rede ist abstrakt, bisweilen wolkig. | |
| „Wir müssen der Durchökonomisierung des Privaten Grenzen setzen“, sagt er | |
| etwa oder auch: „Der postmoderne Kapitalismus ist schon viel zu lange | |
| dabei, unsere Arbeit, Zeit, Glück, Intimität in Wert zu gießen und diesen | |
| Wert auszuquetschen und auszuwringen. Wir müssen die Ordnungsfunktionen des | |
| Staats weiterdenken“. | |
| All das klingt gut, doch es reißt die Delegierten weniger mit als die | |
| leidenschaftliche Rede von Annalena Baerbock. Habeck positioniert sich | |
| links von seiner künftigen Amtskollegin, sagt, es sei unstrittig, dass es | |
| Umverteilung brauche und eine härtere Besteuerung von Kapital und Vermögen | |
| notwendig sei. | |
| ## Kaum Missgunst | |
| Mit 81 Prozent wird er schließlich zum Parteivorsitzenden gewählt, zum | |
| „Mann an Annalenas Seite“, wie er selbst sagt. Es scheint tatsächlich, als | |
| habe ihm die Brandenburgerin vorab ein wenig die Show gestohlen, zumindest | |
| sind der Jubel und das mediale Interesse für ihn nicht mehr ganz so groß | |
| wie am Freitag nach der erfolgreichen Satzungsänderung. | |
| Annalena Baerbock und Robert Habeck – damit ist die erste Realo-Spitze in | |
| der Geschichte der Grünen perfekt. Missgünstige Töne darüber hört man in | |
| Hannover allerdings kaum, die Stimmung ist positiv, bisweilen ausgelassen. | |
| Auch die Linksgrünen scheinen mit dem Ergebnis einverstanden zu sein: Sven | |
| Kindler, linksgrüner Haushaltsexperte der Fraktion, sagt: „Ich glaube, wir | |
| haben zwei starke Bundesvorsitzende, mit denen wir ins Jahr starten | |
| können“. Doch es sei wichtig, dass der Bundesvorstand insgesamt alle | |
| Strömungen abdecke. Und er erwarte, dass Baerbock und Habeck dieses | |
| Versprechen einlösten. | |
| Der ehemalige Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer war indes vor | |
| Begeisterung kaum zu halten, munter gestikulierte er Richtung Bühne, | |
| Richtung der Gewählten: „Mir gefällt vor allem, dass man spürt, dass der | |
| Wille zur Umgestaltung deutlich wird. Wir hatten zu lange: Dabei sein ist | |
| alles.“ Beide strahlten eine Bereitschaft zur Offenheit für neue | |
| Wählermilieus aus – diese sei aber gepaart mit klaren Prioritäten. Und der | |
| linke Oberstratege Jürgen Trittin sagte der taz, er habe zumindest in | |
| seinem Umfeld „keine Angst“ wahrgenommen, dass von nun an die | |
| realpolitischen Positionen bei den Grünen vorherrschen. | |
| Nachdem Annalena Baerbock gewählt ist, erhält sie von ihrem Landesverband | |
| ein Stofftier – einen grünen Brandenburg-Adler, mit dem sie bei ihrer | |
| Dankesrede herumwedelt. Eine Frau aus dem niedersächsischen Landesverband | |
| murmelt ihrer Begleitung zu: „Ich würde mich mehr freuen, wenn er halb | |
| grün, halb rot wäre“. Die Begleitung nickt. Es gibt sie also doch noch, die | |
| Linksgrünen in dem großen Meer an Realo-Grünen. | |
| 27 Jan 2018 | |
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| Hanna Voß | |
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