Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jürgen Trittin über neue Grünen-Spitze: „Angst zu haben, hilft…
> Die Jamaika-Sondierung war nötig, weil SPD, Grüne und Linke zusammen zu
> schwach sind, sagt der Grüne Jürgen Trittin. Es brauche einen neuen Kurs
> links der Mitte.
Bild: Realos mit professionellem Grundverständnis? Annalena Baerbock und Rober…
taz: Herr Trittin, Robert Habeck hat bei seiner Bewerbungsrede für den
Parteivorsitz ja [1][durchaus linke Töne angeschlagen], das böse Wort
Umverteilung in den Mund genommen und von einer höheren Besteuerung der
Vermögen gesprochen. Stehen die Grünen überhaupt noch für so etwas?
Jürgen Trittin: Ja, natürlich. Für mich sind die Grünen im Kern eine
Partei, die für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern steht, für
die Rechte von Minderheiten, die sich aber genauso dafür einsetzt, dass es
einen höheren Mindestlohn und eine taffere Besteuerung von Reichen gibt.
Das ist das, was man in den USA „liberal“ nennt und wofür linksliberal eine
mögliche Übersetzung ist.
Aber gerade mit der Besteuerung von Vermögen haben sich die Grünen in der
jüngeren Vergangenheit schwergetan.
Nein, das steht bei uns immer noch so im Parteiprogramm. Ich habe mir
neulich mal den Spaß gemacht, mir die Parteiprogramme von 2009, 2013 und
2017 anzusehen und festgestellt: Diese Forderung und auch andere zur
Verringerung der gesellschaftlichen Ungleichheit standen immer mit drin.
Dafür haben Sie es während der [2][Sondierungen mit Union und FDP] aber
schnell ad acta gelegt.
Nein, das stimmt nicht. Wir haben bei den Sondierungen eine massive
Entlastung der unteren Einkommen erreicht, eine Entlastung der Familien,
und wir hatten uns vorgenommen, so etwas wie eine Garantierente
einzuführen, eine Absicherung im Alter für all diejenigen, die lange
gearbeitet haben. Das war für ein solches Projekt kein ganz schlechtes
Programm.
Aber auch kein gutes?
Es war leider unmöglich, in Zeiten übersprudelnder Steuerüberschüsse in
Gesprächen mit Neoliberalen und wirtschaftsliberalen Konservativen einen
Abbau ökologisch schädlicher Subventionen durchzusetzen. Dazu fehlte der
Handlungsdruck. Aber klar ist doch auch, dass man etwa für die Einführung
einer Vermögenssteuer andere Mehrheiten braucht.
Ist Robert Habeck der linkere von den [3][beiden neuen Vorsitzenden]?
Ach, ich finde das alles zu schematisch. Annalena und Robert kommen
natürlich aus dem Realo-Flügel. Es nutzt auch nichts, das wegzureden, das
ist so. Aber ich kenne nun mal beide auch als Person. Und Annalenas Haltung
beispielsweise bei der Flüchtlingsfrage ist eine, die mir sehr, sehr nahe
ist.
Robert Habeck hat in seiner Rede gestern gesagt, er vermute, die
Überwindung der Flügelkämpfe werde noch mehrere Jahre dauern.
Man sollte auf diese ewig wiederkehrende Debatte keine Energie
verschwenden. Es gibt keine gesellschaftliche Großorganisation, keine
Partei, in der Flügel keine Rolle spielen. Weder wird die SPD die Seeheimer
abschaffen, noch die Union ihre CDA. Ich glaube, am Ende des Tages ist es
wichtig, dass die Kontinuität in der Grundrichtung der Grünen überwiegt.
Wir haben in der Art, wie wir strukturiert sind, immer hervorragende
Ergebnisse erzielt. Es war zum Beispiel genau richtig, dass wir während der
Sondierungen auf eine Parität der Flügel bestanden haben. Inhaltlich hat
uns das vorangebracht, und am Ende stand die Partei komplett geschlossen
hinter den Ergebnissen. Da passte zwischen die Sondierer*innen kein Blatt
Papier.
Kann das Realo-Duo Baerbock/Habeck den linken Flügel in ähnlicher Weise für
sich gewinnen?
Beide haben das professionelle Grundverständnis, dass sie nicht die
Vertreter*innen einer Strömung sind, sondern die Vorsitzenden der gesamten
Partei. Das ist auch die Grundvoraussetzung.
Was hat letztendlich den Ausschlag für Annalena Baerbock und gegen [4][Anja
Piel] gegeben?
Annalena hatte die Kandidatur lange vorbereitet, während Anja sich im
Grunde nur drei Wochen dafür Zeit genommen hat. Dafür hat sie einen super
Auftritt gehabt. Aber Annalena hat eine sehr glaubwürdige politische
Vorgeschichte, und sie hat eine klasse Rede gehalten. Das hat dann zu dem
von vielen erwarteten Ergebnis geführt. Am Ende geht es immer darum, die
noch nicht Überzeugten in der Mitte von sich zu begeistern. Und das hat
Annalena mehr und besser hingekriegt.
Was ist eigentlich für Sie persönlich noch links?
Dass man sich den Herausforderungen der Realität stellt und bei bestimmten
Dingen nicht weggucken darf, vor allem natürlich beim Klimawandel. Als
konsequenter Ökologe kann man übrigens nicht rechts oder neoliberal sein.
Und auch vor dem zweiten globalen Krisentreiber dürfen wir die Augen nicht
verschließen – nämlich der schreienden Ungleichheit bei Vermögen. Auf lange
Sicht führt diese wieder zu Blasen, Finanzkrisen und ähnlichem. Diese
beiden Fragen zusammen zu denken, das ist die eigentliche linke
Grundaufgabe.
Links zu sein, links zu denken ist diverser geworden, das wurde auch in den
Reden von Baerbock und Habeck deutlich. Sehen sie noch Chancen für
Mehrheiten links der Mitte, ohne dass linke Grundanliegen gegeneinander
ausgespielt werden?
Die SPD hat in den vergangenen 15 Jahren die Hälfte ihrer Wähler*innen
verloren. Wo sind die hingegangen? Nicht zur Union, und trotz aller
Bemühungen auch nicht zur Linkspartei und wenig zu uns. Wir haben es also
mit einem beachtlichen Teil zu tun, der zu Nichtwähler*innen geworden ist.
Gleichzeitig beobachten wir, dass es in der Gesellschaft eine breite
Sehnsucht nach Alternativen zu Nationalismus und Neoliberalismus gibt. Wir
haben es mit einem Prozess zu tun, in dem sich die Gesellschaft nach 30
Jahren Neoliberalismus und den traumatischen Erfahrungen der Finanzkrise
neu sortiert. Dafür braucht es einen neuen Kurs links der Mitte.
Eine Art linke Sammelbewegung oder Volkspartei, [5][an die auch Sahra
Wagenknecht denkt]?
Nein. Sahra Wagenknecht sabbelt von einer Sammlungsbewegung, tut aber
alles, um die Kräfte links der Mitte zu spalten. Das ist das Letzte, was
die politische Linke jetzt braucht.
Wer würde es besser machen?
Ich glaube, dass die Grünen dieser Pol werden müssten, sein können, an den
sich alle binden können. Wir müssen attraktiv werden für die, die eben
unter den Bedingungen einer gespaltenen Linken solche Verunsicherungen
erfahren und sich in die Stimmenthaltung zurückgezogen haben.
Glauben Sie, davon könnten Sie auch jene in Ihrer Partei überzeugen, die
mittlerweile viel lieber mit der Union koalieren würden?
Wenn wir die Wahl hätten, wissen wir, wie wir uns entscheiden. Das Problem
ist, dass wir diese Wahl nicht haben. Zur Zeit gibt es keine Mehrheiten
jenseits der Union, die Kräfte links der Mitte liegen bei unter 40 Prozent.
Verstehen Sie dennoch, dass es jetzt die Angst in Ihrem linken Flügel gibt,
dass Koalitionen mit der Union, mit einem Realo-Duo an der Spitze, immer
wahrscheinlicher werden und linke Bündnisse unrealistischer?
Es gibt im Moment für Schwarz-Grün keine Mehrheit. Deshalb mussten wir
Jamaika verhandeln. Angst zu haben, hilft nicht. Wir hatten mit Kuhn und
Künast schon einmal zwei Realo-Vorsitzende, doch die linke Programmatik
zieht sich durch bei den Grünen, sie hat uns Kontinuität und Stärke
gegeben.
Haben die Grünen auch Schwächen?
Unsere Schwäche in den vergangenen Jahren war die Uneinigkeit im
Bundesvorstand. Das ist seit Samstag hoffentlich Schnee von gestern.
28 Jan 2018
## LINKS
[1] /Kommentar-Neue-Spitze-der-Gruenen/!5480285
[2] /Kommentar-Kinderarmut-und-Loehne/!5454608
[3] /Neue-Doppelspitze-der-Gruenen/!5480282
[4] /Anja-Piel-ueber-Positionen-der-Gruenen/!5474213
[5] /Neue-linke-Volkspartei/!5474616
## AUTOREN
Hanna Voß
## TAGS
Grüne
Annalena Baerbock
Robert Habeck
Jürgen Trittin
Lesestück Interview
Lesestück Meinung und Analyse
Annalena Baerbock
Bündnis 90/Die Grünen
Annalena Baerbock
## ARTIKEL ZUM THEMA
Analyse der neuen grünen Doppelspitze: Frischer grüner Wind
Am neuen Chef-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck hängen große
Hoffnungen. Tatsächlich könnten die beiden die Grünen umkrempeln.
Kommentar Neue Spitze der Grünen: Aus der Mitte integrativ
Die Grünen sortieren sich neu, jenseits der klassischen Flügellogik. Der
Start wirkt gelungen: professionell und gelassen.
Neue Doppelspitze der Grünen: Realos setzen sich durch
Auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover wählen die Grünen Annalena
Baerbock und Robert Habeck zu ihren Vorsitzenden.
Vor dem Grünen-Bundesparteitag: Am liebsten eine Frauen-Doppelspitze
Bei den Berliner Grünen löst die Vorstellung, dass Annalena Baerbock und
Anja Piel zusammen den Bundesvorsitz übernehmen könnten, den größten
Beifall aus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.