# taz.de -- Parteitag der Grünen in Hannover: Eine Satzung für Robert Habeck | |
> Die Delegierten erlauben eine achtmonatige Übergangsfrist. So kann Habeck | |
> zur Wahl zum Parteivorsitz antreten. | |
Bild: Stille Freude: Robert Habeck auf dem Parteitag | |
Hannover taz | Als es endlich vorbei ist, wirkt Robert Habeck fast gerührt. | |
Wie ein Teenager schiebt er die Hände in die Hosentaschen der ausgebeulten | |
Jeans, rutscht mit seinen ausgetretenen Turnschuhen auf dem Boden herum und | |
lächelt. Die Solidarität und Gemeinsamkeit in der Halle, sagt er, „die ist | |
ja schon greifbar.“ Dann schiebt er sich durch die Phalanx aus Kameras. | |
Scheiße, er müsse ja jetzt noch eine Rede schreiben. | |
Dabei hat Habeck eigentlich schon gewonnen. Mit einer Mehrheit von knapp 78 | |
Prozent hat der Parteitag der Grünen am späten Freitagabend eine | |
Satzungsänderung beschlossen. 78 Prozent, das ist ein satter Aufschlag auf | |
die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit und ein Vertrauensbeweis. Damit ist klar: | |
Robert Habeck darf sein Amt als Umweltminister von Schleswig-Holstein noch | |
acht Monate lang behalten, wenn er am Samstag zum Bundesvorsitzenden | |
gewählt wird. Eine solche Übergangsfrist hatte er zur Bedingung für eine | |
Kandidatur gemacht. | |
Auch wenn das offizielle Votum noch fehlt: Dass Habeck der neue Grünen-Chef | |
wird, ist nach dieser Vorentscheidung so gut wie sicher. Die Grünen | |
bejubelten den charismatischen Schleswig-Holsteiner wie einen Heilsbringer. | |
Habeck setzt damit seinen Willen durch. Und bekommt das Signal, auf das er | |
– neben all den Problemen, die Nachfolge verantwortlich zu regeln – wohl | |
auch gesetzt hatte. In seiner Rede hat er zuvor klar gesagt, dass er nicht | |
antreten werde, wenn er die acht Monate nicht bekomme. Auch eine kürzere | |
Frist hat zur Wahl gestanden. | |
Die Choreographie für die Habeck-Festspiele stimmte am Freitag von der | |
ersten Minute bis zum späten Schluss um kurz vor Mitternacht. Acht Monate – | |
diesen Kompromiss hatte das prominent besetzte Jamaika-Sondierungsteam mit | |
Habeck ausgehandelt. Er wollte eigentlich „pi mal Daumen ein Jahr“. Doch | |
die Runde, berichtet ein Teilnehmer, habe ihm klar gemacht, dass das zu | |
lang sei. Habeck willigte ein. Die linksgrüne Parteichefin Simone Peter und | |
andere Spitzenleute hatten vor dem Treffen in Hannover für den Kompromiss | |
geworben. | |
## Erinnerung an Roth und Kuhn | |
Habeck ist auf dem Parteitag dicht umlagert. Am frühen Abend sitzt er | |
mitten unter den Delegierten von Schleswig-Holstein. So kommt kein | |
Journalist an ihn heran, Fotografen lauern ein paar Meter weiter. Habeck | |
flüstert mit Konstantin von Notz, seinem Freund, der als sein Nachfolger in | |
Kiel gehandelt wird. Ernste Mienen. Soll er gleich selbst reden? Wie soll | |
er für sich werben? Der Spiegel hat ihn vor einer Woche zum „grünen | |
Trudeau“ hochgejazzt. Solche Nummern gelten bei den Grünen schnell als | |
eitle Selbstdarstellerei. | |
Dann marschiert Habeck auf die Bühne, umringt von Journalisten mit | |
Mikrofonen, Kameras, Fotoapparaten. Es ist der erste dramaturgische | |
Höhepunkt des Abends. Habecks Rede in eigener Sache. Habeck erinnert an | |
seine erste Bundesdelegiertenkonferenz. 2002 war das, auch in Hannover. | |
Damals stritten sich die Grünen ebenfalls über eine Satzungsänderung, die | |
die heilige Trennung von Amt und Mandat aufweichen sollte. Die nötige | |
Zwei-Drittel-Mehrheit wurde knapp verfehlt, das beliebte Chef-Duo Claudia | |
Roth und Fritz Kuhn musste sich verabschieden. Ein GAU – plötzlich musste | |
sich die Ökopartei hektisch neue Vorsitzende suchen. | |
„Alter, was geht denn hier ab?“, habe er sich gefragt, erzählt Habeck. Auch | |
dafür lieben sie ihn. Alter, er redet ganz anders als normale Politiker. Er | |
brauche die acht Monate, ruft er eindringlich. Dann zählt er seine | |
Argumente auf. Die noch neue Jamaika-Koalition in Kiel, für die Grünen eine | |
risikoreiche Angelegenheit. Projekte, die noch durchgekämpft werden | |
müssten. Leute, die auf ihn folgen könnten, aber noch überlegen müssten, | |
wie ihre Lebensplanung aussehe. Er habe sich die Übergangsfrist gut | |
überlegt: „Mit wenig Schlaf und keinem Alkohol geht das eine gewisse Zeit.“ | |
## Trittin als Joker | |
Habeck droht wenig subtil. Wenn die acht Monate nicht durchkämen, „dann | |
kann ich morgen nicht kandidieren.“ Auch wenn er später betont, die | |
Delegierten sollten nur darüber nachdenken, was eine schlaue Lösung für die | |
Satzung wäre: Faktisch ist es eine Erpressung. Habeck verbindet seine | |
Person mit der Entscheidung. Damit diese Brutalität nicht so auffällt, | |
umarmt er klug seine Gegner: Er habe „in einer Zeit, in der | |
Prinzipienlosigkeit zum Prinzip wird“ Hochachtung für diejenigen, die den | |
Geist der Satzung nicht ändern wollten. Am Ende bekommt er viel Applaus, | |
der Jubel deutet schon an, wie die Sache ausgehen könnte. | |
Zumal die Parteitagsregie ihre größte Walze aufbietet, um den Weg zu ebnen. | |
Altkämpe Jürgen Trittin redet den Delegierten stellvertretend für das | |
Sondierungsteam ins Gewissen. „Wir müssen aufhören so zu tun, als gebe es | |
die unbefleckte Arbeit in der Partei und alles in der Regierung sei falsch | |
und kompromisslerisch.“ Dieses Argument hatten manche Grüne gegen ein | |
längere Doppelengagement vorgebracht. Wer Parteichef sei, habe die | |
Parteilinie zu vertreten – während ein Minister die Interessen der | |
Bevölkerung im Blick habe. | |
Genau dieses Trennung will Habeck überwinden. In seiner Bewerbung schreibt | |
er: „Es reicht nicht, nur im eigenen Milieu Applaus zu bekommen.“ | |
Stattdessen zielt der Sonnyboy aus dem Norden auf die ganze Gesellschaft. | |
Nach der Rede stehen Trittin und Habeck minutenlang beisammen, ein Herz und | |
eine Seele – das Bild für die Kameras. Und eine Botschaft an zweifelnde | |
Delegierte. | |
## Kein Nebenjob | |
Gegen diese Inszenierung haben die Gegner einer langen Übergangsfrist keine | |
Chance. Claudia Schmidt aus dem Kreisverband Wuppertal wettert am | |
Rednerpult: „Ich lasse mich von dir nicht erpressen!“ Werner Graf Chef des | |
Berliner Landesverbandes, Vollbart, blau-schwarzes Holzfällerhemd, hält die | |
Gegenrede – und plädiert für eine Frist von drei Monaten. Ihn ärgere, dass | |
demokratische Prinzipien mit Kandidaten verbunden würden. Der Parteivorsitz | |
sei kein Nebenjob, die Chefs müssten hundert Prozent geben können. Auch für | |
einen Robert Habeck habe der Tag nur 24 Stunden. Graf wird grundsätzlich: | |
„Ich will, dass nicht nur einige wenige die ganze Macht auf sich vereinen.“ | |
Der Berliner schlägt sich wacker, seine Fans jubeln laut, aber sie sind | |
klar in der Minderheit. Als die Parteitagsleitung ein Stimmungsbild über | |
drei Anträge einholt, einer fordert zwölf, einer acht, einer drei Monate, | |
halten die Delegierten die Stimmkarten in die Luft. Schon da ist zu sehen, | |
dass die Mehrheit steht – auch wenn das Ergebnis wegen des komplexen | |
Stimmverfahrens erst später feststeht. Cem Özdemir klopft ihm auf die | |
Schulter, auch Simone Peter lacht ihm zu. | |
Und Habeck lächelt. Die Hände hat er wieder in den Hosentaschen. Bloß keine | |
allzu triumphierenden Posen. Siege genießt man am besten still. | |
27 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Hanna Voß | |
## TAGS | |
Annalena Baerbock | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
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