# taz.de -- Intendant verbietet politische Äußerungen: Maulkorb für Schwerin… | |
> Beim Schweriner Theaterball untersagt Generalintendant Lars Tietje den | |
> Schauspieler*innen des Mecklenburgischen Staatstheaters, sich | |
> eigenmächtig politisch zu äußern. | |
Bild: Am Anfang war noch Sonnenschein: Intendant Lars Tietje bei seiner Vorstel… | |
BREMEN taz | Schwerins Theaterintendant Lars Tietje hat einen | |
kulturpolitischen Skandal in Mecklenburg-Vorpommern ausgelöst. In einem | |
internen Schreiben, das der taz vorliegt, hatte er sich im Vorfeld des | |
örtlichen [1][Theaterballs am vergangenen Wochenende] „eigenmächtige | |
politische Äußerungen“ von Darsteller*innen und Moderator*innen des Abends | |
verbeten: Damit würden die Kolleg*innen „ihre Funktion missbrauchen“, hei�… | |
es in dem Schreiben. | |
Dieses sei als „Anordnung“ zu verstehen, macht Tietje klar. Bei | |
Zuwiderhandlung „verstoßen Sie gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten“, | |
so der in Celle geborene Theatermanager: „Ich weise schon jetzt darauf hin, | |
dass ich das nicht dulden werde.“ Zum Abschluss des Briefs wünscht er dann | |
noch „eine rauschende und harmonische Ballnacht“. | |
Als Maulkorb bezeichnete die kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion | |
im Landtag, Eva-Maria Kröger, das Schreiben. „Gerade im Theater sollte die | |
Freiheit der Kunst und besonders die Meinungsfreiheit geachtet und gelebt | |
werden“, sagte sie. | |
Tatsächlich spricht wenig dagegen, dass dies an anderen Staats- und | |
Stadttheatern auch gelebte Praxis wäre. Zwar wies der Deutsche Bühnenverein | |
darauf hin, dass das Vorgehen Tietjes rechtlich nicht zu beanstanden sei. | |
Von einem analogen Fall aus einem anderen Theater hatte man in Köln jedoch | |
keine Kenntnis. | |
Der Anlass des Sprechverbots liegt im Dunkeln: „Wenn ich mir dieses | |
Schreiben anschaue“, sagte die Kulturpolitikerin Kröger zur taz, „dann | |
denke ich: Entweder hat der Mann von irgendjemandem massiv Druck bekommen – | |
oder er ist einfach zu dünn besaitet für einen Intendantenjob“. | |
In seinem Brief behauptet Generalintendant Tietje, obschon erst seit 2016 | |
im Amt, dass es „in den vergangenen Jahren wegen verschiedener | |
eigenmächtiger politischer Äußerungen einzelner Kolleg/innen im Rahmen der | |
Programme des Theaterballs teilweise großen Unmut gegeben“ habe. Und es | |
habe ihm Schwierigkeiten bereitet, „das alles wieder einigermaßen gegenüber | |
unseren Trägern, Partnern und Sponsoren gerade zu rücken“. | |
Bei den Trägern, also dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Stadt, stößt | |
diese Bezichtigung auf Unverständnis: Über einschlägige Vorkommnisse bei | |
Theaterbällen der Vergangenheit und die erwähnte intendantische | |
Nachbereitung „ist hier nichts bekannt“, lautet unisono die Antwort. | |
Im Stadtrat von Schwerin hat die Linksfraktion dennoch für kommenden Montag | |
eine Aktuelle Stunde zu dem Vorgang beantragt, um zu klären ob es eine | |
Einmischung seitens der Kommune in kulturelle Inhalte gegeben hat. Denn das | |
wäre ja ein zensorischer Akt. [2][Den darf es laut Grundgesetz nicht | |
geben]. | |
## Gesprächstermin bei der Kulturministerin | |
Entsprechend empfindlich hat deshalb auch Kulturministerin Birgit Hesse | |
(SPD) auf Tietjes Formulierungen reagiert – und ihn gestern zum Gespräch | |
einbestellt: „Meinungsfreiheit und Kritik gehören zum Theater“, stellte sie | |
im Nachgang klar. Der Intendant habe „eingeräumt, dass die Kommunikation | |
nicht gut war“, wie Hesse der taz sagte. Jetzt gelte es „die Wogen zu | |
glätten und sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren“. | |
In der Stadt wird indes davon ausgegangen, dass Tietje eher auf Druck | |
seitens der Sponsoren der Glamourveranstaltung – Eintrittspreise von 150 | |
bis 250 Euro – gehandelt habe. Konkret: von Nestlé. Denn Frotzeleien eines | |
Moderierenden übers Kapselkaffee-Müllproblem sind mehreren Teilnehmer*innen | |
früherer Theaterbälle als einzige Äußerung erinnerlich, die annähernd als | |
politisches Statement hätte gedeutet werden können. Der lokale Blog „Aktion | |
Stadt- und Kulturschutz“ berichtet darüber, dass der Konzern aus diesem | |
Grund sein Engagement habe beenden [3][wollen]. | |
Der weist die Vermutung jedoch zurück: „Wir sind dort mit einem Kaffeestand | |
präsent und schenken Kaffee aus“, sagte der Stellvertretende Leiter der | |
Corporate Communications von Nestlé Deutschland Alexander Antonoff. „Wir | |
als Unternehmen würden uns nie in die Inhalte irgendeiner Bühnendarbietung | |
einmischen“, so Antonoff, „null, null Komma null.“ | |
## Keine Kommentar zur Dienstanweisung | |
Tietje selbst trägt nichts zur näheren Klärung bei: Es habe sich um interne | |
Vorgänge gehandelt, weshalb er sich „zu den konkreten Anlässen der | |
Dienstanweisung nicht öffentlich äußern“ wolle, antwortet er lang aber | |
ausweichend auf Fragen der taz. | |
Es habe tatsächlich „in der Vergangenheit negative direkte und indirekte | |
Reaktionen auf Inhalte der Ballprogramme“ gegeben, aber „keinerlei konkrete | |
Einflussnahme von außen“, schreibt er. Immerhin mochte er einräumen, dass | |
seine „schriftliche Anordnung vermutlich ungeschickt“ war. | |
Zum Verständnis des Vorgangs sei es wichtig, zu wissen, dass die Moderation | |
des Balls ein Schauspieler übernimmt, der jedoch einen vorbereiteten Text | |
vortrage. Abweichungen sind unerwünscht, denn: „Als Verantwortlicher | |
betrachte ich es als meine Pflicht, eine so relevante Veranstaltung wie den | |
Theaterball vor eigenmächtigen Aktionen Einzelner, die die Qualität des | |
Balls gefährden könnten, zu schützen.“ Die besagte Qualität des | |
Ballprogramms fasst der Beitrag des NDR-Nordmagazins in einem Wort | |
zusammen: „[4][seicht]“. | |
25 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mecklenburgisches-staatstheater.de/stueck-detail/schweriner-the… | |
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html | |
[3] https://aktionstadtundkulturschutz.com/2018/01/22/mecklenburgisches-staatst… | |
[4] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/nordmagazin/1000-Gaeste-feiern-Theat… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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