# taz.de -- Verwerfungen nach Maulkorberlass: Theater ohne Ende | |
> Der Intendant des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin behauptet, | |
> sein Maulkorberlass gegen die Schauspieler*innen sei ein | |
> Kommunikationsfehler. | |
Bild: Der Vorhang zu und alle Fragen offen: So sieht's aus in Schwerin | |
BREMEN taz | Der Erregungspegel in Schwerin ist weiterhin hoch. Auf der | |
montäglichen Stadtvertretungs-Sitzung hieß es, eine als Maulkorb-Erlass | |
betitelte Dienstanweisung des Generalintendanten des Mecklenburgischen | |
Staatstheaters sei eine Gefahr für die Kunst- und Meinungsfreiheit – damit | |
sogar für die Demokratie. | |
Zumindest für einen konkreten Anlass stimmt das. „Im Rahmen meines | |
Hausrechts“ hatte Intendant Lars Tietje „unabgesprochene politische | |
Äußerungen“ durch Schauspieler während des 26. Theaterballs am 20. Januar | |
verboten. So steht es auf einer schriftlichen Anordnung, die Tietje | |
verfasst hatte. | |
Dieser Brief gibt nun Anlass zu ordentlich Ärger. Die Bühne stehe nun unter | |
Generalverdacht, nicht mehr öffentlicher Ort des herrschaftsfreien, | |
künstlerischen Diskurses gesellschaftlicher Themen zu sein, sondern der | |
Belegschaft den Mund zu verbieten, sagte Linken-Fraktionschef Henning | |
Foerster. | |
Am Montag wurde der Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) mit 26 zu 14 | |
Stimmen aufgefordert, das Schreiben des Intendanten zu bewerten und auf die | |
Rücknahme zu drängen. Dafür stimmten die Linke, die Bündnisgrünen und die | |
CDU. Die SPD enthielt sich – wollte ihren Bürgermeister aus dem Konflikt | |
wohl heraushalten. | |
Bei Oberbürgermeister Badenschier wie auch der Kulturministerin Birgit | |
Hesse (SPD) ist Tietje inzwischen zum Rapport erschienen. Er hat sich für | |
die harsche Wortwahl seines Verbots bei der Belegschaft entschuldigt. Und | |
er meint, das sei alles ein Kommunikationsfehler gewesen. | |
Es sei nämlich nicht deutlich geworden, dass die Anweisung nur für das | |
90-minütige, mit fixierten Texten durchinszenierte Showprogramm des Balls | |
gegolten habe. Der auch eine Image- und Werbeveranstaltung für Förderer, | |
Sponsoren, Politiker und Theaterfreunde sei. Das | |
Sehen-und-gesehen-werden-Fest feiern 1.000 Gäste alljährlich in Abendrobe – | |
bei Kunsthäppchen, Speis, Trank und Tanz im denkmalgeschützt-prunkvollen | |
Musentempel. | |
Ein Schauspieler präsentierte dieses Jahr unter dem Motto „Ein Kessel | |
Buntes“ diverse Imitatoren großer Gesangsstars, einen Ausschnitt der | |
„Tosca“-Produktion und Ballett zu Popmusik. „Ein Abend, der künstlerisch | |
nichts mit unserem Spielplan zu tun hat“, erklärt Tietje. „Es sollte eine | |
explizit unpolitische Hommage an die 70er- und 80-Jahre-TV-Unterhaltung der | |
DDR sein.“ Das habe er ohne externe Einflüsterungen aus dem Bauch heraus | |
entschieden. | |
Ihm sei zuvor zu Ohren gekommen, dass es einige regelmäßige Besucher „als | |
unangenehm empfinden“, wenn die Veranstaltung auch als Bühne für | |
Gesellschafts- und Tagespolitik genutzt werde. | |
Nun ist die Belegschaft unangenehm berührt. Der Betriebsrat fragt: „Wie | |
soll in einem Klima der Angst und der juristischen Drohungen eine | |
Diskussion über politische und künstlerische Inhalte an unserem Theater | |
geführt werden?“ | |
Gibt es einen tiefen Riss zwischen Tietje und der Schauspielsparte? Deren | |
Chef Martin Nimz erklärt: „Die Gründe für die Dienstanweisung sind uns | |
nicht bekannt.“ Und er fordert einen Neustart der Ära Tietje – „einen | |
angstfreien Raum für unsere – auch unbequeme – Kunst. Wir singen unsere | |
eigenen Lieder.“ Und nicht nur die, deren Brot sie essen. | |
## Die Dienstanweisung bleibt unerklärt | |
Daran hat sich auch nach der gestrigen Personalversammlung wenig geändert. | |
Tietje stellt fest: „Viele Mitarbeiter sind aufgeregt, einige gar | |
erschüttert und ratlos, weil das Theater seine politische und demokratische | |
Tradition nicht mehr lebe. Der Dissens ist daher teilweise noch recht | |
groß.“ Diese Meinungsverschiedenheiten zu verringern und dem Bedürfnis der | |
Mitarbeiter nachzukommen, konkret die Vorfälle zu benennen, die zur | |
Dienstanweisung geführt haben, vermied Tietje jedoch. | |
Auch dem Aufsichtsrat des Theaters wurden diese Informationen vorenthalten. | |
„Es fehlt hier im Haus leider ein geschützter Raum, um das zu | |
kommunizieren. Und genau den braucht es, da meine Erklärungen die | |
Persönlichkeitsrechte anderer berühren. Ich kann also dazu nichts sagen, | |
auch wenn das ein bisschen so klingt wie das Schweigen des Helmut Kohl über | |
die Namen seiner angeblichen Parteispender“, erklärt der Intendant. | |
Und nun? Tietje möchte auch mithilfe externer Mediatoren mit dem | |
Schauspielteam darüber reden, wo die Freiräume für sie sind. Eine | |
Arbeitsgruppe Theater und Politik soll eingesetzt und zudem der Spielplan | |
der kommenden Saison nochmal neu überlegt werden. | |
Erregungspotenzial senken. Vertrauen aufbauen. Das inspiriere wieder zu | |
„künstlerischen, auch kritischen Höchstleistungen“, beschwichtigt der | |
Oberbürgermeister. | |
1 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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