# taz.de -- Urenkelin über Enteignung durch Nazis: „Ich möchte endlich absc… | |
> Maeva Emden ist Nachfahrin eines Hamburger Unternehmers, der seinen | |
> Besitz unter den Nazis verkaufen musste. Sie kämpft nach wie vor um | |
> Entschädigung. | |
Bild: Maeva Emden ist an den Ort zurückgekehrt, von dem ihre Familie vertriebe… | |
taz: Ab wann wurde die Geschichte Ihres Großvaters zu Ihrer Geschichte, | |
Frau Emden? | |
Maeva Emden: Ich wusste lange wenig über meine Familie. Ich trug einen | |
deutschen Namen, ich wusste, dass mein Urgroßvater aus einer norddeutschen | |
Hafenstadt kam, deren Namen in Chile ständig falsch geschrieben wurde, aber | |
viel hat man darüber nicht gesprochen. Mein Opa hat nach der Zeit, als er | |
aus Deutschland fliehen musste, ein Tor geschlossen. | |
Haben Sie Ihren Großvater, den die Nazis ausgebürgert haben, noch | |
kennengelernt? | |
Ja, ich war sehr eng verbunden mit ihm – vor allem, als ich beschlossen | |
hatte, nach Berlin zu gehen, hat er mich sehr unterstützt. | |
Ausgerechnet er? Haben Sie die Wunde für ihn nicht wieder aufgerissen? | |
Ja, ein Teil seines Lebens machte dieser Schmerz aus, aber er hat mich | |
unterstützt. Er sagte: Du brauchst deine Unabhängigkeit und in Europa | |
kannst du dich weiterbilden. Hier in Chile ist es schön, aber du wirst hier | |
nicht so weit kommen, wie du es vielleicht könntest. | |
Hat er Ihnen von seinem Leben in Deutschland erzählt? | |
Erst als ich nach Berlin ging. Da fing er an, peu à peu, Dinge loszulassen: | |
Dass er in Hamburg von der Gestapo festgenommen worden ist. So wie ich es | |
verstanden habe, hat er gewettet – das war schon leichtfertig – dass er die | |
Stadt verlassen und wieder betreten könne, ohne den Hitler-Gruß zu zeigen. | |
Das wollte er partout nicht. Die Gestapo hat ihm Bilder von KZ-Häftlingen | |
aus Neuengamme gezeigt. Nur weil er Geld hatte, konnte er sich freikaufen. | |
Später hat man ihm dann die Staatsbürgerschaft entzogen. Aber: Er war nicht | |
im KZ. Es gibt sehr viel dramatischere Familienschicksale. | |
Wohin ist Ihr Großvater nach dem Entzug der Staatsbürgerschaft gegangen? | |
Er hatte keine Schweizer Staatsangehörigkeit wie mein Urgroßvater. Deshalb | |
hat er sich einen haitianischen Pass gekauft, wurde dann auf der Flucht | |
über Portugal festgenommen, aber ihm fiel noch ein, dass seine Mutter in | |
Chile geboren worden ist. | |
Sie waren früh eine sehr kosmopolitische Familie. | |
Ja, auch danach. Meine Mutter ist halb Chinesin und halb Schweizerin, mein | |
Vater halb Chilene, halb Deutscher. Mein Großvater hat eine Chilenin in | |
Argentinien kennengelernt und ist mit ihr nach Chile gegangen, wo er das | |
gemacht hat, was er gut konnte: Er hat eine Drogerie eröffnet und mit | |
Immobilien gehandelt. | |
Hat er versucht, für die Enteignungen durch die Nazis Entschädigung zu | |
bekommen? | |
Er hat in den 60er- und 70er- Jahren versucht, etwas zurückzubekommen. Aber | |
da wurde argumentiert, dass er kein Jude sei. Zuerst wurde er als Jude | |
enteignet und danach, als es um Entschädigung ging, hieß es: Du bist kein | |
Jude. Es ist diese Ungerechtigkeit, mit der ich schlecht leben kann. | |
Wie hat er das aufgenommen? | |
Das weiß ich nicht – ich habe das alles erst danach erfahren. Er war einmal | |
in den 70ern mit meinem Vater in Deutschland und dann erst wieder nach der | |
Wende. Dann war er in Hamburg und das hat ihm gut getan. Er hat den | |
Hauswart des Poloclubs getroffen, mit dem er als Kind gespielt hat. Ich | |
glaube, dass er versucht hat zu kämpfen, aber nicht mit vollem Elan, weil | |
er merkte, dass es nichts brachte. Er dachte: Ich habe mein Leben | |
aufgebaut, es ging uns gut, mein Vater hatte die besten Schulen in Chile | |
besucht. | |
Und Sie sind auf eine deutsche Schule gegangen. Wie war das für Sie? | |
Für mich hieß das: Oh, das sind Deutsche. Wir sprachen Spanisch zuhause, | |
wir hatten dieses deutsche Leben nicht mit dem deutschen Club, der | |
deutschen Schule. Ich kam die letzten vier Jahre vor dem Abi dorthin. Dort | |
gab es sonderbare Leute, Altnazis. Der Deutschlehrer hat zu uns gesagt, | |
dass wir sowieso nichts lernen würden, wir seien alles Indianer. Mein Opa | |
hat sich da auch nicht eingemischt. Er hat jegliche Form, mit Deutschen zu | |
verkehren, vermieden. Es waren Ungarn, es waren Chilenen, die er traf und | |
er war in einem britischen Club. | |
Ab wann haben Sie sich mit mit seiner Geschichte befasst? | |
Mein Vater hat meinen Großvater ein paar Mal nach Europa begleitet, um dort | |
Sachen zu verkaufen, er hat nach 1989 peu à peu angefangen, nachzufragen | |
und nachzuforschen, aber es kam nicht viel dabei heraus. Als mein Großvater | |
starb, begann das Aufarbeiten. Mein Vater als Ältester hat sich der Sache | |
angenommen und das ist es, was mich aufwühlt: diese Verletzung über | |
Generationen. | |
Wann kamen Sie dazu, mitzukämpfen? | |
Mein Vater wird müde und alt, und deswegen möchte ich ihm ein wenig dabei | |
helfen, weil ich hier wohne und der Sprache mächtig bin. Es ist weit weg | |
von mir, wie mein Urgroßvater gelebt hat, aber es ist die Geschichte meiner | |
Familie. Die Wurzeln wurden gezogen, ich möchte endlich damit abschließen. | |
Wie sähe so ein Abschluss für Sie aus? | |
Dass man anerkennt, dass hier Unrecht getan wurde. Klar geht es auch um | |
Wiedergutmachung. Wenn mein Vater als Lateinamerikaner, der er ist, sagt: | |
„Lassen Sie uns doch einfach mal treffen“, geht das ins Leere. Wir bekommen | |
nur ein lapidares Schreiben vom Hamburger Senat, der nicht einmal direkt | |
mit uns spricht. Es geht um zu viele Grundstücke und so sitzt die Stadt es | |
seit 2008 einfach aus. So geht die Verletzung weiter. Und es kommen immer | |
mehr Sachen heraus. | |
Nämlich? | |
Wie die Häuser, Sachen und Grundstücke der jüdischen Familien, die Geld | |
hatten, hin und her geschoben worden sind. Man darf keine Namen nennen, | |
aber ich habe die Listen dazu. | |
Warum darf man die Namen nicht nennen? | |
Es sind wichtige Familien hier in Hamburg und sie waren alle mit meinen | |
Urgroßeltern befreundet. | |
Gibt es vergleichbare Fälle, an denen Sie sich orientieren könnten.? | |
Mein Eindruck ist, dass wir ein Präzedenzfall sind, auch, weil mein | |
Urgroßvater die Kunstsammlung aus der Schweiz verkauft hat – und die | |
Argumentation ist, dass er das nicht hätte tun müssen. Aber wieso musste er | |
verkaufen – er brauchte das Geld. Vermutlich ist die Furcht auf der anderen | |
Seite, dass nach uns andere mit ähnlichen Ansprüchen kommen. | |
Sie sagen über Ihren Vater: „Lateinamerikaner, der er ist“. Als was | |
empfinden Sie sich? | |
Das ist schwierig zu sagen. Nach 20 Jahren Deutschland bin ich für meine | |
chilenischen Freunde sehr deutsch geworden: dass ich immer einen Termin | |
brauche, dass ich pünktlich komme – also pünktlich für sie, ich komme 15, | |
20 Minuten zu spät. Ich habe auch den Einfluss meiner Mutter, Chinesin, in | |
Tahiti aufgewachsen, Schweizerin – ich habe all das in mir und ich kann | |
alles nehmen, was ich brauche. | |
Wie war es für Sie, nach Deutschland zu gehen – oder war es ein Gang nach | |
Berlin? | |
Ich habe Berlin tatsächlich als Berlin gesehen. Ich fand es nach der Wende | |
wahnsinnig spannend, dort zu sein. Die Kneipen, die nur einen Tag | |
existierten, in einer Fabriketage in Neukölln zu leben, 1997 – jetzt ist es | |
gentrifiziert ohne Ende. Aber die Anfangszeit war schwierig. | |
Warum? | |
Ich war nicht angedockt: Ich wohnte zuerst in Wilmersdorf, die Kassiererin | |
im Supermarkt hetzte mich, während man in Chile Small Talk machte. Ich ging | |
in die Bibliothek, um die chilenischen Zeitungen zu lesen, so viel Heimweh | |
hatte ich. Aber mein Vater sagte: Halt es aus. | |
Das heißt, Ihre Familie hat Sie unterstützt, zu bleiben? | |
Obwohl ich die Älteste war und mich viel um meine Geschwister gekümmert | |
habe. Auch mein Großvater sagte „bleib' da“ und hat mir etwas Geld gegeben. | |
Ich hatte nichts außer einem Koffer, als ich ankam, deswegen musste ich | |
sofort anfangen, zu arbeiten. | |
War das ein Erziehungsideal, dass sich die Kinder die Dinge selbst | |
erarbeiten müssen? | |
Das kam auch von mir selbst, dass ich meinen Unterhalt selbst verdienen | |
wollte. Aber mein Opa war auch so mit meinem Vater gewesen. | |
Gehört dorthin auch, dass Sie in der Schanze wohnen und nicht in Flottbek? | |
Ein bisschen schon; ich brauche die Inputs der Außenwelt, politisch, | |
sozial, kulturell: zu wissen, worum es eigentlich geht. Die Schanze war für | |
uns das Pendant zu dem Kreuzberg, in dem wir damals in Berlin gelebt haben. | |
Wobei man sich schon fragt: Von allen Städten in der Welt, warum Hamburg? | |
Ich glaube, es ist Schicksal: Ich studierte in Berlin und lernte eine WG in | |
Friedrichshain kennen mit meinem späteren Mann, einem Hamburger. | |
Sie hätten ja in aller Ruhe in Berlin bleiben können. | |
Sind wir auch zehn Jahre lang. 2007 bin ich dann nach Hamburg gezogen, da | |
mein Mann mit seinem Vater in dessen Unternehmen in Hamburg | |
zusammenarbeiten wollte. | |
Der Schmerz, keine Wurzeln zu haben, von dem Sie sprachen … | |
… ich würde sagen, es ist die Tatsache, dass uns die Entscheidung darüber | |
abgenommen worden ist. Dass man meinen Opa einfach ausgebürgert hat. Und | |
dann ist in den 70er-Jahren in Chile unter Pinochet etwas Ähnliches | |
passiert, auch wenn man die Situation insgesamt nicht vergleichen kann. Das | |
wäre meine große Frage an meinen Großvater gewesen: Was hast du gedacht, | |
als Pinochet an die Macht kam und systematisch Leute gefoltert und getötet | |
hat, nur weil sie anders dachten? Zu dieser Frage sind wir nicht gekommen. | |
Haben Sie für sich eine Erklärung gefunden? | |
Ich glaube, dass die Verletzung so groß war, dass er sich gesagt hat: Ich | |
versuche unauffällig zu bleiben, ich will nicht noch einmal flüchten. Also | |
hat er sich arrangiert und das beschäftigt mich schon. Er hat im Alter in | |
einem Holzhaus am Meer gelebt, und ist dort auch gestorben. Ich konnte mich | |
noch von ihm verabschieden, dafür bin ich sehr dankbar. Er hat nur noch | |
Deutsch gesprochen, Hamburger Slang, sogar mit den Ärzten, die ihn gar | |
nicht verstanden. Daran zeigte sich, wie verbunden er doch war mit der | |
deutschen Sprache und Hamburg. | |
22 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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