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# taz.de -- Interview mit Professorin Cornelia Rauh: „Er machte, was ihm nüt…
> Herzog Ernst August war zur NS-Zeit an zweifelhaften Geschäften beteiligt
> – das behauptete der NDR. Nun durften Historiker die Akten des
> Familienarchivs ran
Bild: Hatte 1918 abdanken müssen, machte aber später gute Geschäfte: Ernst A…
taz: Frau Rauh, stimmt der Vorwurf des NDR, dass das Haus Hannover
fragwürdige Geschäfte mit den Nazis gemacht hat?
Cornelia Rauh: In der Dokumentation des NDR lautet der zentrale Vorwurf,
Herzog Ernst August, der Urgroßvater des heutigen Familienoberhaupts, hätte
eine „unheilvolle Nähe“ zu den Nazis gehabt. Es ist von „miesen Geschäf…
mit dem Hitlerregime“ die Rede, von „lohnenden Rüstungsgeschäften“ und
Ausbeutung von KZ-Häftlingen. Unsere bisherigen Ergebnisse – es ist wichtig
zu betonen, dass es ein Zwischenstand ist – zeigen, dass keiner der
Vorwürfe aus der Luft gegriffen ist. Und doch liegen die Dinge für uns
Historiker komplizierter. Wenn etwa von „unheilvoller Nähe“ zum Regime
gesprochen wird, weckt das die Vorstellung, dass Ernst August ideologisch
überzeugter Anhänger nationalsozialistischer Ideen oder dass er politischer
Führer war. Mindestens erwartet man, dass der international gut vernetzte
Hochadelige seine Verbindungen im Dienste Hitlers einsetzte. All das kann
ich derzeit nicht bestätigen.
Die Söhne des Familienoberhauptes waren im Zweiten Weltkrieg als Offiziere
der Wehrmacht tätig. Wie nah waren der Herzog und seine Familie den Nazis?
Der Offiziersberuf war bis 1918 für den Adel ein attraktiver Karriereweg.
Deshalb knüpften nach Wiedereinführung der Wehrpflicht viele adelige junge
Männer gerne an diese Tradition an. Das galt auch für die Prinzen. Weder
der Herzog noch seine Söhne waren aber Parteimitglieder und auch keine
Mitglieder der SS – dabei war diese selbst erklärte Blutselite für den Adel
eigentlich eine anziehende Institution. Der älteste Sohn des Herzogs, der
1914 geborene Erbprinz Ernst August, trat 19-jährig 1933 in die Reiter-SS
ein. Doch bereits 1934 meldete er sich wieder ab.
War die Nähe zu den Nazis also nur halb so schlimm?
Ich möchte eine mögliche Nähe von Herzog Ernst August nicht klein reden. Es
gibt einzelne Hinweise, die aus der Anfangsphase des NS-Regimes stammen. So
etwa aus den Tagebüchern von Joseph Goebbels. Der war im August 1933 mit
mehreren, 1918 gestürzten Fürsten zusammengetroffen und hatte notiert: „Am
sympathischsten und klügsten noch der Braunschweiger und seine Frau,
Victoria Luise. Alles andere doof und überlebt. Kein Grund zur
Beunruhigung.“ Ernst August und seine Familie waren sicher nicht in
scharfer Distanz zum Regime. Aber eben auch nicht in exponierter Position
innerhalb des Regimes.
Inwieweit kooperierte das damalige Familienoberhaupt mit dem NS-Regime?
Den Begriff der Kooperation oder zugespitzt der Kollaboration finde ich
problematisch. Für mich bedeutet das, dass sich jemand einbringt, um das
Regime zu stabilisieren. Das hat der Herzog nicht getan. Er machte, was ihm
nützte, beziehungsweise was er glaubte, was ihm nützten würde. Die
Geschäfte fanden nicht „mit dem Hitlerregime“ statt, sondern unter den
Bedingungen, die das Regime gesetzt hatte. Der Herzog war in der
ungewöhnlichen Situation, durch die Entschädigung Preußens, die er in den
1930ern für die Annexion Hannovers 1866 erhielt, große Summen verfügbar zu
haben, die er ertragbringend anlegen wollte. Kurz nach der
Weltwirtschaftskrise – man wusste, es geht wieder bergauf – hat er das Geld
mit Hilfe von Experten investiert.
An wie vielen „Arisierungen“ jüdischer Unternehmen war der Herzog
beteiligt?
Jedenfalls an neun Objekten. Die ersten Beteiligungen vormals jüdischer
Unternehmen wurden 1937 von Banken erworben. Zu diesem Zeitpunkt nahm der
Druck auf jüdische Geschäftsleute durch das Regime deutlich zu. 1938 wurde
dieser noch verstärkt. Alle Vermögen über 5.000 Mark mussten angemeldet
werden. Dadurch hatte der Staat eine Liste von Firmen, die es zu „entjuden“
galt. In dieser Situation wandte sich Martin Aufhäuser, ein jüdischer
Privatbankier aus München, an den Herzog, um ihm Anteile an seiner Bank zu
verkaufen. Diese Beteiligung kam zustande. Und die Umstände lassen auf
gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung schließen. Der Bankier wurde zum
Beispiel auch in der internen Korrespondenz der Obersten Verwaltung des
Herzogs mit Geheimrat tituliert, nicht etwa als „der Jude Aufhäuser“
stigmatisiert. Dennoch lief es für den Bankier 1939 auf Vertreibung und
Enteignung hinaus. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde Aufhäuser in das KZ
Dachau eingeliefert und festgehalten, bis er den Kaufvertrag unterschrieb.
Über die Konditionen entschied der Gauwirtschaftsberater der NSDAP, nicht
die Vertragspartner. Dies war aber nicht den Einflussnahmen des Hauses
Hannover zuzuschreiben.
Wie ging der Herzog denn bei seinen Geschäften vor?
Sehr unterschiedlich – einerseits gab es einen respektvollen Umgang mit
Martin Aufhäuser. Andererseits gab es die Aneignung des Unternehmens von
Lothar Elbogen in Österreich. Das Milieu in Wien war gekennzeichnet durch
eine hohe Repräsentation von Juden im Alltag und im Geschäftsleben. Auf der
anderen Seite existierte ein heftiger Antisemitismus – noch bevor sich die
neue Verwaltung des Hitler-Regimes etablieren konnte. Jüdische Unternehmer
wurden durch nicht autorisierte Kommissare enteignet, misshandelt und
verhaftet. Diese Welle an antisemitischen Übergriffen ermöglichte es,
Elbogen sofort nach dem Anschluss Österreichs in Haft zu nehmen. Er wurde
aufgrund falscher Vorwürfe festgehalten, zum Verkauf seines Unternehmens
gepresst und vollständig enteignet. Es lässt sich nicht nachweisen, dass
der Vorwandcharakter dieser Inhaftierung dem Herzog oder seinem Verwalter
Paul Knoke bewusst war. Klar ist, dass Ernst August, der möglicherweise
durch Fürsprache für den Inhaftierten eine frühere Entlassung hätte
bewirken können, dies unterließ, ebenso wie Paul Knoke. Letzterer erklärte
eine Entlassung des Häftlings für nicht wünschenswert, solange der Verkauf
des gesamten Unternehmens nicht geregelt war.
Welche Motive hatte der Herzog für die Übernahme jüdischer Unternehmen?
Er wollte eine sichere, also ertragbringende Anlage des Vermögens seiner
Familie. Das Ziel war nicht explizit der Ankauf jüdischer Unternehmen. Doch
diese standen – durch den Verfolgungsdruck des NS-Staates – seit Mitte der
1930er zahlreich zum Verkauf. In dieser Situation hat es der Herzog nicht
nur billigend in Kauf genommen, sondern gezielt darauf angelegt,
Unternehmen in seinen Besitz zu bringen, die aus jüdischem Besitz stammten
– weil sie gut zu dem passten, was bereits an Vermögen vorhanden war, und
weil er sich sichere Erträge versprach.
Im österreichischen Wels gehörte dem Herzog eine Rüstungsfabrik. Was hatte
es damit auf sich?
Die Gründung der Flugzeug- und Metallbauwerke Wels (FMW) erfolgte eine
Woche vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Krieg lag in der Luft. Das
Unternehmen wurde als kleines Flugzeugreparaturwerk in einer Gegend
Österreichs etabliert, die als luftsicher galt – faktisch jedoch wurde das
Werk 1944 durch einen Fliegerangriff zerstört. Die Unternehmensgründung
zielte zum einen darauf ab, von der herrschenden Rüstungskonjunktur zu
profitieren. Gleichzeitig verfolgte man jedoch eine über den Krieg
hinausweisende Strategie. Nach dem siegreichen Kriegsende hoffte man,
Leichtmetallprodukte für die dann zu erwartende Baukonjunktur liefern zu
können. Kriegsverlauf und alliierte Nachkriegspolitik durchkreuzten jedoch
dieses Kalkül.
Kamen in den Betrieben der Familie Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge zum
Einsatz?
In Wels kamen ausländische Zwangsarbeiter vieler Nationen und
Kriegsgefangene zum Einsatz. 1939 konnte man das allerdings nicht absehen.
Wie alle Unternehmen, die ihre Produktion im Krieg nicht einstellten,
hatten auch die Flugzeug- und Metallbauwerke Wels Teil am NS-Unrecht des
Zwangsarbeitereinsatzes. Was den Einsatz von KZ-Häftlingen angeht, so haben
wir keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Leitung der FMW diese angefordert
oder zugeteilt bekommen hätte. Allerdings wurden die FMW nach Zerstörung
ihrer Produktionshallen unter Leitung des sogenannten Jägerstabs für die
Produktion von Messerschmitt-Flugzeugteilen in unterirdischen Stollen
herangezogen. Und dort waren – unter Aufsicht und für Rechnung der SS –
zweifelsfrei auch KZ-Häftlinge im Einsatz.
Welche Rolle spielte der Herzog bei den Investitionen – und wie wichtig war
sein Verwalter?
Der Verwalter hatte bei allen Investitionen und der Verwaltung des
Vermögens eine zentrale Stellung. Prof. Dr. Paul Knoke, ein Jurist, war
bereits seit 1915 für den Herzog tätig, zunächst als Chef des Kabinetts im
Herzogtum Braunschweig.Über viele Geschäfte und wirtschaftliche
Überlegungen war der Herzog sicherlich nicht im Detail informiert. Das hat
alles Knoke gemacht. Allerdings war für rechtswirksame Geschäfte immer die
Unterschrift des Herzogs nötig.
Wie hat sich das Haus Hannover nach Kriegsende verhalten? Wurden
Geschäftsbeteiligungen an die rechtmäßigen Eigentümer zurück übertragen?
Im Prinzip gab es keinen Spielraum. Die Alliierten hatten verfügt, dass
durch politische oder rassische Verfolgung Enteignete ihre Vermögen
zurückzuerstatten waren. Insofern gab es nur die Möglichkeit, sich über
Bedingungen und Ansprüche gerichtlich zu einigen beziehungsweise
auseinanderzusetzen. Für alle vom Herzog übernommenen Unternehmen und
Vermögensanteile wurden Restitutionsleistungen bezahlt. In manchen
Unternehmen blieb der Herzog nach Entschädigung seiner Geschäftspartner
auch weiterhin mitbeteiligt. Die Verhältnisse, unter denen das möglich war,
haben wir jedoch noch nicht im Detail untersuchen können.
Den gesamten Schwerpunkt zum Thema „Ablass“ finden Sie in gedruckten
Wochenend-Ausgabe der taz.nord oder [1][hier].
2 Dec 2016
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Jördis Früchtenicht
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