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# taz.de -- Asylpolitik in Frankreich: Helfer wollen keine Sheriffs werden
> Frankreichs Regierung schockiert Hilfsorganisationen damit, Migranten
> auch in Notunterkünften kontrollieren zu wollen. Doch deren Betreiber
> wehren sich.
Bild: Früher wurden in dem Haus Hotelgäste umsorgt, heute kochen hier die Bew…
Paris taz | Das weiß verputzte Haus strahlt nichts aus von der Not seiner
Bewohnerinnen und Bewohner. Acht Stockwerke hoch ragt das ehemalige
Vier-Sterne-Hotel im Quartier Les Lilas am nördlichen Stadtrand von Paris.
Im Eingangsbereich empfängt den Besucher eine Rezeption. Und doch:
Touristen sind es nicht, die hier Unterschlupf finden.
Die französische Heilsarmee beherbergt hier eine Notunterkunft für
Migranten und Flüchtlinge. Dessen Direktor Abdallah El Abadi weiß genau,
wie das Haus zunächst wirkt. Er betont um so mehr: Es gibt keinen Grund,
die Menschen in den Zimmern zu beneiden.
Nicht nur, dass die Bewohner komplizierte, oft traumatische
Fluchtgeschichten hinter sich haben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
setzt nun verstärkt auf Sicherheitsaspekte im Umgang mit Migranten, was
auch innerhalb seiner Partei En Marche für heftige Kritik sorgt. Im Februar
will er ein umfangreiches Asyl- und Einwanderungsgesetz vorlegen – doch
schon jetzt sorgt der Kurs der Regierung dafür, dass das Leben für
Flüchtlinge noch härter wird.
Das Innenministerium hat in seiner Jagd auf illegale Migranten auch
Notunterkünfte von Hilfswerken wie der Heilsarmee ins Auge gefasst. Einst
galten solche Unterkünfte wie das in Les Lilas als relativ unantastbar, als
Horte der Fürsorge. Doch Ende des Jahres hat Innenminister Gérard Collomb
die Regionalbehörden in einem Rundschreiben aufgefordert, auch in den
Notunterkünften Personen zu kontrollieren.
## Schattenseiten der Migrationspolitik
Heimleiter El Abadi möchte sich nicht vorstellen, was das für Konsequenzen
hat. Kein Wunder, sind doch die meisten der Bewohner hier eh schon
misstrauisch gegenüber den Behörden. Wie etwa die beiden Männer in der
Küche, die sich Eintopf zubereiten, dessen wohlriechender Duft durch den
Raum zieht. Ein Foto ist zwar okay, aber nur von hinten.
Ginge es nach der Regierung Macron, würde wohl der 23-jährige Amir A. aus
Afghanistan als Beispiel herhalten für die Flüchtlinge, die das Land
willkommen heißt. Wie die meisten Asylbewerber aus Afghanistan hatte Amir
keine großen Schwierigkeiten, bei der für die Flüchtlinge und Staatenlosen
zuständigen Behörde OFPRA eine positive Antwort auf sein Gesuch zu
erhalten.
Jetzt wolle er sich rasch integrieren und einen Job im Verkauf finden,
erzählt der junge Mann. Er ist strebsam: In Französischkursen von
Studierenden lernt er die Sprache, selbst ergänzt er sein Wissen noch mal
in der Bibliothek des Aufnahmezentrums.
Doch sind es andere Schicksale, die die Schattenseiten der französischen
Migrationspolitik aufdecken. Fälle wie der von Sartaj S., der aus einem
Grenzgebiet Pakistans stammt, er ist 41 Jahre alt. Sechs Jahre ist es her,
dass er aus seiner Heimat flüchten und seine beiden Kinder bei Verwandten
zurücklassen musste. Die Taliban hätten seinen Bruder ermordet, und er
selber sei bedroht worden, weil er in einer Informationskampagne für
Polio-Impfung tätig war, sagt er. Heute ist er sichtlich mit den Nerven am
Ende.
## Bleibender Rückenschaden
„Sie behandeln uns wie Tiere“, schimpft er auf Englisch. Gemeint sind die
französischen Behörden und die Polizeipräfektur. „Wenn ich die Metro nehme,
werde ich immer wieder von der Polizei kontrolliert. Ich zeige dann meine
provisorische Bestätigung des Asylgesuchs. Aber die Polizisten geben mir
deutlich zu verstehen, dass ich hier nicht willkommen bin.“
Sartajs rechtliche Lage ist kompliziert. Ursprünglich wollte er wie so
viele andere via Calais über den Ärmelkanal nach Großbritannien. „Ich habe
während drei Monaten vergeblich versucht, mit einem Laster rüber zu kommen.
Für Schlepper hatte ich kein Geld.“ Das Resultat dieser erfolglosen
nächtlichen Versuche, auf einen Laster aufzuspringen ist ein bleibender
Rückenschaden.
Sartaj hat wenig Hoffnung auf ein Entgegenkommen der Administration. Da er
auf der Durchreise in Italien samt seiner Fingerabdrücke registriert wurde,
ist er ein sogenannter „Dubliner“. Laut den Regeln des
Dublin-Übereinkommens kann Frankreich Sartaj nach Italien abschieben. Die
„Dubliner“ sind ganz speziell im Visier der französischen
Migrationsbehörden. Es sollen mindestens 40.000 Flüchtlinge sein, die
Frankreich so nach Italien und in andere EU-Staaten ausweisen möchte.
Das kritisiert sogar der Direktor der französischen
Flüchtlingsschutzbehörde OFPRA, Pascal Brice. „Kafkaesk“ nennt er diesen
Vorgang, denn damit werde überhaupt kein Problem gelöst. Hingegen würden
Menschen, die grundsätzlich als Flüchtlinge Schutz verdienen, zu einer
politischen Manövriermasse, sagt Brice.
## Widerspruch zum Humanismus
Heimleiter El Abadi kritisiert scharf, dass nun in Unterkünften wie der
seinen Menschen kontrolliert werden sollen. „Das widerspricht unserer
Charta und dem geltenden Recht, wenn wir das akzeptieren, gefährden wir
nicht nur das Vertrauen der Leute, die wir ohne Vorbedingungen beherbergen,
wir würden uns auch strafbar machen“, sagt El Abadi. Er weist darauf hin,
dass die französische Gesetzgebung es nicht zulasse, Menschen nach Herkunft
zu erfassen. „Aus diesem Grund lehnen die humanitären Organisationen dieses
Ansinnen und Zirkular des Innenminister geschlossen ab. „Ein Teil der
betroffenen Hilfswerke hat bereits eine verwaltungsgerichtliche Klage
eingereicht.
Wie wenig glorios die Realität aussieht, bestätigen auch die Freiwilligen
des Pariser Kollektivs La Chapelle debout, die im Norden der Hauptstadt an
gestrandete Flüchtlinge und Obdachlose jeden Morgen ein gespendetes
Frühstück verteilen.
Mehrfach aber habe in den letzten Monaten die Polizei mit fadenscheinigen
Vorwänden wie Probleme mit Abfall oder Menschenansammlungen versucht, sie
daran zu hindern, beschweren sich die Mitglieder dieser Gruppe. Von der
gegenwärtigen Verschärfung der Asylpolitik erwarten sie nichts Gutes. In
Calais hatte Präsident Macron den Flüchtlingshelfern nämlich am Dienstag
unterstellt, sie wollten seine Migrationspolitik sabotieren.
Immerhin regt sich Protest: Eine Gruppe von Intellektuellen, davon mehrere
Macron-Unterstützer von Anfang an, schrieb in einem offenen Brief in der
Tageszeitung Le Monde: „Monsieur Macron, Ihre Politik widerspricht dem
Humanismus, den Sie predigen!“
18 Jan 2018
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Emmanuel Macron
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Asylpolitik
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