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# taz.de -- Präsidentschaftskandidatin in Mexiko: „Die Zeit der Frauen ist g…
> Die indigene María de Jesús Patricio Martínez kandidiert als Präsidentin
> in Mexiko – eine Kampfansage an rassistische und patriarchale Strukturen.
Bild: Gegen Unterdrückung und Patriarchat: „Marichuy“ kandidiert als Präs…
Mexiko-Stadt/Tuxpán taz | Seit über zwei Stunden warten ihre studentischen
Anhänger, als María de Jesús Patricio Martínez erscheint. Die
Abenddämmerung wirft ein warmes Licht auf die präkolumbianischen Motive,
die das Bibliotheksgebäude der Nationaluniversität in Mexiko-Stadt zieren.
Traditionell in bestickter Bluse gekleidet steigt die Frau vom Volk der
Nahua auf die Bühne. Auf dem Kopf trägt sie eine Blumenkrone, um den Hals
eine mit Blumen verzierte Kette.
Musiker haben vorab mit kämpferischen Liedern für Stimmung gesorgt, Redner
die Freilassung politischer Gefangener gefordert. Die 54-Jährige spricht
über Armut und Ungleichheit, kritisiert das kapitalistische Bildungssystem
und prangert die vielen Frauenmorde in ihrem Land an. „Keine weiteren
Toten“, rufen die, die ihr zuhören. Und: „Viva Marichuy“.
Es ist ein Heimspiel für die Frau, die alle nur Marichuy nennen: Die etwa
3.000 Studierenden, die sich hier auf dem Universitätsgelände versammelt
haben, stehen hinter ihrer Kandidatur als unabhängige Kandidatin für die in
diesem Sommer anstehenden Präsidentschaftswahlen. „Unterschreibt und
unterstützt Marichuy“, steht auf handgeschriebenen Plakaten an zahlreichen
Ständen, an denen meist junge Leute Unterschriften sammeln.
„Stell dir vor, wir hätten eine indigene Präsidentin“, sagt die Aktivistin
Agui Rubio, die mit einer Unterschriftenliste durch die Menge läuft. Eine
ungewöhnliche Vorstellung in einem Land, das von gewalttätigem Machismo
geprägt ist und in dem die Mehrheit der Indigenen, die zwölf Prozent der
Bevölkerung ausmachen, in bitterer Armut lebt.
Damit Martínez antreten darf, muss sie zunächst 866.000 Menschen finden,
die ihre Kandidatur unterstützen. Deshalb mobilisiert sie seit Oktober in
ländlichen indigenen Gemeinden ebenso wie bei linksradikalen städtischen
Sympathisanten. Worum es ihr geht, beschreibt ein Transparent, das an der
Bühne auf dem Universitätsgelände hängt: „Nie mehr ein Mexiko ohne uns“.
## Sie polemisiert nicht
Mit diesem Ziel sind 1994 die indigenen Rebellen der Zapatistischen
Befreiungsarmee, der EZLN, im Bundesstaat Chiapas angetreten. Mit einem
bewaffneten Aufstand forderten sie ihre Rechte ein und wollten der
gesellschaftlichen Ausgrenzung ein Ende bereiten. Seither kämpfen die
Zapatisten in der südmexikanischen Region für ein Leben jenseits
staatlicher Reglementierung. Sie betreiben eigene Schulen, vermarkten ihren
Kaffee und organisieren ihren Alltag in kollektiven Strukturen.
Über Chiapas hinaus haben sie sich mit anderen mexikanischen Gemeinden
zusammengetan. Gemeinsam sind sie seit 1996 im Nationalen Rat der
Indigenen, dem CNI, organisiert.
Martínez war von Anfang an dabei. Sie erlebte, wie die EZLN erfolglos mit
der Regierung über die Rechte der indigenen Bevölkerung verhandelte. Sie
sah mit an, wie Politiker jedweder Couleur immer wieder ihr Wort brachen.
Auch deswegen hat der CNI sie als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt.
Oder besser gesagt: als Sprecherin. Martínez betont, dass sie nur
stellvertretend für den vom CNI geschaffenen Rat der indigenen Regierung
antrete, einem Gremium, dem mehr als 130 Vertreterinnen und Vertreter aus
Gemeinden, Stadtteilen und indigenen Völkern angehören: „Sie haben mich
ausgewählt, weil es nicht möglich ist, dass das ganze Kollektiv antritt“,
erklärt sie.
Martínez schreit nicht wie eine Wahlkämpferin. Sie polemisiert nicht,
greift nicht aggressiv an – anders als ihre Konkurrenten, die wortstark
alles versprechen und nichts einhalten. Sie redet konzentriert und so
leise, dass ihre Mitstreiter gleich mehrere Mikrofon vor ihr aufstellen
müssen, damit die Botschaft ankommt. Sie liest ihre Rede von einem Blatt
Papier ab.
Jeder Satz, der über den Campus schallt, entstammt einem ausführlich
diskutierten Kommuniqué. Denn auch für Martínez gilt, was in jeder
zapatistischen Gemeinde selbstverständlich ist: „Das Volk regiert und die
Regierung gehorcht.“ Jede Entscheidung wird bis zum Konsens diskutiert.
## „Wer die Natur zerstört, zerstört auch den Menschen“
Maria de Jesús Martínez lebt in der Kleinstadt Tuxpán im
zentralmexikanischen Bundesstaat Jalisco und hat diese zwanzig Jahre lang
beim CNI vertreten. Mindestens zwei Tage muss sie mit dem Bus fahren, um
ins knapp 1.500 Kilometer entfernte Chiapas, das Herz der zapatistischen
Bewegung, zu kommen. Anders als in den Dörfern im Süden Mexikos leben in
Tuxpán nur wenige Nahua: 600 Menschen sind es in der Stadt, und etwa 5.000
in den umliegenden Gemeinden.
In Tuxpán ist Martínez als eines von elf Kindern einer Bauernfamilie
aufgewachsen. Als junges Mädchen verkaufte sie Kürbissamen, damit die
Familie genug zu essen hatte. Der Vater musste die Hälfte seines angebauten
Maises an den Großgrundbesitzer abgeben. Heute betreibt Martínez, Mutter
dreier Kinder, ein kleines Gesundheitszentrum, in dem sie Patienten nach
indigener Tradition mit Naturheilpflanzen behandelt.
Wer einen Monat vor ihrer Rede in der Hauptstadt vor diesem Zentrum steht,
würde kaum vermuten, das hinter der schlichten Holztür eine
Präsidentschaftskandidatin ihr Auskommen verdient. Das „Casa de Salud“
versteckt sich hinter einer langen weißen Mauer. Vorbei an der Theke, auf
der ein paar Fläschchen mit Tinkturen stehen, empfängt Martínez ihren
Besuch in einem kargen Zimmer am Ende eines mit Blumen verwachsenen Ganges:
vier Stühle, ein Tisch. An der Wand hängen Plakate, die Behandlungen
beschreiben.
„Die Kräuter sind eine Jahrhunderte alte Erbschaft, die von Generation zu
Generation wandert“, betont Martínez. „Wer die Natur zerstört, zerstört
auch den Menschen.“
Dass bisher nur knapp 145.000 der nötigen 866.000 Unterschriften
zusammengekommen sind, stört sie nicht. Es gehe nicht um einen Wahlsieg.
„Die Kandidatur ist nur ein Werkzeug, um die katastrophale Situation in den
indigenen Gemeinden sichtbar zu machen“, erklärt Martínez. Sie spricht von
zerstörerischen Bergbauprojekten, dem Terror der Mafia und korrupten
Polizisten. Und von der Notwendigkeit, sich zu organisieren, „von unten und
von links“.
Wer ein Wahlprogramm erwartet, wird enttäuscht. Alles liegt in den Händen
der Menschen in den Gemeinden. Zuhören sei ihr schon in der Schule
wichtiger gewesen als reden, sagt sie.
## Patriarchale Strukturen im Zentrum der Kritik
Viele werfen Martínez und dem CNI vor, ihre Kandidatur spalte die Linke und
schwäche deren aussichtsreichen Kandidaten Andres Manuel López Obrador. Ein
Argument, das Martínez nicht gelten lässt: „Für Indigene hat sich nie etwas
geändert, egal, ob linke oder rechte Politiker an der Macht waren“, sagt
sie.
In Mexiko-Stadt neigt sich Martínez’ Rede vor ihren Anhängern dem Ende zu.
„Es schmerzt uns und wir sind wütend darüber, dass die vielen Frauenmorde
straflos bleiben“, sagt sie von der Bühne herunter. Wären die Indigenen
schon vor zehn Jahren auf die Idee gekommen, einen
Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, würde nun wohl der Subcomandante
Marcos auf der Bühne der Nationaluniversität stehen.
Doch der Mann, der als Zapatisten-Sprecher weltberühmt wurde, sei heute
normales Mitglied seiner Gemeinde, erklärt Martínez. Nicht zufällig hat
sich der CNI entschieden, eine Frau aufzustellen, die zudem nur mit
weiblicher Begleitung unterwegs ist. Denn neben den rassistischen sollen
auch die patriarchalen Strukturen Mexikos im Zentrum der Kritik stehen.
Auf dem Campus ist es inzwischen dunkel geworden. Hinter der Wahlkämpferin
machen sich mehrere in schwarz gekleidete Frauen bereit. Es sind die
Sängerinnen der „Batallones Femininos“, eines feministischen Rap-Projekts,
das in Reaktion auf die unzähligen Morde an Frauen in der Stadt Ciudad
Juarez gegründet wurde.
„Es reicht“, ruft María de Jesús Patricio Martínez in die Nacht, „die …
der Frauen ist gekommen und zweifelt nicht daran, wir gehen aufs Ganze.“
Dann übernehmen die Rapperinnen die Bühne.
18 Jan 2018
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Mexiko
Indigenas
Frauenrechte
Patriarchat
Schwerpunkt Femizide
Mexiko
Genozid
Mexiko
Medienpolitik
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