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# taz.de -- Partnerland Mexiko bei Industriemesse: Die Windräder des Bösen
> Am Sonntag eröffnet Mexikos Präsident die Hannover-Messe, um für
> Investitionen zu werben. Auf die Rechte Indigener wird nicht geachtet.
Bild: Für deutsche Unternehmen ist Mexiko zu einem bedeutsamen Partner geworde…
Oaxaca taz | Die Einwohner der süd-mexikanischen Stadt Unión Hidalgo
staunten, als sie das Dokument der Energiekommission in ihren Händen
hielten. 96 Windräder sollen auf ihrem Land gebaut werden, hieß in dem
Schreiben, das die Indigenen im Juli vergangenen Jahres erhielten. Fast
niemand wusste von den Plänen, und hätten sie nicht selbst angefragt,
wüssten sie es vielleicht bis heute nicht.
Das ist ein Verstoß gegen internationales Recht. Die Konvention 169 der
Internationalen Arbeitsorganisation und die UN-Erklärung über die Rechte
indigener Völker sehen vor, dass die Gemeinschaften befragt werden müssen,
bevor Großprojekte auf ihrem Boden geplant werden. Die Bewohner haben
deshalb Klage gegen die Windanlage eingereicht.
Die rund 100.000 indigenen Zapoteken, die in den Gemeinden der Landenge von
Tehuantepec im Bundesstaat Oaxaca leben, haben allen Grund zur Skepsis.
Noch immer sind zahlreiche Gemeinden von dem Erbeben im September 2017
gezeichnet: eingestürzte Häuser, Geröllhaufen, zerstörte Straßen.
Bis heute warten viele Bewohner vergeblich auf Unterstützung von der
Regierung. Ihre Vorfahren hatten sich vor über 3.000 Jahren in dieser
tropischen, von Wind und Hitze geprägten Region niedergelassen. Viele
Bewohner betrachten das Land als kollektives Eigentum für Ackerbau und
Viehzucht.
## Vergifteter Boden
Doch immer wieder müssen sie erleben, wie Behörden, korrupte Politiker und
Unternehmer dort Projekte in Angriff nehmen, die die natürlichen
Lebensgrundlagen zerstören. Garnelenzuchtanlagen vernichten
Mangrovenwälder, Erdölraffinerien verschmutzen die Fischgründe im Meer, ein
geplantes Bergwerk würde Flüsse und Boden vergiften.
Und nun also ein neuer Windpark. Schon jetzt befinden sich auf der Landenge
zwischen Pazifik und Atlantik auf 21 Energieparks über 1.500 Windräder.
Unzählige von ihnen zieren die Felder entlang der Hauptstraße, die in den
Süden, nach Guatemala führt. In Reih und Glied stehen sie da, wie eine
gigantische Armee aus Betonriesen, die nur langsam am Horizont des flachen
Landes verschwindet. Allein in Unión Hidalgo wurden zwei Windparks
erstellt: Piedra Larga I und II.
Viele Bewohner der Landenge wehren sich mit Demonstrationen,
Straßenblockaden und juristischen Mitteln gegen diese Projekte, zumal in
den Gemeinden meist nur eine korrupte Clique von Mächtigen davon
profitiert. Dasselbe gilt für den Bergbau. Den Streitigkeiten zwischen
Gewinnern und Verlierern solcher Anlagen fallen immer wieder Menschen zum
Opfer.
So ermordeten Unbekannte im Februar drei Aktivisten der Organisation
Codedi, die gegen den Bergbau und für das Selbstbestimmungsrecht der
indigenen Gemeinden kämpft. Mindestens 37 Menschen starben laut Amnesty
International 2017 in Mexiko wegen solcher Konflikte.
Wenn der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto am Sonntag bei der
Eröffnung der Hannover-Messe spricht, wird von diesen Toten keine Rede
sein. Mexiko ist das Partnerland der Industrieschau, und da geht es um den
Produktions- und Exportstandort. „Wir wollen das neue Gesicht Mexikos
zeigen, das moderne Mexiko“, erklärte Wirtschaftsminister José Rogelio
Garza.
Das Land ist der viertgrößte Exporteur von Automobilen und Elektrowaren,
bietet günstige Arbeitskräfte und hat über 40 Freihandelsverträge
vereinbart. Zwar sind die Perspektiven für Ausfuhren in die USA derzeit
wegen der protektionistischen Politik des US-Präsidenten Donald Trump
unsicher, aber Mexiko gilt zugleich als Sprungbrett nach Asien. Mit der
Privatisierung der staatlichen Erdölindustrie hat Peña Nietos Regierung
zudem dafür gesorgt, dass internationale Investoren freie Hand haben. Der
Bergbau soll intensiviert und die Windkraft gestärkt werden.
## Erweitertes VW-Werk
Für deutsche Unternehmen ist Mexiko zu einem bedeutsamen Partner geworden.
Rund 2.000 Firmen sind dort vertreten. Insbesondere die Fahrzeugindustrie
und ihre Zulieferer haben zugelegt: VW hat sein Werk erweitert, Daimler,
Audi und BMW sind mit neuen Fabriken angetreten. Auch der Siemens-Konzern
plant, seine Investitionen zu intensivieren.
Die Energiereform eröffne viele Optionen, heißt es bei Siemens-Mexiko.
Deren Vertreter Iván Pelayo kündigte an, man werde mit dem Partner Grupo
México in Hannover die Fortschritte im Bergbaubereich vorstellen. Mit der
Grupo México arbeiten die Deutschen daran, den Kupferabbau in der Mine
Buenavista del Cobre effektiver zu gestalten. Das Bergwerk im nördlichen
Bundesstaat Sonora hat eine lange Geschichte von verfolgten
Gewerkschaftern, Unfällen und Umweltkatastrophen. Viele Opfer eines
Chemieunglücks von 2014 warten bis heute auf eine Entschädigung.
Angesichts korrupter Politiker, krimineller Banden und ungeklärter
Landkonflikte kann in vielen Regionen Mexikos niemand garantieren, dass die
Betroffenen solcher Großprojekte zu ihrem Recht kommen. Dennoch planen
europäische Firmen weitere Windparks. Auch Siemens will 300 Millionen
US-Dollar in Unión Hidalgo investieren, bestätigte im März der
Energieminister von Oaxaca, José Luis Calvo Ziga. An den bereits
bestehenden Anlagen ist das spanische Unternehmen Gamesa beteiligt, das
2017 mit dem deutschen Konzern fusionierte. Gamesa ist einer der
Hauptakteure im mexikanischen Windenergiegeschäft.
In Unión Hidalgo und anderen Städten der Region denkt man ungern daran
zurück, wie die Windparks Piedra Larga I und II durchgesetzt wurden. Auch
damals seien sie nicht gefragt worden, berichten Bewohnerinnen und
Bewohner. Billigen Strom, Arbeitsplätze und Geld hätten die Unternehmen
versprochen, aber von all dem sei nichts geblieben. Ein paar hundert Euro
Pacht erhalten die Bauern jährlich pro Windrad, in Deutschland sind es ab
50.000 Euro aufwärts.
## Ein Projekt liegt auf Eis
Von einer günstigen Energieversorgung kann auch nicht die Rede sein. Der
„saubere Strom“ geht via Exklusivvertrag direkt an Konzerne wie Walmart.
Auch VW will sein Werk mit der grünen Energie eines eigens dafür gebauten
Windparks versorgen. Sie seien nicht gegen Windenergie, sagt die Aktivistin
Bettina Cruz, sondern gegen die Gewalt, mit der transnationale Unternehmen
ihre Projekte durchsetzen. „Das Schlimmste ist, dass sie unsere
Gemeinschaften gespalten haben“, sagt die Indigene, für die die staatliche
Kommission für Menschenrechte jüngst Schutzmaßnahmen gefordert hat. Bettina
Cruz war mehrmals Opfer von Angriffen geworden.
„Die Anlagen nutzen nur denen, die Zugang zu den Windfirmen, den Politikern
und reichen Bauern haben“, ergänzt der in der Landenge ansässige Pfarrer
Benito Velázco Pardo. In Unión Hidalgo ist das zum Beispiel Bürgermeister
Wilson Sanchez Chévez. Der Gemeindepräsident geriet jüngst in die Kritik,
weil er Hilfsgelder für Opfer des Erdbebens gezielt an Angehörige und
Freunde verteilt hat.
Mit dem neuen Energiepark sieht es für ihn derzeit schlecht aus. Wegen des
Widerstands der Bevölkerung liegt das Projekt auf Eis, bis eine Befragung
durchgeführt wurde. Und die könne sich wegen der Schäden durch das Beben
verzögern, erklären die Aktivisten: „Die Behörden müssen verstehen, dass
man keine Befragung mit Menschen durchführen kann, die kein würdiges Dach
über dem Kopf haben.“
21 Apr 2018
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Mexiko
Hannover Messe
Indigene
Erneuerbare Energien
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