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# taz.de -- Pussy-Riot-Auftritt in Berlin: Freiheit, Nudeln, Agitprop
> Die russische Punkrockband ist in Berlin aufgetreten. Und hat dabei ihre
> Geschichte erzählt – mit Musik, Theater, Video-Performance und Lesung.
Bild: Ihr letzter Auftritt? Dilettantisch rumhopsendes Polit-Kasperletheater. U…
Nudeln. Dass die durchaus was mit Putin zu tun haben, das war vielleicht
das Neue, was man an diesem Sonntagabend im Berliner SO36 erfahren durfte.
Wo man auch eine Handlungsanleitung für das bekam, was etwas großspurig als
„Revolution“ angekündigt war. Aber schließlich ging es um Pussy Riot. Es
ging um deren Aktionen gegen den russischen Machthaber und wie sich die
Kommunikationsguerilla darauf vorbereitete. Lakonisch knapp war da auf der
Videoleinwand zu lesen: „Meistens aßen wir Nudeln.“
Heißt: Auch Revolutionäre müssen manchmal essen. Und: Essen muss doch
irgendwie bezahlt werden.
Dass man beim Pussy Riot Theatre nicht wirklich ein Theater erwarten
dürfe, wurde einem gleich am Anfang verkündet, und auch nicht ein
Rockkonzert. Sondern dass es hier mal um das Wort gehen soll, um das im
vergangenen Jahr erschienene Buch „Tage des Aufstands“, in dem
Pussy-Riot-Mitglied Mascha Alechina ihre Version der Pussy-Riot-Geschichte
erzählt.
Dass der traditionsreiche Kreuzberger Punkschuppen SO36 bei „Pussy Riot
Theatre performs: Riot Days“ zwar ordentlich gefüllt, längst aber nicht
ausverkauft war, mag an dem kleiner gewordenen Aufmerksamkeitsfenster für
den russischen Einsatztrupp liegen. Und vielleicht daran, dass erst im
November im Rahmen eines Festivals im Berliner Haus der Kulturen der Welt
Pussy Riot schon mal zu sehen waren mit einer Performance. Ein arg
dilettantisch rumhopsendes Polit-Kasperletheater war das, es weckte nicht
unbedingt die Begierde nach mehr.
## Multimedial aufgemotzte Leseperformance
Aber bei Pussy Riot handelt es sich eben längst um eine Marke mit den
ikonisch gewordenen Sturmhauben. Eine Marke allerdings, die von den an dem
eher lose organisierten Kollektiv Beteiligten durchaus nach eigenem
Belieben genutzt werden darf. Im Haus der Kulturen der Welt war damals so
ein von Nadja Tolokonnikowa angeführtes Riot-Quartett zu sehen, im SO36 war
Mascha Alechina die Hauptperson.
Beide sind die bekannt gewordenen Gesichter von Pussy Riot, deren
Geschichte Alechina nun aus ihrer Perspektive in Buchform erzählt hat, die
Basis vom Pussy Riot Theatre und den Riot Days. Eine multimedial
aufgemotzte Leseperformance, mit Musik und Videos. Vier Menschen auf der
Bühne.
Zwei Männer, der eine dabei vornehmlich als Musiker tätig. Zwei Frauen.
Eine spielt, wenn sie nicht gerade ihren Text ins Mikro schreit oder singt,
Saxofon. Die andere ist Mascha Alechina. Man hört Industrial-Getrommel und
schroffen Postpunk. Einmal stülpen sich die vier Masken über den Kopf, ein
anderes Mal setzen sie sich schwarze Brillen auf.
Zwischendurch gibt es ein paar forcierte Armbewegungen, was man aber auch
nicht gleich als eine theatralische Einlassung betrachten muss. Und selbst
wenn die Musik durchaus laut und drängend ist, bleibt sie doch bloßer
Handlanger für Alechinas „Tage des Aufstands“-Text, der von den vieren
deklamiert wird.
## Auf der Bühne? Wut, Trotz und ein schüchternes Lächeln
Manchmal gönnen sie sich dabei eine etwas veränderte Tonlage und fallen in
ein rezitatives Leiern wie bei einer Liturgie. Das alles hat durchaus eine
Dringlichkeit. Wobei man allerdings ziemlich damit beschäftigt ist, dem in
Russisch gehaltenen Vortrag in der auf der Leinwand durchlaufenden
deutschen Untertitelung zu folgen. Um nicht den Faden zu verlieren bei der
Geschichte, in der chronologisch die Pussy-Riot-Geschichte erzählt wird,
die man natürlich auch bei Wikipedia nachlesen könnte.
Die ersten Aktionen der Gruppe gegen Putin. Natürlich das sogenannte
„Punkgebet“ 2012 in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, das Pussy Riot
erst zu der Weltberühmtheit gemacht hat, nicht zuletzt wegen des folgenden
Prozesses, bei dem auch Mascha Alechina verurteilt wurde. Das Straflager.
Schließlich die Amnestie. Alles abgehandelt in einem präzisen, gut
getakteten Text. Manchmal spürt man einen luziden Witz. Manchmal einfach
Trotz. Und manchmal lächelt Mascha Alechina auf der Bühne. Schüchtern.
Schelmisch.
Zum Schluss heißt es noch: „Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich
für sie kämpft.“ Man mag das als Merksätzchen mit nach Hause tragen.
Solider Agitprop. Und der künstlerische Mehrwert? Ja, doch. Jedenfalls wird
ein Teil der Erlöse, auch das wurde gleich zu Beginn verkündet, an
MediaZona gehen, das von Alechina und Tolokonnikowa gegründete
Medienprojekt, das dem unabhängigen Journalismus auch in Russland eine
Stimme geben will. Und diese Stimme wird sich wohl nicht gleich
korrumpieren lassen, wenn sie mit etwas Geld aus dem Westen gefördert wird.
15 Jan 2018
## AUTOREN
Thomas Mauch
## TAGS
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