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# taz.de -- Opposition in Russland: Glückwünsche mit fatalen Folgen
> Die Performance-Künstlerin und Ex-Frontfrau der Band Pussy Riot, Maria
> Aljochina, wird bei einer Protestaktion in Moskau festgenommen.
Bild: Pussy Riot beim Punkgebet in der Moskauer Christi Erlöser Kirche 2012
Moskau taz | Am 20. Dezember feiert der russische Geheimdienst immer
Geburtstag. Diesmal ist es ein runder. Vor hundert Jahren wurde die
sowjetische „Tscheka“ aus der Taufe gehoben. Seither heißen Russlands
Agenten im Volksmund auch Tschekisten.
Die erste Gratulantin an diesem Mittwoch Morgen war Maria Aljochina. Sie
entfaltete an der Eingangstür des FSB-Gebäudes an der Bolschaja Lubjanka
ein Transparent mit Glückwünschen. „Wir gratulieren zum Geburtstag, (ihr)
Henker“. Dabei wurde sie festgenommen und sitzt seither auf einer
Polizeiwache im Moskauer Zentrum. Maria Aljochina war eine der Frontfrauen
der Frauenpunkband „Pussy Riot“.
In den letzten Tagen war die Performancekünstlerin eher durch eine
ungewöhnliche private Beziehung aufgefallen. Monatelang hatte sie es
verborgen, bis sie es dann doch öffentlich einräumen musste. Sie hat eine
Liaison mit dem Anführer der Moskauer Aktivistengruppe „Gottes Wille“.
Dmitri Zorionow, besser bekannt unter dem orthodoxen Kampfnamen Enteo, war
lange Zeit ein ultraorthodoxer Gotteskrieger. Vor zwei Jahren zerschlug der
Absolvent der Moskauer Diplomatenschmiede MGIMO in der
Manege-Ausstellungshalle vor den Toren des Kreml Skulpturen eines
christlichen Bildhauers. Grund: Sie fügten sich nicht in sein religiöses
Verständnis’.
## Offenbarung beim Militär
Der junge Mann gehört zu den Späterleuchteten, noch als Student versuchte
er es mit Yoga-Rave und New Age. Die Offenbarung soll sich in Sibirien beim
Militär zugetragen haben. Dort versuchte er Russlands konfessionelle
Vielfalt für den orthodoxen Glauben zu missionieren.
Militant und aktiv wurde der Diplomatensohn indes erst 2012. Damals hatte
die Punkband Pussy Riot in der Christi-Erlöser-Kirche in Moskau mit einem
Punkgebet für Furore gesorgt. Die Frauen kreischten „Jungfrau Maria werde
eine Feministin“ und „verjage Putin“.
Nach einer Auszeit als Ministerpräsident wollte sich Wladimir Putin im März
wiederwählen lassen. Dem waren Massenproteste wegen Wahlbetrugs der
Kremlpartei bei den Dumawahlen 2011 vorausgegangen. Im Schulterschluss mit
der orthodoxen Kirche ging der Kreml gegen Pussy Riot und die
Protestbewegung vor.
Vierzig Sekunden dauerte der Auftritt, bis die Wachen die maskierten Frauen
aus der Erlöser-Kathedrale entfernten. Noch im Sommer wurden sie zu einer
zweijährigen Lagerstrafe wegen der Entfachung religiösen Hasses verurteilt.
## Öffentliche Gebete
Enteo gründete damals den Kampfbund „Gottes Wille“, um der Forderung nach
einer Haftstrafe für die Frauen Nachdruck zu verleihen. Ansonsten agitierte
er gegen Homosexualität und Abtreibung. In der Bewegung „Pro Life“
organisierte er öffentliche Gebete gegen „Propaganda für Homosexualität“
und allerlei blasphemische Auswüchse.
Heute sind Enteo und Maria Aljochina ein Paar. Zuletzt war Aljochina mit
dem Theaterstück „Burning Doors“ in Europa und den USA unterwegs. Vor
Kurzem erschien das Buch „Riot Days“, eine Sammlung von Reflexionen aus der
Zeit in der Frauenkolonie.
„Es ist nicht nur meine Geschichte, es ist die Pussy Riots und Russlands.
Ob Polizisten, Gefangene und Wärter, sie alle trafen ihre Wahl“, sagt sie.
Jeder habe die Wahl. Auch sie hat ihre Wahl getroffen. Als Maria sich nach
fast einem Jahr zu der Beziehung mit Enteo bekannte, ging ein Aufschrei
durch die Protestszene. Viele kündigten ihr die Freundschaft auf.
Angefangen hatte alles vor einem Jahr auf einem Fest des liberalen
Radiosenders Echo Moskwy. „Hallo, ich bin Mascha!“, will sie sich Zorionow
vorgestellt haben. Der wollte sich gleich mit ihr treffen. Später willigte
sie ein, da sie wissen wollte, was das für ein Mensch sei, der eine
Bewegung gründet, um sie ins Gefängnis zu bringen.
## Häufig Konflikte
In einer ersten gemeinsamen Aktion lasen sie im Frühjahr dieses Jahres vor
dem Justizministerium aus dem Matthäus-Evangelium – „richtet nicht, damit
ihr nicht gerichtet werdet“.
Maria schleppt Dmitri mit zu Demonstrationen des linken Spektrums.
Inzwischen befasst sich dieser in einer neuen Organisation mit
„Entkommunisierung“, der Befreiung vom kommunistischen Erbe.
Konflikte seien an der Tagesordnung, gesteht sie dem russischen Medium
Takie dela. Richtig ärgerlich wurde Aljochina, als sie für die Freilassung
des Starregisseurs Kirill Serebrennikow demonstrierte. Dmitri hielt
dagegen: vor Leuten wie dem schwulen Theatermann müsse die Kultur geschützt
werden. Seine Metamorphose ist noch nicht abgeschlossen. „Über unseren
ersten Sex werde ich jetzt nichts erzählen“, sagte sie.
20 Dec 2017
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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