# taz.de -- Pussy Riot in Berlin: Penisgespräche | |
> Nadeschda Tolokonnikowa stellt im Berliner Gorki Theater ihre | |
> manifestartige Biografie „Anleitung für eine Revolution“ vor. Loriot wä… | |
> stolz auf sie. | |
Bild: Pussy-Riot-Mitbegründerin Nadeschda Tolokonnikowa beim Literaturfestival… | |
Um klare Worte ist Nadja Tolokonnikowa selten verlegen. Je länger und | |
ermüdender die Fragen ihres Gesprächspartners Michail Ryklin an diesem | |
Abend werden, desto kürzer, knackiger und ironischer werden die Antworten | |
der 26-jährigen Performancekünstlerin und Autorin, die mit Pussy Riot | |
weltweit bekannt wurde. | |
Als Autor und Kremlkritiker Ryklin lang und breit über die Ambivalenz | |
revolutionärer Bewegungen doziert und fragt, ob Tolokonnikowa sich mit | |
ihrem Buch „Anleitung für eine Revolution“ denn nun als Revolutionärin | |
sehe, sagt sie nur noch: „Das ist eher spielerisch als allzu ernst gemeint. | |
Ich habe große Angst vor zu viel Ernsthaftigkeit. Deswegen macht mir diese | |
Frage Angst.“ Spitzes Grinsen. Schweigen. Nächste Frage. | |
Zur Buchpremiere von „Anleitung für eine Revolution“ ist Tolokonnikowa am | |
Montag ins Berliner Gorki Theater gekommen – und es gibt einen gewissen | |
Clash, der sich ziemlich genau zwischen Interviewer und Interviewter | |
auftut. | |
Auf der einen Seite Tolokonnikowa, dicker schwarzer Lippenstift, schwarz | |
gefärbte Haare, hellblau-orangene Satinjacke, Leggins und Laufschuhe, die | |
sie am Ende auf den Tisch legt. Das Äußere eines Popstars, den Habitus | |
eines Popstars. Eine coole Sau. | |
## Lagerhaft in Mordwinien | |
Neben ihr Ryklin, Philosophieprofessor mit lederner Wissenschaftlertasche | |
am Fuße seines Stuhls. Der 68-Jährige kennt zweifelsohne die politischen | |
Landschaft Russlands, dagegen weniger die popkulturellen Techniken, derer | |
sich Tolokonnikowa in ihrer manifestartigen Biografie bedient. | |
Diese erschien kürzlich weltweit als Erstes in der deutschen Ausgabe. Sie | |
beschreibt darin ihr Leben in Lagerhaft in Mordwinien, zu der sie nach dem | |
Punk-Gebet Pussy Riots 2012 verurteilt worden war. Sie streut subversive | |
und feministische Imperative ein. Etwa: „Feministischer Punk raubt dir den | |
Verstand, doch es lohnt sich – wehre dich nicht dagegen.“ Oder: „Suche | |
Liebe auf öffentlichen Plätzen“. | |
Welcher Strömung des Feminismus sie sich denn zugehörig fühle, will Ryklin | |
wissen. Nun, den Missy Elliott–Feminismus fände sie ganz gut, aber auch die | |
junge New Yorker Rapperin Junglepussy sei ziemlich okay (sie zitiert ein | |
paar Verse aus deren Song: [1][“Bling bling bitch do my own thing bitch/ | |
Fuck a wedding ring“]). | |
Auch die neue feministische Website [2][Broadly] verfolge sie. Sie fände es | |
gut, wenn es für Frauen normaler werde, Single oder ledig zu bleiben oder | |
eben Frauen zu lieben. Ihre Mission sei es, sich selbst als Slut, als | |
Schlampe, bezeichnen zu können. Ryklin nickt. Aha. Nächste Frage. | |
## Phallozentrische Gesellschaft | |
Es ergeben sich immerhin loriotartige Dialoge. Sie kritisiere ja auch die | |
phallozentrische Gesellschaft, setzt Ryklin an und sagt: „Sie schreiben: | |
‚Ich bin eine Frau, aber auch ich habe einen Schwanz, und der ist größer | |
als Putins.‘“ Ryklin will über die begriffliche Diskrepanz zwischen Penis | |
und Phallus sprechen. | |
Klar, er sei ja auch Philosoph, wendet sie ein. „Phallus ist ein Symbol der | |
Macht und Penis ist was Irdischeres“, konstatiert er. Da staunt selbst | |
Tolokonnikowa - die Philosophen hätten doch nur die Worte Glied oder Penis | |
nicht in den Mund nehmen wollen und deshalb den Phallus erfunden. | |
Natürlich gefällt sich Tolokonnikowa auch in dieser lässig-ironischen Pose | |
- während Cynthia Micas, Mitglied des Gorki-Ensembles, die deutsche | |
Übersetzung aus ihrem Buch liest , scrollt sie zurückgelehnt auf dem | |
Smartphone herum. Dabei macht Micas das ziemlich gut – der Humor als letzte | |
Rettung, wie er im Buch der russischen Aktivistin immer wieder erscheint, | |
kommt gut rüber. | |
Ryklin spricht Tolokonnikowa noch auf ihre kürzlich gegründete Organisation | |
„Zone des Rechts“ (Zona Prawa) an, mit der sie sich für Gefangenenrechte | |
einsetzt. Ob sie nun der Aktionskunst abschwöre? | |
## Falsches Gegenüber | |
Nein, sie habe „aufrichtig versucht mit der Kunst zu brechen“, aber es | |
nicht geschafft. Manchmal aber wird sie auch ernster, etwa wenn sie immer | |
wieder den derzeit inhaftierten Künstler Pjotr Pawlenski und dessen | |
drastische Aktionen lobt. Oder wenn sie von ihrer Lagerhaft spricht: „Ich | |
habe die Mikrogesellschaft Knast kennengelernt, deshalb kann ich jetzt auch | |
besser verstehen, was in Russland passiert“, erklärt sie. | |
Das Publikum hätte sie an diesem Abend noch besser verstanden, wenn sie ein | |
Gegenüber auf gleicher Wellenlänge gehabt hätte. | |
15 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=nO6_NctAHiw | |
[2] https://broadly.vice.com/en_us | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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