# taz.de -- Ramona Pop über Berlins Wirtschaft: „Richtung Innovation“ | |
> Ökologische Modernisierung ist gut für die wirtschaftliche | |
> Zukunftssicherung. Jobabbau bei großen Konzernen ist jedoch nicht zu | |
> vermeiden. | |
Bild: Ramona Pop im Dezember 2017 | |
taz: Frau Pop, geht es bei rot-rot-grüner Wirtschaftspolitik darum, | |
möglichst viele oder möglichst nachhaltige Unternehmen in die Stadt zu | |
holen? | |
Ramona Pop: Wir konzentrieren uns: Berlin legt einen Schwerpunkt auf vier | |
sogenannte Cluster: Optik, Gesundheit, Informations- und | |
Kommunikationstechnologie und Mobilität. Dazu kommt die Energietechnik. | |
Wenn man sich die Zahlen anschaut, entstehen die meisten neuen | |
Arbeitsplätze in diesen Clustern. | |
Die Antwort wäre also: nachhaltig ja, gern aber auch viele? | |
Durch Wirtschaftspolitik sollen doch Arbeitsplätze in der Stadt entstehen. | |
Gerade in den nachhaltigen Feldern werden Berliner Unternehmen immer | |
stärker. Die ökologische Modernisierung ist die Zukunftssicherung unserer | |
Wirtschaft. | |
Gaskraftwerke, für die Siemens bislang in Berlin Turbinen baut, stehen | |
nicht gerade für Nachhaltigkeit. Wollen Sie dennoch daran festhalten? | |
Gaskraftwerke sind eine Übergangstechnologie, die wir brauchen werden, wenn | |
wir den Kohleausstieg möglichst schnell hinbekommen wollen. | |
Es macht also Sinn, auch die von Siemens nicht mehr gewollten Jobs in der | |
Gasturbinenproduktion zu erhalten? | |
Natürlich sollen die Arbeitsplätze erhalten werden. Aber es soll eben auch | |
Neues entstehen. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass auf der Demonstration | |
zum Erhalt der Siemens-Arbeitsplätze IG-Metall-Vertreter sagten: „Wir haben | |
hier qualifizierte Leute vor Ort, lasst uns doch gemeinsam die neuen | |
Produkte für die neue Energiewelt hier in Berlin entwickeln.“ Auch die | |
Gewerkschaft beharrt nicht auf Altem, sondern drängt darauf, den Zug | |
Richtung Innovation nicht zu verpassen. | |
Der entscheidende Punkt ist ja genau das, was Sie gerade von den | |
IG-Metallern zitiert haben: Sehr gute Rahmenbedingungen, sicheres Umfeld, | |
Fachkräfte, attraktive Stadt – und doch kündigt Siemens hier seinen Leuten, | |
statt mit denen den Umbau anzugehen. | |
Ich glaube, dass wir mit Siemens noch nicht am Ende der Diskussion | |
angekommen sind. Es findet ja unternehmensintern der Abstimmungsprozess | |
statt, in welcher Form und in welcher Größenordnung dieser | |
Arbeitsplatzabbau tatsächlich stattfindet. Da wollen wir uns als Politik | |
nicht einmischen. | |
Wieso denn nicht? | |
Das sind unternehmensinterne Diskussionen zwischen den Sozialpartnern. | |
Ansonsten tun wir das natürlich, indem wir mit Siemens über Innovationen | |
sprechen. | |
Wirtschaftspolitik bewegt sich auf einem schmalen Grat. Natürlich gibt es | |
Tarifautonomie und interne Prozesse. Aber der Staat kann sich mit | |
finanziellen Anreizen auch eine gewisse Mitbestimmung sichern. | |
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass Unternehmen nur genau so lange | |
ihre Arbeitsplätze erhalten haben, wie sie dazu vertraglich verpflichtet | |
waren. | |
Samsung zum Beispiel, das direkt nach Ablauf der Frist ihr Fernsehwerk mit | |
500 Mitarbeitern in Oberschöneweide geschlossen hat. | |
Deshalb bin ich vorsichtig bei dem Weg, Unternehmen allein mit | |
Fördermitteln zu ködern. Siemens ist ein anderer Fall: Das Unternehmen ist | |
nicht nur in Berlin gegründet, es hat hier immer noch seinen weltweit | |
größten Produktionsstandort. Deshalb ist nicht nur Siemens wichtig für | |
Berlin – Siemens ist sich auch bewusst, dass Berlin für das Unternehmen | |
wichtig ist. Insofern gibt es da auch eine andere Gesprächsgrundlage. | |
Es wäre auch schwierig zu vermitteln, dass ein hochverschuldetes Land wie | |
Berlin ein Unternehmen fördert, das Milliardengewinne macht. | |
Da gibt es klare Regeln: Großunternehmen können nicht gefördert werden, | |
dafür sind diese Mittel nicht da. Fördern können wir beispielsweise | |
Investitionen und Erweiterungen in neue Betriebsstätten. Das tun wir auch. | |
Ich erinnere mich an Zeiten vor Jahren, da wurden diese Mittel nur zu 60, | |
70 Prozent ausgeschöpft – heute müssen wir sogar Mittel aus anderen | |
Bundesländern anfordern, um in Berlin die Nachfrage zu befriedigen. Wir | |
überlegen, ob wir nicht wieder strategisch Gewerbeflächen ankaufen müssen. | |
Die vorhergehenden Regierungen haben da viel verscherbelt. Man denke nur an | |
die früher landeseigenen Gewerbehöfe. | |
Sie sagten, Siemens sei sich der Bedeutung von Berlin für das Unternehmen | |
bewusst. Woher wissen Sie das? Siemens ist ein Global Player mit 400.000 | |
Mitarbeitern. | |
Siemens findet hier gute Bedingungen vor. | |
Sagt Siemens das oder sagen Sie das? | |
Das sagt auch Siemens, sonst würden sie ja nicht das Kompetenzzentrum für | |
Gasturbinen aus den USA in Berlin konzentrieren. Hier gibt es Kompetenzen | |
gerade an der Schnittstelle von klassischer Industrie zu neuen | |
Technologien, zu Dienstleistungen rund um die Industrie, zu Digitalisierung | |
– all das ist für Siemens wichtig, und das findet man nicht überall auf der | |
Welt. Wir müssen aufhören, Berlin schlechtzureden in Sachen Industrie. | |
Trotzdem hat Siemens Massenentlassungen angekündigt, statt zu sagen, man | |
wolle mit den guten Mitarbeitern etwas Neues machen! | |
Ich kann die Siemens-Unternehmensstrategie nicht begründen – ich finde sie | |
an vielen Stellen nicht durchdacht. Die Politik muss auch mit einem global | |
agierenden Unternehmen deswegen die Debatte führen: „Wo wollt ihr | |
eigentlich hin?“ Im Fall Siemens geht es dabei gerade um den Bereich | |
Energie. Man muss das Unternehmen fragen, ob es mit diesem auch in Zeiten | |
der Energiewende Geld verdienen oder ihn abwickeln will. | |
Das ist also die Art von Einmischung, die sich die Politik erlauben darf: | |
Ziele definieren von Konzernen, damit die ihre Strukturen anpassen können? | |
Ja. Und natürlich in aller Härte die Debatte führen, wie es zusammenpasst | |
in einer sozialen Marktwirtschaft, wenn man Milliardengewinne einfährt und | |
trotzdem Massenentlassungen ankündigt. Ich habe den Eindruck, dass das bei | |
Siemens durchaus zu einem Nachdenken geführt hat. | |
Bis wann hoffen Sie auf eine Klärung der Lage? | |
Wir – also jene, die mit dem Bundeswirtschaftsministerium die Gespräche | |
geführt haben – sind rund um Ostern herum mit Siemens verabredet. | |
Gibt es aus Ihrer grünen Partei Druck, die Nachhaltigkeit in der | |
Wirtschaftspolitik stärker zu betonen, sogar auf Kosten von Arbeitsplätzen? | |
Der letzte Landesparteitag der Grünen hat einstimmig eine Resolution zum | |
Erhalt der Arbeitsplätze bei Siemens in Berlin verabschiedet. Das ist ein | |
Stück weit die Antwort auf Ihre Frage. Natürlich gibt es bei den Grünen, | |
aber auch bei vielen Unternehmen, wie wir das Thema Nachhaltigkeit stärker | |
durch deklinieren könnten – das betrifft nahezu alle Unternehmen, auch die | |
landeseigenen. Die Unternehmen sind oft weiter, als viele denken. | |
Nicht nur Siemens hat angekündigt, Mitarbeiter zu entlassen, sondern auch | |
der US-Konzern General Electric (GE), wo 500 Jobs in Berlin wegfallen | |
sollen. Und mit der Pleite von Air Berlin gingen hier mehr als 3.000 | |
Arbeitsplätze verloren. Wo handeln Sie bei so vielen Baustellen zuerst? | |
Haben Sie bei GE, der ja keinen direkten Bezug zu Berlin haben, weniger | |
Hoffnungen? | |
Auch da gab es einen Dialog; der Stellenabbau kam nicht überraschend. Und | |
GE wird trotz Abbau in Berlin bleiben. | |
In diesem Fall klingen Sie nicht so kämpferisch wie bei Siemens, dass Sie | |
die Arbeitsplätze erhalten können. | |
Hier fürchte ich, dass wir wenig ausrichten können. | |
Auch bei Siemens und Air Berlin waren die Einschnitte schon lange absehbar. | |
Fühlten Sie sich als Wirtschaftssenatorin nicht vor den Kopf gestoßen, weil | |
Sie letztlich die erkennbaren Fehler der Unternehmen korrigieren sollen? | |
(überlegt lange) Das ist Marktwirtschaft. Wenn ein Unternehmen sich nicht | |
mehr behaupten kann, wenn das Geschäftsmodell, aus welchen Gründen auch | |
immer, nicht mehr funktioniert, dann habe ich da keinen Einfluss drauf. | |
Natürlich nicht. Aber das war auch nicht die Frage. | |
Es war nicht im Detail erkennbar, wie sich Air Berlin nach der Pleite | |
entwickeln würde. Ob es zu einer Unternehmensübernahme kommen würde zum | |
Beispiel. Oder von wem Air Berlin aufgekauft wird. | |
Bei dem Wunsch nach Gewerbeflächen konkurrieren Sie direkt und massiv mit | |
Bausenatorin Lompscher, die die dringend benötigten Wohnungen fertigstellen | |
soll. | |
Das stimmen wir miteinander ab. In der Koalition gibt es das klare Ziel, | |
die Liegenschaftspolitik anders aufzustellen und auch wieder Flächen zu | |
kaufen – für Wohnungen, Schulen, Kultur und eben auch für die Wirtschaft. | |
Für Letzteres stimmen wir gerade die Verfahren ab. | |
Viele Menschen wollen lieber in der Innenstadt leben. Ist es da überhaupt | |
sinnvoll, auf dem Noch-Flughafengelände in Tegel Industrie anzusiedeln – | |
die könnte ja auch weiter draußen unterkommen? | |
Tegel hätte den großen Vorteil, dass mit dem dort ebenfalls geplanten | |
Wohnungsbau Wohnen und Arbeiten zusammenkommen – das ist eine Berliner | |
Stärke, die unsere Stadt attraktiv macht. | |
Wie in der Siemensstadt. | |
Nicht nur, sondern auch aus der Mischung in Altbau-Kiezen. Heute geht es | |
nicht mehr um die rauchenden Schlote, sondern um kleine Gewerbeeinheiten | |
und natürlich um neue, moderne Industrie. Das verträgt sich mit der Stadt | |
und mit Wohnungen und nicht nur in Tegel, sondern auch in anderen Teilen | |
der Innenstadt. | |
Finden die noch Fachkräfte? | |
Es wird langsam knapp. Das muss man ganz klar sagen. Den Bedarf decken wir | |
durch den Zuzug; in einigen Branchen reicht das gerade noch so. Auch im | |
öffentlichen Dienst spüren wir es. | |
Da kommt doch eine Spirale in Gang: Die Firmen wachsen, die Leute ziehen | |
her, Wohnungen werden noch knapper und teurer. Hier wird eine Entwicklung | |
forciert, die man doch verhindern möchte. | |
Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die Stadt darf nicht mehr wachsen und | |
wir stülpen eine Käseglocke darüber. Wir müssen die Veränderungen politisch | |
gestalten. Wir müssen für genügend bezahlbare Wohnungen sorgen für jene, | |
die hierher ziehen und die schon hier wohnen. Das setzt die Spirale | |
vielleicht nicht außer Kraft, dämpft aber die Beschleunigung der | |
Entwicklung. | |
Glauben Sie noch daran, dass die Koalition das schafft? | |
Das müssen wir schaffen. Es ist die Anforderung, die die Stadt an uns | |
stellt. Die Stadt soll ja weiter wachsen, und Berlin soll eine Stadt | |
bleiben, in der wir gut und gerne leben. Die wirtschaftliche Entwicklung | |
unterstützt das – das ist ja das Gute. Eine schrumpfende Stadt wünscht sich | |
niemand – da gab es vor noch gar nicht so vielen Jahren genug | |
Horrorszenarien. Gut, dass diese nicht Realität geworden sind. | |
11 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Bert Schulz | |
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