# taz.de -- EU und Reformen: Warten auf Deutschland | |
> 2018 will Brüssel wichtige Projekte angehen. Aber Kanzlerin Angela Merkel | |
> steht auf der Bremse. Sogar Parteifreund Oettinger mahnt zur Eile. | |
Bild: Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel am 15. Dezember 2017 in Brüssel | |
Brüssel taz | „Einigkeit macht stark“. Unter diesem Motto startet Bulgarien | |
am 1. Januar 2018 in den sechsmonatigen EU-Vorsitz. Auch der deutsche | |
EU-Kommissar Günther Oettinger gibt sich optimistisch. „Ich arbeite an der | |
Stärkung der Europäischen Union“, sagte der CDU-Politiker in einem der | |
letzten Interviews des vergangenen Jahres. | |
2018 soll die EU besser und stärker dastehen als bisher. Im Mai will | |
Oettinger ein zukunfstweisendes Budget für die Jahre 2021 bis 2027 auf den | |
Weg bringen. Bis Juni soll die Flüchtlingspolitik reformiert werden – mit | |
mehr Grenzschutz und mehr Solidarität. | |
Auch die Reform der Euro-Währungsunion und das Ende des dritten | |
Hilfsprogramms für Griechenland stehen 2018 auf dem Programm. Wenn alles | |
gut läuft, soll im Herbst der Austrittsvertrag für Großbritannien stehen. | |
Doch dieser Plan ist schon jetzt überholt. Denn der letzte EU-Gipfel im | |
Dezember hat die „Leader’s Agenda“, die Ratspräsident Donald Tusk entwor… | |
hatte, durcheinander gewirbelt. Bei der Euro-Reform gab es keine Bewegung, | |
in der Flüchtlingspolitik ging es sogar zurück. | |
## Streit voll entbrannt | |
Der Streit zwischen den aufnahmebereiten Ländern in Westeuropa und den | |
Solidaritäts-Verweigerern im Osten ist wieder voll entbrannt. Österreichs | |
Bundeskanzler Sebastian Kurz will die Verhandlungen über neue | |
Flüchtlingsquoten sogar beenden. Da sein Land im Juli 2018 den EU-Vorsitz | |
von Bulgarien übernimmt, könnte dies das Aus für diese wichtige Reform | |
bedeuten. | |
Noch schwerer wiegt, dass sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zur | |
„Lame duck“ entwickelt. Seit dem Scheitern der Jamaika-Koalition mit Grünen | |
und Liberalen ist Merkel angeschlagen. Die CDU-Chefin hofft zwar auf eine | |
große Koalition mit den Sozialdemokraten – doch die Genossen halten sie | |
hin. | |
Aus EU-Sicht ist das paradox. Denn SPD-Chef Martin Schulz fordert genau | |
jene Reformen, die Merkel behindert. Schulz will, genau wie Frankreichs | |
Staatschef Emmanuel Macron, einen „Neustart“ bei der EU und beim Euro. Er | |
fordert sogar die „Vereinigten Staaten von Europa“. | |
In Berlin kommt dies nicht gut an, in Brüssel umso mehr. Im | |
Europaparlament, das Schulz bis Ende 2016 führte, gibt es die | |
Spinelli-Gruppe, die für ein föderales Europa eintritt. Und in der | |
EU-Kommission würde man lieber heute als morgen die Macht über 27 | |
föderierte Staaten übernehmen. | |
## Kein Unwort | |
„Die Vereinigten Staaten von Europa sind kein Unwort“, so CDU-Mann | |
Oettinger. „Bis zur Euro-Krise habe ich die Idee auch in meiner eigenen | |
Partei gehört.“ Allerdings sei diese Vision für die Reformdebatte nicht | |
hilfreich. Daher arbeite er lieber an der Stärkung der EU. | |
Das nimmt auch Merkel für sich in Anspruch. Doch in Brüssel steht die | |
Kanzlerin auf der Bremse. Beim letzten EU-Gipfel im Dezember hat sie Macron | |
und Tusk auf März vertröstet – erst dann soll es eine deutsch-französische | |
Initiative zur Reform der Eurozone geben. | |
Doch selbst diese Ankündigung steht unter dem Vorbehalt, dass bis dahin | |
eine neue Koalition in Berlin steht. | |
Doch was passiert, wenn Deutschland auch Ostern noch keine neue Regierung | |
hat? Für die EU wäre das ein „Worst Case“-Szenario. Denn den Erneuerern in | |
Brüssel und Paris läuft die Zeit davon. | |
## Countdown zum Brexit | |
Spätestens im Herbst sollen alle Reformen unter Dach und Fach sein. Danach | |
beginnt nicht nur der Countdown zum Brexit – am 29. März 2019 ist alles | |
vorbei – sondern auch der Vorwahlkampf zur Europawahl im Frühsommer 2019. | |
An neue EU-Gesetze oder größere Umbauten ist dann nicht mehr zu denken. | |
Dabei braucht die Union eine Frischzellenkur, wenn sie vor dem Wähler | |
bestehen will. Ein „weiter so“ dürfe es nicht geben, waren sich die | |
EU-Politiker nach dem britischen EU-Referendum im Juni 2016 einig. | |
Eineinhalb Jahre später sieht es so aus, als könne die Erneuerung an | |
Deutschland scheitern. | |
1 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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