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# taz.de -- EU-Verfahren gegen Mitgliedstaat: Polen hat es auf die Spitze getri…
> Zum ersten Mal leitet Brüssel ein Verfahren wegen Gefährdung von
> Grundwerten gegen ein EU-Land ein. Was bedeutet das? Fragen und
> Antworten.
Bild: Mit EU-Fahnen und Kerzen gegen die Justizreformen: Proteste im Oktober in…
Die EU-Kommission hat ein bisher noch nie dagewesenes Sanktionsverfahren
gegen Polen eingeleitet. Warum?
Im Kern geht es um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz – und um die
Weigerung der Regierung in Warschau, auf die Bedenken und Beschwerden aus
Brüssel einzugehen. In den vergangenen zwei Jahren habe die
rechtsgerichtete Regierung der PiS in Polen „mehr als 13 Gesetze“ erlassen,
die „die gesamte Struktur des Rechtssystems“ verändern, kritisierte
Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans. Mehr als 25 Beschwerdebriefe aus
Brüssel hätten daran nichts geändert. Nun bestehe die „ernste Gefahr“, d…
die Rechtsstaatlichkeit in Polen missachtet wird – und damit ein
Grundprinzip der EU.
Auf welcher Grundlage handelt die EU-Kommission?
Die Rechtsgrundlage ist Artikel 7 des EU-Vertrags, in dem es um eine
„schwerwiegende Verletzung“ der europäischen Werte durch einen
Mitgliedstaat geht. Dabei unterscheidet der Vertrag zwischen einer
„eindeutigen Gefahr“ und der tatsächlichen Verletzung. Die „Gefahr“ mu…
von vier Fünfteln der EU-Mitglieder festgestellt werden – nach Zustimmung
des Europäischen Parlaments und Anhörung des betroffenen Landes. Erst
danach geht es um die sogenannte „Nuklearoption“, das heißt die Aussetzung
des Stimmrechts des betroffenen Staats. So weit sei es noch nicht, sagte
Timmermans. Dennoch stellt der Start eines Sanktionsverfahrens eine
Premiere dar: Artikel 7 ist bisher noch nie angewandt worden.
Warum hat Brüssel so lange gezögert?
Die EU-Kommission hat sich schon im Januar 2016 eingeschaltet. Zunächst hat
sie jedoch einen „konstruktiven Dialog“ gesucht, wie dies im EU-Jargon
heißt. Als das zu nichts führte, hat sie im Juli 2017 mit einem
Sanktionsverfahren gedroht. Passiert ist jedoch nichts – weil damals noch
nicht alle EU-Staaten bereit waren, das Verfahren mitzutragen. Vor allem
Deutschland zögerte, nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl. Beim
letzten EU-Gipfel Mitte Dezember hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dann
aber Unterstützung signalisiert.
Wie geht es jetzt weiter?
Zunächst dürfte Polen angehört werden. Wenn die Zweifel an der
Rechtsstaatlichkeit weiterbestehen, muss das Europaparlament dem
Sanktionsverfahren zustimmen. Erst danach wäre eine Entscheidung des Rates
möglich. Allerdings hat die EU-Kommission Polen noch einmal drei Monate
Zeit gegeben, um es sich anders zu überlegen. Konkret geht es um fünf
Empfehlungen: Unter anderem soll die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts
wieder hergestellt werden. Sollte dies geschehen, könne man das Verfahren
stoppen, sagte Timmermans. In der Praxis wird also wohl bis Ende März
abgewartet.
Der Rat muss einstimmig feststellen, dass eine schwerwiegende und
anhaltende Verletzung der EU-Werte vorliegt. Wie wahrscheinlich ist das?
Es ist so gut wie ausgeschlossen, denn Ungarn hat sich bereits hinter Polen
gestellt und ein Veto angekündigt. Dagegen hat Frankreich das nun
eingeleitete Verfahren genau wie Deutschland begrüßt. Die Kommission hat
also die Rückendeckung der beiden wichtigsten EU-Staaten, sie weiß jedoch
auch, dass sie bei einer Kampfabstimmung den Kürzeren ziehen würde.
Wie hat Polen reagiert?
Das polnische Außenministerium hat die Entscheidung Brüssels kritisiert.
Der Beschluss der EU-Kommission habe politischen und nicht rechtlichen
Charakter, erklärte das Ministerium am Mittwoch.
Ist es politisch klug, ein Land so an den Pranger zu stellen?
Das hat sich die EU-Kommission auch gefragt – und deshalb lange gezögert.
Vizepräsident Timmermans betont nun, dass sich die Prozedur nicht gegen
Polen und seine Bürger richte – im Gegenteil: Man wolle sicherstellen, dass
auch die polnischen Bürger in den Genuss einer unabhängigen und fairen
Justiz kommen.
Was passiert, wenn wieder nichts passiert? Ist die EU dann gescheitert?
Darüber möchte Brüssel lieber nicht nachdenken. Die EU-Kommission hat schon
jetzt Autorität eingebüßt, weil sie zwei Jahre lang nicht in der Lage war,
die Rechtsregierung in Warschau in die Schranken zu weisen. Für ein
Scheitern im Ministerrat wäre aber nicht nur Brüssel verantwortlich – dort
sind alle EU-Staaten gefragt.
20 Dec 2017
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
Polen
Europäische Union
Sanktionen
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