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# taz.de -- Risikofaktor Lkw: Links, links, links!
> In Osnabrück sterben immer wieder Radfahrer bei Lkw-Unfällen. Jetzt
> fordern Radfahr-Aktivisten einen radikalen Neuansatz: ein
> Rechtsabbiegeverbot für Lkws.
Bild: Die „Ghostbikes“ in Osnabrück erinnern an die bei Lkw-Unfällen get�…
Osnabrück im Oktober 2017: Eine 71-jährige Radfahrerin wird an der Kreuzung
Lengericher Landstraße/An der Blankenburg von einem rechtsabbiegenden LKW
getötet. Osnabrück, im Oktober 2016: Eine 59-jährige Radfahrerin wird am
Goethering von einem rechtsabbiegenden LKW getötet. Osnabrück, im Oktober
2015: Ein 21-jähriger Radfahrer wird an der Ecke Springmannskamp/Natruper
Straße von einem rechtsabbiegenden LKW getötet. Osnabrück, im Oktober 2014:
Ein 47-jähriger Radfahrer wird an der Kreuzung
Johannistorwall/Kommenderiestraße von einem rechtsabbiegenden LKW getötet.
Daniel Doerk, Osnabrücker Radfahr-Aktivist, findet auf seinem Blog „[1][it
started with a fight]“, der alle Unfälle listet, das richtige Wort dafür:
„Eine Tragödie!“
Viel zu lange hat Osnabrück es mit dieser Tragödie gemacht wie ein
Theaterbesucher: Man schaut zu und geht danach zur Tagesordnung über. Ein
paar Betroffenheitsfloskeln plus die immer gleichen Halbherzigkeiten, was
man tun müsste, könnte, sollte – das war's.
Aber jetzt passiert etwas, endlich. Und nicht nur ein paar breitere
Radstreifen und getrennte Grünphasen wie an der „Todeskreuzung“
Johannistorwall/Kommenderiestraße, an der mittlerweile schon mehrere weiße
„Ghost-Bikes“ stehen, eins für jeden Radfahrer, der hier unter einem LKW
gestorben ist. Nein, etwas Radikaleres soll her: ein Rechtsabbiegeverbot
für LKWs auf dem „Wall“, also dem Wallring, der die Innenstadt umgibt – …
auf dessen westlichem Teil die Bundesstraße B68 verläuft, der viel
Güterverkehr folgt.
Stadtbaurat Frank Otte, selbst passionierter Radfahrer, hat den Plan
angeschoben. Alle LKW, die von außen auf den Ring stoßen, sollen ihn
künftig im Uhrzeigersinn befahren. Die Folge: Wenn ein LKW den Ring wieder
verlässt, geht das nur als Linksabbieger, und dabei hat der Fahrer den
kreuzenden Verkehr gut im Blick. „Verkehrsleitplanerisch ist das natürlich
sehr komplex. Aber die Zustimmung ist allseitig, von der Politik über die
Verwaltung bis zum Speditionsgewerbe. Auch rechtlich ist das im Prinzip
kein Problem“, sagt Otte.
LKWs durchfahren Osnabrück in hoher Zahl. Viele davon sind reiner
Transitverkehr. Wer die B68 ins Navi eingibt, landet unweigerlich mitten in
der Stadt. Und da ist es eng. Da fräsen sich dann 40-Tonnen-Sattelzüge aus
Polen, Rumänien oder den Niederlanden zentimeternah an Radfahrern vorbei,
deren Wege teils nur lenkerbreit sind. „Das ist dann noch ein gesondertes
Problem: Wie kriegen wir es in die Navis rein, dass es da eine neue
Regelung gibt?“, sagt Otte. „Hinweisschilder am Straßenrand reichen sicher
nicht.“ Eine Aufgabe auch für den neuen „Verkehrs-Masterplan“ der Stadt,
für den Otte jüngst von Christian Schmidt (CSU), Bundesminister für
Verkehr, einen Förderbescheid von rund 185.000 Euro erhielt. Eines der
Themen: Wirtschaftsverkehr und City-Logistik.
Wie viele LKWs Osnabrück durchfahren, weiß niemand so genau. Die 25
Freiwilligen der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) Osnabrück, die im
November eine Stichprobenzählung vornahmen als Reaktion auf den jüngsten
Radfahrertod, je zwei Stunden lang, am Morgen und am Abend eines Tages,
kamen auf 626 LKWs ab 7,5 Tonnen aufwärts. „Das ist massiv“, sagt
Wulf-Siegmar Mierke, Ratsmitglied der UWG. „Rechnen wir das mal auf 24
Stunden hoch!“
Dass Ottes Abbiegeverbot den Stadtentwicklungsausschuss und den Rat
passiert, bezweifelt er nicht: „Bis Februar könnte das durch sein. Das
hätten wir schon viel früher machen sollen.“ Der LKW-Verkehr sei eine
„große Gefahrenquelle“, es herrsche „konsequenter Handlungsbedarf“.
Die B68, die so viele LKWs in die Stadt zieht, hält Ratsmitglied Mierke
ohnehin für überflüssig. Schon 2015 hatte Otte versucht, sie herabstufen zu
lassen, war aber an der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und
Verkehr gescheitert: Wolle man sie loswerden, müsse erst der Lückenschluss
der Autobahn A33 Nord an die A1 her. Gegen den aber sprechen viele Gründe,
nicht zuletzt ökologische.
Ein Rechtsabbiegeverbot also. Zu den Befürwortern gehört der Kreisverband
Osnabrück des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). „Einziger Haken: Wie wird
das Verbot kontrolliert?“, sagt Tobias Demircioglu vom VCD. Am liebsten
würde er den Schwerlast-Durchgangsverkehr ganz aus der Innenstadt
verbannen.
Und was ist mit dem Schwerlast-Lieferverkehr? Radfahr-Aktivist Daniel Doerk
stellt sich dafür „Umschlagplätze an den Autobahnen vor, die mit großen LKW
beliefert werden“. Von dort würden dann kleinere Fahrzeuge ausschwärmen und
die Stadt beliefern. „Das wäre eine Aufgabe für die Stadt von Morgen, die
aber heute schon angegangen werden muss.“
Das Rechtsabbiegeverbot sieht Doerk zwar als Schritt in die richtige
Richtung: „In einem Verkehrssystem, in dem man möglichst wenig an den
herrschenden Umständen ändern will, kann es kurzfristig helfen.“ Aber: „W…
so oft wird auch hier eher an den Symptomen gewerkelt, statt das Problem
anzugehen.“ Doerk dringt auf eine Neuordnung des städtischen Verkehrs, auf
Flächengerechtigkeit zwischen den Verkehrsarten. „Dann würde man breite und
geschützte Radwege rund um den Wall anlegen. Und an den Kreuzungen kämen
getrennte Ampelschaltungen zum Einsatz.“ Es gebe hilfreiche Ansätze. Aber,
so Doerk: „Dass diese Ansätze Veränderungen bedeuten, scheint mir in
Osnabrück das größte Problem zu sein. Veränderungen steht man hier sehr
skeptisch gegenüber.“
Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Osnabrück setzt auf
verbesserte Radwegeführung. Anfang 2017 schrieb der Vorstand einen offenen
Brief an Wolfgang Griesert, Osnabrücks Oberbürgermeister (CDU). Dort heißt
es: Die künftige Radverkehrsplanung „muss gelegentlich auch mal die
Gefährder in die Schranken weisen, und nicht nur die Gefährdeten
ausbremsen. Schwellen vor kreuzenden Radwegen, die Vorfahrt haben, würden
sich viele Radler wünschen“. Das wäre auch ein Beitrag, die Unfälle an
Einmündungen und Kreuzungen zu senken. Die Idee des Rechtsabbiegeverbots in
Osnabrück ist also nicht konkurrenzlos.
Auch Ulrich Hoefner, Geschäftsführer der Bezirksgruppe Osnabrück-Emsland
des Gesamtverbands Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN), steht dem
Rechtsabbiegeverbot „grundsätzlich sehr offen“ gegenüber: „Unser Gewerbe
ist da mit in der Verantwortung. Wichtig ist uns nur, dass so etwas
gemeinsam mit uns diskutiert wird.“ Ihm geht es um gegenseitiges
Verständnis. Und darum, das Bild des Aasgeier-Unternehmers zu relativieren,
dem es nur um Umsatz geht: „Immerhin haben wir eine Selbstverpflichtung,
nicht durch die Stadt zu fahren, wenn es sich vermeiden lässt. Das wissen
viele gar nicht.“
Was Hoefner Radfahrern rät, bis grundsätzlichere Lösungen greifen?
„Manchmal lieber erst abwarten und den Lkw abbiegen lassen, auch wenn man
eigentlich Vorfahrt hat. Gesetzt, es passiert was, und jemand liegt im
Krankenhaus: Was nützt es ihm da, dass er recht hatte?“ Und, nein, über
Radfahrer in dunkler Kleidung, die ohne Licht fahren, oder auf der falschen
Straßenseite, sagt er lieber nichts.
Für Ottes Abbiegeplan wird jetzt jede Kreuzung des Innenstadtrings einzeln
betrachtet. Ein pauschales Verbot wäre, so das Rechtsamt der Stadt,
unzulässig, weil „übermäßig“. Betrachtet wird dennoch, was wo zur
Gefahrenabwehr getan werden kann. Gibt es Streckenalternativen, und welche
Gefahren und Konsequenzen drohen dann dort? Otte: „Vielleicht müssen wir
hier und da eine Linksabbiegerspur verlängern. Oder die Ampeln anders
schalten. Produzieren wir Staus, würde der Plan nicht akzeptiert.“
Und was, wenn ein Fahrer sich nicht daran hält? Kontrollen, so Otte, seien
nicht zu leisten. Er setzt auf „Kooperation“. Und: „Ich fände es schön,…
positiv auszudrücken: Linksabbiegegebot statt Rechtsabbiegeverbot.“ Wie
auch immer es später heißen wird: Es ist nur ein Tropfen auf den heißen
Stein. Denn, sagt Doerk: „Das Problem wird damit ja nur am Wall angegangen,
nicht an den hunderten sonstigen Kreuzungen.“
26 Dec 2017
## LINKS
[1] http://itstartedwithafight.de/
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Fahrrad
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