# taz.de -- Sachbuch zu Queerness und Homophobie: Verschiedene Wege der Befreiu… | |
> Hat queerer Aktivismus dazu beigetragen, weltweit einen homophoben | |
> Gegenschlag zu erleichtern? Das ergründen zwei Politologen in „Queer | |
> Wars“. | |
Bild: Eine Teilnehmerin bei der ersten Gay Pride in Beersheba, Israel (Archivbi… | |
„Schöne schwule Welt“. Der Aufschrei war groß, als der Autor Werner | |
Hinzpeter 1997 gegen das „Bild vom leidenden Schwulen“ zu Felde zog. Die | |
„schwule Freizeitgesellschaft“, beschied der selbst schwule Publizist die | |
Funktionäre des „Jammer-Schlussverkaufs“, habe längst den politischen | |
Aktivismus abgelöst. „Es scheint, als würde die Zeit, in der die sexuelle | |
Identität die Gesellschaft spaltet, sich als eine vorübergehende Phase | |
erweisen“, fasste er sein „Plädoyer für schwulenpolitische Sesselfurzer“ | |
zusammen. | |
Zwanzig Jahre später könnte Hinzpeters These kaum abwegiger erscheinen. | |
Seine These, dass heute „andere Dinge wichtiger sind als schwule | |
Emanzipation“, würde er wahrscheinlich nicht noch einmal wiederholen. Nicht | |
nur in Hinzpeters vermeintlichem Schwulenparadies Deutschland grassiert | |
längst wieder massive, keineswegs nur rhetorische Homophobie. Die Kämpfe um | |
sexuelle Identität toben so erbittert wie nie – inzwischen weltweit. | |
Bis zur „Verschwulung der Welt“, die der Schriftsteller Hubert Fichte einst | |
erträumte, dürfte es also noch ein weiter Weg werden. Eine hinreißende | |
LGTB-Schwalbe wie Conchita Wurst macht global gesehen eben noch keinen | |
queeren Sommer. „Wir sind nicht aufzuhalten“, verkündete das Mädchen mit | |
Bart nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest 2014 überwältigt. | |
Doch noch immer sind, so zählen die australischen Wissenschaftler Dennis | |
Altmann und Jonathan Symons in ihrem Buch „Queer Wars“ auf, homosexuelle | |
Handlungen in 78 Ländern der Welt strafbar (Dennis Altmann/Jonathan Symons: | |
„Queer Wars“. Aus dem Englischen von Hans Freundl. Mit einem Vorwort von | |
Daniel Schreiber. Wagenbach, Berlin 2017, 140 S., 18 Euro). In acht Ländern | |
werden sie sogar mit der Todesstrafe geahndet. Die Dunkelziffer der | |
Vergewaltigungen, Überfälle und unsichtbaren Diskriminierungen im Alltag | |
ist noch nicht eingerechnet. | |
Neben Russland erinnern die beiden Politologen aus Melbourne und Sydney an | |
ein extremes sexualpolitisches Rollback: In Uganda unternahm das Parlament | |
2005 und 2009 gleich zwei Anläufe, Homosexualität und gleichgeschlechtliche | |
Ehe qua Verfassung zu ächten. „Fortschritt ist niemals zwangsläufig“, | |
resümieren sie gefasst den überall zu beobachtenden Rückfall in reaktionäre | |
Zeiten. | |
## „Politische Homophobie“ | |
Trotzdem hat sich für Altman und Symons der Charakter dieser Kämpfe | |
geändert. Ihr Buch, eine Mischung aus politischem Report und moralischer | |
Streitschrift, ist schmal, hat es aber in sich. Ein Verdienst des Bandes | |
besteht zunächst einmal darin, dass die Wissenschaftler gut aufzeigen, wie | |
aus einem Kampf um juristisch-soziale Gleichstellung ein gefährliches | |
politisches Instrument wurde. | |
Die Forscher sprechen von einer „politischen Homophobie“. Damit meinen sie, | |
dass die Unterdrückung von Homosexuellen „eine symbolische Bedeutung | |
gewonnen hat, die als Ausdruck der nationalen Identität und des | |
Selbstbehauptungswillens gilt“. Wie sehr sexuelle Identität zu einem | |
erstrangigen Konfliktfaktor der internationalen Politik geworden ist, | |
zeigte sich in dem „Kalten Krieg“ zwischen den Präsidenten Putin und Obama | |
bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi. | |
Altman und Symons konstatieren das Aufkommen einer „Konservativen | |
Internationale“ von Russland über Brunei bis Indonesien und Uganda. Den | |
Menschenrechten westlicher Prägung stellen diese Länder die „traditionellen | |
Werte“ entgegen, deren Verteidigung Wladimir Putin 2013 in einer Rede | |
beschwor. | |
Angesichts der perfiden Mischung aus „moralischen Terrorismus“ und | |
antikolonialistischer Rhetorik, die diese Zivilisationskritik aus | |
autoritärem Munde sekundiert, muss es für LGTB-Aktivisten provozierend | |
klingen, wenn die beiden Wissenschaftler für eine „gemäßigte | |
Vorgehensweise“ beim globalen Kampf dagegen plädieren. Der Bewegung | |
schreiben sie ins Stammbuch, dass die „Sprache des Aktivismus dazu | |
beigetragen hat, einen Gegenschlag zu erleichtern“. Dieses explosive | |
Kernargument ihres Buches dürfte für Wirbel in der westlichen LGTB-Szene | |
sorgen. Und bei der ewigen Streitfrage aller Progressiven: „Reform oder | |
Revolution?“ läuft ihr Essay auf eine Art Dritten Weg der evolutionären | |
Emanzipation hinaus. | |
## Mehr als gleichgeschlechtliche Ehe | |
Hinter Altmans und Symons’ Plädoyer für „vielfältige Wege zur Befreiung�… | |
steckt aber kein Werterelativismus oder Appeasement mit homophoben | |
Diktaturen. Wenn sie dazu raten, sich auf den „Schutz vor Diskriminierung | |
und Verletzung der persönlichen Unversehrtheit zu konzentrieren“, wenden | |
sie sich auch nicht gegen universale Menschenrechte und internationale | |
Solidarität. Sie warnen nur vor der Annahme, Modelle wie das Coming-Out | |
oder das – gelegentlich ja etwas scholastisch vorgetragene – LGTB-Mantra | |
als universelle Blaupausen für Emanzipation anzusehen. Global gesehen, so | |
könnte man ihren Ansatz zusammenfassen, ist gay liberation mehr als die | |
Durchsetzung des Rechts auf gleichgeschlechtliche Eheschließungen. | |
Sie plädieren stattdessen dafür, die kulturellen Ungleichzeitigkeiten zu | |
berücksichtigen. Nicht jede LGTB-Befreiung folge einem vorgezeichneten | |
Verlauf, in dem jedes Land seinen eigenen „Stonewall-Augenblick“ erlebe. | |
„Versuche zur Wiederbelebung kultureller Traditionen, in denen Transgender | |
und gleichgeschlechtliche Sexualität wertgeschätzt oder akzeptiert werden, | |
können durch die aufdringliche westliche Unterstützung von LGTB-Identitäten | |
untergraben werden“, warnen sie mit Verweis auf entsprechende Konzepte in | |
Polynesien oder Äthiopien. | |
Es sei also durchaus vorstellbar, „dass sich in Asien ein konfuzianisches | |
Modell der Toleranz entwickelt, in dem sexuelle Vielfalt und körperliche | |
Selbstbestimmung geschützt werden, ohne dass Homosexualität die Grundlage | |
für eine umfängliche Identität bildet“. | |
Vor dem Hintergrund dieser anderen Traditionen von Verwandtschaft und | |
Gemeinschaft erklärt sich auch eine vertrackte Dialektik: 2013 bestätigte | |
Indiens Oberster Gerichtshof das noch aus Kolonialzeiten stammende Verbot | |
homosexueller Handlungen, erkannte aber die Existenz eines „dritten | |
Geschlechts“ an und verpflichtete den Staat zu Quotenregelungen in | |
Ausbildung und Beruf. Im Hinblick auf dessen Anerkennung ist Deutschland | |
mit der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch bloß ein | |
sexualpolitischer Nachzügler. | |
In China ist Homosexualität seit der Kulturrevolution unterdrückt. Trotzdem | |
hat sich dort mit „Tóngzhì“ eine ganz eigene Kultur jenseits der | |
Homo-Hetero-Dualität entwickelt, die das Sexuelle in das Soziale | |
integrieren will. | |
Wie recht die Autoren mit ihrer Warnung an die „queere Internationale“ | |
haben, dass „Einmischung die Situation auch verschlimmern kann“, zeigt das | |
Beispiel Uganda. Präsident Museveni unterschrieb das umstrittene | |
Antihomosexuellengesetz vor allem deswegen, weil sich Barack Obama bei | |
seinem Besuch dort dagegen aussprach. | |
Insofern ist Altman und Symons Rat absolut ernst zu nehmen, bei dem Kampf | |
um geschlechtliche Freiheit nicht nur „die möglichen Konsequenzen einer | |
politischen Aktion abzuwägen“. Sondern ihn auch an den Bedingungen und den | |
Bedürfnissen der Akteure vor Ort zu orientieren, die „das größte Risiko | |
eingehen“. Und zuallererst „vorhandene progressive politische Kräfte zu | |
stärken“. | |
In Malaysia hilft es zunächst womöglich mehr, die „lokalisierte | |
Ausdrucksform von Queer-Politik“, nämlich Kunstausstellungen und Filmabende | |
in den Nischen Kuala Lumpurs zu unterstützen, als ihr von außen das | |
überzustülpen, was Altman und Symons mit einigem Recht das | |
„universalistische Narrativ der queeren Moderne“ nennen. | |
Und wenn LGTB-Aktivisten und Hollywood-Schauspieler im Sudan für das | |
Menschenrecht auf die gleichgeschlechtliche Ehe eintreten, können sie sich | |
moralisch selbst bestätigen. Die schöne schwule Welt ist damit noch nicht | |
geschaffen. | |
6 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Queer | |
Homophobie | |
Homosexualität | |
Sexuelle Identität | |
Uganda | |
Indien | |
China | |
Conchita Wurst | |
Conchita Wurst | |
Schwerpunkt AfD in Berlin | |
Türkei | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anti-LGBTIQ-Gesetz in Uganda: Härtere Strafen für Homosexuelle | |
Der Präsident hat ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Homosexuellen | |
droht lebenslange Haft, Unterstützer*innen 20 Jahre Gefängnis. | |
LGBTQI in Indien: Der Kampf geht weiter | |
Seit einem Jahr ist gleichgeschlechtlicher Sex in Indien legal. | |
LGBTQI-Vertreter*innen stehen nun im Medienfokus. Queere Subkultur wird | |
akzeptabel. | |
Urteil zu chinesischer Autorin Tianyi: Homoerotisches Buch als Haftgrund | |
Eine Autorin soll für zehn Jahre ins Gefängnis, weil sie „sexuelles | |
Verhalten zwischen Männern“ beschrieben habe. Dagegen regt sich Widerstand. | |
Coming Out per Instagram-Post: Gegen das Stigma | |
Conchita Wurst ist HIV-positiv. Ihr Coming Out hält der Gesellschaft den | |
Spiegel vor: Betroffene haben oft mehr Angst vor Stigmatisierung als vor | |
dem Virus. | |
Österreichs Dragqueen Conchita Wurst: Selbstbestimmung durch Coming Out | |
Conchita Wurst hat auf Instagram öffentlich gemacht, HIV-positiv zu sein. | |
Ein Ex-Freund hatte gedroht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. | |
Nina Wittmann heißt jetzt Nico Wittmann: Geduldet in der AfD | |
Wie geht die AfD mit Transsexuellen um? Am Beispiel der AfD-Fraktion in der | |
Bezirksverordnetenversammlung von Tempelhof-Schöneberg lässt sich das aus | |
aktuellem Anlass ablesen. | |
Sexuelle Gewalt gegen Transfrauen: Trans-Morde sind politische Morde | |
Transfrauen in der Türkei sterben durch die Hand transphober Männer. Schuld | |
hat auch ein System, das ausschließt und stigmatisiert. | |
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Dritte Option neben Mann und Frau | |
Die intersexuelle Person Vanja erreicht die Anerkennung eines „weiteren | |
Geschlechts“. Der Bundestag hat bis Ende nächsten Jahres Zeit, das | |
umzusetzen. | |
Feminismus: „Warum sollte ich mich bremsen?“ | |
Gender und Race sind die Revolution – und keine Randthemen, sagt die | |
Feministin. Ein Gespräch über das Wort „Bitch“, Objektivität und rechte | |
Bewegungen. |