# taz.de -- Feminismus: „Warum sollte ich mich bremsen?“ | |
> Gender und Race sind die Revolution – und keine Randthemen, sagt die | |
> Feministin. Ein Gespräch über das Wort „Bitch“, Objektivität und rechte | |
> Bewegungen. | |
Bild: Wenn eine Bitch jemand ist, den Rechte und Sexist*innen als herausfordern… | |
taz: Laurie Penny, sind Sie eine Bitch? | |
Laurie Penny: Es scheint so. Zumindest wird mir das häufig gesagt. Eine | |
Bitch ist offenbar, wer sich auf eine Weise äußert, die Rechte oder | |
Sexist*innen als herausfordernd empfinden. | |
Fordern Sie bewusst Menschen heraus? | |
Ich versuche nicht, absichtlich schwierig zu sein, aber ich bremse mich | |
auch nicht. Warum sollte ich? Selbst wenn ich dafür eine Bitch genannt | |
werde; der soziale Preis, den ich zahle, um meine Sprache und Meinung nicht | |
abzubremsen, ist viel niedriger als der, den viele andere zahlen. | |
Es gibt also feministische Autorinnen, die sich bremsen müssen? | |
Ja, und ich bin dankbar denen gegenüber, die sich hinsetzen und Menschen | |
höflich und freundlich erklären, dass Sexismus existiert, und wir die | |
Geschlechtergleichheit immer noch nicht erreicht haben. Ich selbst kann das | |
nämlich nicht. Mir geht das auf die Nerven. | |
In Ihrem neuen Buch „Bitch Doktrin“ denken Sie über das schwierige | |
Verhältnis nach, das linke Bewegungen mit Identitätspolitik haben. Zum | |
Beispiel wird häufig argumentiert, es sei nicht der richtige Zeitpunkt für | |
Identitätspolitik, weil es gerade wichtigere Prioritäten gäbe. | |
Es ist lächerlich. Das Klassenproblem kann nicht gelöst werden, solange das | |
Geschlechterproblem nicht gelöst ist. Der Versuch, Klassenpolitik zu | |
betreiben macht ohne ein Grundverständnis von Reproduktions- und | |
Pflegearbeit keinen Sinn. Gender und Race sind keine Randthemen, die erst | |
nach der Revolution diskutiert werden dürfen – sie sind die Revolution! | |
Was meinen Sie damit, wenn Sie schreiben: „Jede Politik ist | |
Identitätspolitik“? | |
Was ist der Klassenkampf anderes als Identitätspolitik? Wenn Marx sagt, man | |
solle sich mit seiner Klasse identifizieren statt mit seinem Vaterland, ist | |
das Identitätspolitik. Und ja, auch rassistische Bewegungen betreiben | |
Identitätspolitik. Aber ich glaube eben nicht, dass es überhaupt einen | |
politischen Diskurs gibt, der nicht irgendwie mit Identität zu tun hat. | |
Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass niemand vorankommt, wenn Linke, | |
Aktivist*innen und Feminist*innen ständig aufeinander losgehen. Wie könnte | |
es anders gehen? | |
Das weiß ich nicht. Was aber nicht funktioniert, ist so zu tun, als würden | |
die einzelnen linken Bewegungen in allem übereinstimmen. Wir werden immer | |
von unseren ideologischen Unterschieden verfolgt, weil es uns nicht egal | |
ist, was die anderen denken. Ich habe mir das Herz von den Linken viel | |
häufiger brechen lassen als von den Rechten. Es wäre schön, wenn wir uns | |
einigen könnten, aber dafür muss meist was ganz Furchtbares passiert sein, | |
wie zum Beispiel die Amtseinführung Trumps, die zum Women’s March führte. | |
Sie haben im vergangenen Jahr im Netz für große Empörung gesorgt, weil Sie | |
den US-Rechtspopulisten Milo Yiannopoulos und sein Alt-Right-Umfeld | |
interviewt und begleitet haben. | |
Persönlich interessieren mich die Meinungen von Milo oder der | |
Alt-Right-Bewegung nicht. Ich weiß, was sie sagen werden. Wir wissen, was | |
sie über Musliminnen sagen, und über Frauen generell. Es ist langweilig, | |
wir haben das alles schon gehört. Deshalb ging es mir nicht um ihre | |
Meinungen. Mich interessiert ihre Denkweise, nach wie vor. | |
Sie wurden dafür kritisiert, Rechten eine Plattform gegeben zu haben. | |
Die Frage der Plattform ist ziemlich interessant. Ich finde, dass | |
no-platforming häufig nach hinten losgeht, weil es Menschen, die | |
ausgeschlossen werden, wie Märtyrer aussehen lässt und paradoxerweise mehr | |
Aufmerksamkeit erregt. | |
In Deutschland wird seit der Kölner Silvesternacht von 2016 sexualisierte | |
Gewalt gegen Frauen so diskutiert, als wäre sie ein aus nordafrikanischen | |
Ländern importiertes Produkt. Beobachten Sie ähnliche Diskussionen in | |
Großbritannien? | |
Köln wird immer wieder erwähnt. Die Idee, dass sexualisierte Gewalt nur | |
dann existiert, wenn sie von Migranten oder Muslimen kommt, ist weit | |
verbreitet und sehr alt. Sie geht zurück auf die Jim-Crow-Zeit in den | |
US-Südstaaten, auf das Lynchen von Schwarzen Männern mit dem Vorwurf, weiße | |
Frauen vergewaltigt zu haben. Dabei geht es aber keineswegs um die | |
Sicherheit der weißen Frauen, sondern um einen Angriff auf den weißen Mann. | |
Denn weiße Frauen sind Eigentum. Insofern bedeutet auch einvernehmlicher | |
Sex zwischen einer weißen Frau und einem nichtweißen Mann, dass dem weißen | |
Mann gestohlen wurde, was rechtmäßig ihm gehört. | |
Dazu passt auch die immer noch kursierende Verschwörungstheorie des „White | |
Genocide“, der angeblich von Migration und Integration herbeigeführt wird. | |
Genau! Die Alt-Right-Bewegung ist besessen von der Eugenik und von der | |
Panik davor, auszusterben. Wenn weiße Frauen Babys mit Männern of Color | |
haben, oder sich gegen Kinder entscheiden, halten die Rechten das für | |
„White Genocide“. Es ist wirklich entsetzlich. | |
Die rechtspopulistische AfD bedient in Deutschland eine ähnliche Rhetorik. | |
Auf Wahlplakaten zeigt sie eine schwangere Frau unter dem Slogan: „Neue | |
Deutsche? Machen wir selber!“ | |
Das klingt total nach Lebensborn! Also diesem SS-Verein, der die | |
Geburtenzahl „arischer“ Kinder erhöhen sollte. Ich habe noch nie eine | |
faschistische Bewegung entdeckt, die nicht vehement gegen Abtreibungsrecht | |
oder die Unabhängigkeit von Frauen ist. Interessanterweise stammt das zum | |
größten Teil aus sexueller Frustration. Der „Islamische Staat“ funktionie… | |
genauso: Junge Männer, die das Gefühl haben, ihnen stehe mehr Sex zu, | |
radikalisieren sich schneller. | |
Heißt das, dass Gewalt gegen Frauen aus sexueller Frustration entsteht? | |
Nein, nicht zwangsläufig. Zumal sexuelle Frustration ja jedes Geschlecht | |
betrifft. Ich habe noch keine Person kennengelernt, die glaubt, dass sie | |
genauso häufig Sex hat wie sie eigentlich will, und es genauso läuft, wie | |
sie es sich wünscht. Aber offenbar sind es nur Männer, die das für ein | |
politisches Problem halten. Und die denken, einen Anspruch darauf zu haben, | |
sich das zu nehmen. Ich habe mich seit ein paar Wochen nicht flachlegen | |
lassen, habe aber kein Bedürfnis, aus diesem Grund zu einer Faschistin zu | |
werden. Ich gehe einfach nach Hause, schaue mir „BoJack Horseman“ an und | |
masturbiere, so wie es normale Menschen halt tun. | |
In Ihrem Buch denken Sie auch über den Begriff „Objektivität“ in den Medi… | |
nach. Was für ein Problem haben Sie als junge feministische Journalistin | |
mit diesem Begriff? | |
Ich habe kein Problem, ich glaube nur, dass diese Objektivität nicht | |
existiert. Mit diesem Begriff wird nur eine Perspektive beschrieben: die | |
eines heterosexuellen bürgerlichen Mitte-rechts-Mannes. Deshalb entsenden | |
viele Medien noch ihre eigenen Reporter zum Beispiel in den Nahen Osten, | |
anstatt mit Reportern vor Ort zu kooperieren – weil der Mensch vor Ort | |
angeblich nicht objektiv sei. Aber wie kommt man bloß darauf? Ich finde, | |
wir können über finanzielle Interessen reden und Befangenheiten. Aber das | |
ist nicht dasselbe wie Objektivität. | |
Sie sind also prinzipiell für mehr „Ich“ im Journalismus? | |
Klar. Das Beste, was Journalist*innen machen können, ist ehrlich zu ihren | |
Leser*innen zu sein. Sie sollten transparent machen, wo sie herkommen und | |
wie sie sich selbst in der Welt positionieren. | |
20 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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