# taz.de -- Freispruch für Antifa-Aktivist in Hamburg: Ein Tierabwehrspray ist… | |
> Polizei und Staatsanwaltschaft klagen Verstöße gegen das Waffengesetz an, | |
> die gar keine sind. Ein Freispruch dürfte Folgen auch für die | |
> G20-Verfahren haben. | |
Bild: Wenn er mal wieder „nur spielen“ will, hilft Tierabwehrspray aus der … | |
HAMBURG taz | Überziehen die Hamburger Polizei und die hanseatische | |
Staatsanwaltschaft linke Aktivisten vorsätzlich mit Strafverfahren, um | |
diese einzuschüchtern, obwohl der vorgeworfene Straftatbestand laut | |
höchster Rechtsprechung gar keine Straftat ist? Dieser Verdacht drängt sich | |
auf, wenn man das Verfahren gegen Martin F. beäugt. In diesem Fall wurde – | |
was nicht selbstverständlich ist – selbst die damit befasste Amtsrichterin | |
Heike Valentin nach einigen Monaten stutzig, sodass der Prozess unmittelbar | |
vor Weihnachten mit einem Freispruch endete. | |
Der junge Antifaschist war am 15. April am Rande einer Demonstration gegen | |
einen neuen Neonazi-Klamotten-Laden der Marke Thor Steinar in der | |
Fuhlsbüttler Straße in Barmbek von Zivilfahndern der Polizei dabei | |
beobachtet worden, als er Antifa-Spuckies klebte. Die Polizisten nahmen | |
Martin F. alle restlichen Sticker und auch seine Antifa-Plakate ab und | |
sagten, sie würden diese sofort vernichten. Der 30-Jährige musste seine | |
Taschen leeren, wobei ein Tierabwehrspray sichergestellt wurde. Die | |
Polizisten erklärten F., dass er mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen | |
habe. | |
In der Tat verhängte das Amtsgericht Barmbek auf Antrag der | |
Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 1.200 Euro wegen Verstoßes gegen | |
das Versammlungs- und Waffengesetz, wogegen der Beschuldigte Widerspruch | |
einlegte, sodass es zum Verfahren gekommen ist. | |
Doch am ersten Verhandlungstag verblüffte Amtsrichterin Valentin die | |
Prozessbeteiligten. Obwohl sie den Strafbefehl selbst unterzeichnet hatte, | |
zitierte sie aus einer bislang nicht veröffentlichten Revisionsentscheidung | |
des Hanseatischen Oberlandesgerichts, nach der Tierabwehrspray eindeutig | |
nicht als Waffe nach dem Waffengesetz anzusehen und das Mitführen auf einer | |
Demonstration nicht verboten sei. | |
Die Richterin räumte indirekt ein, das Asservat Tierabwehrspray vor dem | |
Strafbefehl gar nicht in Augenschein genommen zu haben. Sie habe sich „auf | |
die Polizei verlassen, dass es eine verbotene Waffe sei“, versuchte sie | |
sich zu rechtfertigen, was sich als Fehler herausstellte. | |
## Tierabwehrsprays fallen nicht unter das Waffengesetz | |
Denn seit 2008 ist laut einem Feststellungsbescheid des Bundeskriminalamts | |
(BKA) klar, dass Tierabwehrsprays nicht unter das Waffengesetz fallen. Im | |
jenem Fall hatten die Bundeskriminalisten ein Pfefferspray mit der | |
Aufschrift „Pfeffer Ko Jet“ zu begutachten, das auf der Banderole nur | |
beiläufig als Tierabwehrspray bezeichnet worden war. „Die Richterin kannte | |
das Gutachten nicht und war beeindruckt“, berichtet F.s Verteidiger Gerrit | |
Onken. | |
„Nach Paragraf 48 Waffengesetz ist ausschließlich das BKA zuständig für die | |
Beurteilung dieser Rechtsfragen, trotzdem trägt die Staatsanwaltschaft | |
Hamburg immer wieder ‚Gutachten‘ der Polizei Hamburg vor“, erläutert der | |
Journalist und Waffenexperte Lars Winkelsdorf die Hamburgensie. | |
„Diese Gutachten sind faktisch wertlos, da von einer unzuständigen | |
Behörde.“ Pikant sei, dass der Staatsanwaltschaft dies bekannt sei, sagt | |
Winkelsdorf, sie das Problem aber weiterhin ignoriere, „weil sie sonst | |
nicht anklagen könnte“. | |
Um das Gesicht zu wahren und diesen Knackpunkt nicht entscheiden zu müssen, | |
hat die Richterin die Notbremse gezogen. Da die Zivilfahnder nicht belegen | |
konnten, dass sich Martin F. überhaupt in der Demonstration aufgehalten | |
hatte, sei für sie nicht festzustellen, ob Martin F. Versammlungsteilnehmer | |
gewesen sei. Er müsse bereits aus diesem Grund freigesprochen werden – eine | |
geschickte Hilfsbrücke, die auch die Staatsanwältin vor Ort nutzte und | |
einen Freispruch beantragte. | |
Schon während des G20-Gipfels im Juli in Hamburg ist der Verdacht der | |
„Verfolgung Unschuldiger“ aufgekommen, als der 24-jährige Pole | |
[1][Stanislaw B.] am 8. Juli in der Innenstadt weitab vom | |
Demonstrationsgeschehen festgenommen wurde und sieben Wochen lang in | |
Untersuchungshaft schmoren musste. | |
In seinem Rucksack hatten Polizisten polnische Knallkörper und ein | |
Reizgassprühgerät gefunden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm daraufhin vor, | |
gegen Versammlungs- sowie gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz verstoßen | |
zu haben. Ein Amtsgericht verurteilte ihn dafür zu sechs Monaten Haft auf | |
Bewährung. | |
Im Januar findet der Berufungsprozess vor dem Landgericht statt. Bei der | |
Verhandlung will der Angeklagte zeigen, dass die Hamburger Justiz keine | |
Ahnung von Waffenrecht hat, weil sie europäisches Recht missachtete. | |
28 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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