# taz.de -- Kommentar Olympische Spiele: Nicht ohne Russland | |
> Dem IOC ging es bei seiner Entscheidung weniger um die Integrität des | |
> Sports, sondern darum, wie man Russland schnell wieder integrieren kann. | |
Bild: Systemisches Doping auf Seiten von Russland: IOC-Präsident Thomas Bach u… | |
Länger hätte das Internationale Olympische Komitee seine Entscheidung nicht | |
mehr herausschieben können. Verdammt schwer hat sich das IOC getan, diese | |
große Sportnation, die auf Funktionärsebene eng mit der eigenen | |
Organisation verwoben ist, abzustrafen. IOC-Chef Thomas Bach vollzog diesen | |
Schritt zwar wie ein hoher Priester, nur dass er statt des heiligen den | |
olympischen Geist beschwor und mit Pathos vom größten bislang dagewesenen | |
Angriff auf die Integrität des Sports sprach, aber sein Unbehagen ob der | |
alten und nun beschädigten Seilschaften schimmerte in wenigen besonderen | |
Momenten durch. | |
Gerade einmal 66 Tage vor Beginn der Olympischen Winterspiele im | |
südkoreanischen Pyeongchang verkündete Bach in Lausanne der internationalen | |
Presse [1][den schon lange ausstehenden Richterspruch]: Russische Athleten | |
dürfen bei den anstehenden Winterspielen nur nach einer Überprüfung und | |
unter neutraler Flagge starten. Egal ob sie als Einzelsportler oder im Team | |
antreten. Auf Hymne und Flagge müssen sie verzichten. Das nationale | |
russische olympische Komitee ist suspendiert. Und der ehemalige | |
Sportminister Witali Mutko ist lebenslang für Olympische Spiele gesperrt. | |
Der derzeitige Organisationschef der Fußball-WM 2018 in Russland wurde als | |
Drathzieher [2][des systemischen Dopings ausgemacht], das bei den | |
Winterspielen 2012 in Sotschi zu zahlreichen Manipulationen führte. | |
Insofern war es schon vielsagend, dass der sich als obersterer | |
Integritätswächter des Sports so frömmelnd gebende Thomas Bach, nicht | |
imstande war, die Frage zu beantworten, ob er nach diesem Urteil eine | |
Einladung des ausgemachten Bösewichts Mutko zur Fußball-WM annehmen würde. | |
Er habe bislang keine Einladung, beschied Bach. Mit der Frage werde er sich | |
erst befassen, wenn es soweit wäre. Durch proaktives Handeln ist der | |
oberste Sportfunktionär noch nie aufgefallen. Dass er ein solches Szenario | |
rein theoretisch nicht ausschließen wollte, veranschaulicht recht gut die | |
Bach'sche Bigotterie. | |
Fundamentale Bach- und IOC-Kritiker zetern indes, für die Wahrung der | |
Integrität des Sports hätte Russland die Höchststrafe erhalten müssen: den | |
Totalausschluss von den Winterspielen. Das ist wiederum eine lustige Volte, | |
dass diejenigen, die sich am besten im endlosen Dschungel der Sportskandale | |
auskennen, offenbar mit Bach die Vision des sauberen Sports teilen. | |
## Attraktivität und TV-Markt | |
Natürlich ging es dem IOC bei seinem Urteilsspruch von Lausanne zuvorderst | |
nicht um die Integrität des Sports, sondern darum wie man die große | |
russische Sportnation möglichst schnell wieder integrieren kann. Sollten | |
die Russen etwa entscheiden, ihr Eishockeyteam nicht unter neutraler Flagge | |
bei den Winterspielen in Pyeongchang antreten zu lassen, wird das die | |
Attraktivität und den Wert der Spiele auch für den TV-Markt deutlich | |
schmälern. | |
Die sauberen russischen Athleten unter neutraler Flagge könnten eine Brücke | |
in die Zukunft sein, sagte Thomas Bach am Dienstag. Das sei besser als eine | |
Mauer zwischen dem IOC und Russland aufzubauen. Primär hat das IOC sein | |
Urteil auf dieses Ziel hin ausgerichtet: die Verbindung zu Russland zu | |
erhalten. Das macht schon allein aus Selbsterhaltungstrieben Sinn. Welchen | |
Wert hat die größte internationale Sportveranstaltung ohne eine ihrer | |
größten Sportnationen? Im groben ist das schon der richtige Kurs. Bei den | |
Feinheiten allerdings wird es heikel. | |
Wie will die vom IOC geschaffene Institution nur wenige Tage vor den | |
Winterspielen die sauberen russischen Athleten aus einem verdorbenen System | |
herausfiltern? Der kanadische Sonderermittler Richard McLaren sprach bei | |
seiner Untersuchung für die Welt-Anti-Doping-Agentur von etwa 1.000 | |
russischen Athleten, die Bestandteil des Betrugssystems gewesen sein | |
sollen. Das IOC stützte seine Sanktionen zwar auf den Bericht des früheren | |
Schweizer Bundespräsidenten Samuel Schmid, der die hohe Zahl in Frage | |
stellt, die Auslese wird aber dennoch nicht einfach werden. | |
Und etwas Grundsätzliches ist noch wichtig: Bei aller Empörung über das | |
kollektive russische Vorgehen sollte man die Argumente nicht zu schlicht | |
gewichten. Ein Blick in die deutsche Vergangenheit hilft. Sowohl in der DDR | |
als auch in der BRD wurde gedopt. Im Osten Deutschlands wurden die hohen | |
Erwartungen an die Sportler in einen Staatsplan gegossen, im Westen mussten | |
die Athleten die nicht minder hohen Erwartungen individuell schultern. Dass | |
dabei gedopt wurde, wussten viele. | |
Die Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Schuld ist nicht | |
einfach. Der Samuel Schmid-Bericht weist darauf hin, dass bei den | |
Sommerspielen 2008 in Peking und 2012 in London etwa ein Drittel der | |
Dopingvergehen von Russen verübt wurden. Angesicht der staatlichen | |
Unterstützung, die diese Sportler erhielten, nimmt sich die Zahl gar nicht | |
so besonders heraus. Man sollte die anderen zwei Drittel vielleicht noch | |
einmal genauer in Augenschein nehmen. Auch sie sind zumindest Opfer eines | |
Kollektivdrucks. | |
Der einstige deutsche Sportminister Thomas de Maizière forderte für die | |
Sommerspiele 2016 in Rio 30 Prozent mehr Medaillen. Auch das kann man | |
angesichts der weit verbreiteten Manipulationskultur im Sport als | |
staatliche Empfehlung fürs Dopen verstanden werden. | |
6 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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