| # taz.de -- Karlsruhes Vorgaben für Medizin-NC: Ein Einser-Abi reicht nicht | |
| > Die Vergabe von Medizinstudienplätzen ist teilweise gesetzeswidrig, hat | |
| > das Bundesverfassungsgericht entschieden – und Kriterien definiert. | |
| Bild: Wie das alles heißt, lernt man im Medizinstudium | |
| Karlsruhe taz | Der Zugang zum Arztberuf muss bis Ende 2019 neu geregelt | |
| werden. Das Bundesverfassungsgericht hat an diesem Dienstag Teile der | |
| bisherigen Regeln für verfassungswidrig erklärt. Geklagt hatte der | |
| 26-Jährige Lukas Jäger. Vor sieben Jahren hatte er in Hamburg Abitur | |
| gemacht, Notenschnitt 2,6. Jahr für Jahr bewarb er sich erfolglos um einen | |
| Medizinstudienplatz. | |
| Um Zeit zu überbrücken, machte er eine Ausbildung als Notfallsanitäter und | |
| arbeitete auch in diesem Beruf. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen legte | |
| seinen Fall 2014 in Karlsruhe zur Prüfung vor. Zwar bekam Jäger in diesem | |
| Herbst nach 14 Semester Wartezeit einen Studienplatz in Marburg. Das | |
| Bundesverfassungsgericht sprach dennoch ein Urteil – wegen des großen | |
| öffentlichen Interesses. Nun müssen 14 Landesgesetze, ein Bundesgesetz und | |
| ein Länder-Staatsvertrag geändert werden. Weil das so komplex ist, hat die | |
| Politik dafür zwei Jahre Zeit. | |
| Bisher werden die rund 10.000 Medizinstudienplätze nach folgendem System | |
| verteilt: Vorweg gehen 12,4 Prozent der Plätze an soziale Härtefälle, | |
| künftige Bundeswehrärzte und ausländische Bewerber. Für die übrigen Plätze | |
| gibt es drei Hauptquoten: 20 Prozent werden nach Abinote vergeben, weitere | |
| 20 Prozent nach Wartezeit und 60 Prozent nach Auswahlverfahren der | |
| Hochschulen, bei denen oft auch die Abinote eine zentrale Rolle spielt. | |
| Gegen diese Aufteilung hatten die Richter keine Einwände. Die Politik kann | |
| jedoch auch eine andere Aufteilung wählen, solange sie bestimmte Vorgaben | |
| beachtet. | |
| Die Abiturnote darf auch künftig eine zentrale Rolle spielen. Sie sei ein | |
| „zuverlässiger Indikator“ dafür, ob jemand das Medizinstudium erfolgreich | |
| abschließen wird. Zwar ist der Abischnitt in Thüringen (2,16) fast eine | |
| halbe Note besser als in Niedersachsen (2,59). Dies fällt hier aber nicht | |
| ins Gewicht, da es Länderquoten gibt. Einziges Kriterium für den Zugang zum | |
| Medizinstudium dürfe die Abinote aber nicht werden, so das Urteil. Denn der | |
| Arztberuf erfordere auch „sozial-kommunikative“ und „empathische“ | |
| Kompetenz. Darüber sage die Abiturnote nichts aus. | |
| ## Maximale Wartezeit | |
| Auch die Verteilung von Studienplätzen nach Wartezeit halten die Richter | |
| für verfassungskonform, wenn sie nicht mehr als ein Fünftel der | |
| Studienplätze betrifft. Zwar sage die Wartezeit nichts über die Eignung | |
| eines Bewerbers aus. Wer bereit ist, lange zu warten, zeige aber zumindest | |
| eine „hohe Motivation“. Die Verteilung nach Wartezeit könnte aber auch | |
| abgeschafft werden. | |
| Jedenfalls muss die Wartezeit künftig gedeckelt werden. Wer zu lange | |
| wartet, „verlerne das Lernen“, so die Richter. Weil Wartezeitstudenten ihr | |
| Studium viel häufiger abbrechen als andere Medizinstudierende, fordert das | |
| Gericht eine Begrenzung der Wartezeit auf maximal vier Jahre. Es gebe | |
| keinen Anspruch, durch langes Warten sicher einen Studienplatz zu erhalten. | |
| Auch wenn Studienplätze dezentral an den Unis vergeben werden, müssen die | |
| Kriterien gesetzlich geregelt sein. Die Unis dürfen Kriterien nicht selbst | |
| erfinden, wie es in Hamburg und Bayern möglich ist. Soweit die Unis die | |
| Abiturnote berücksichtigen, etwa zur Vorauswahl, müssen sie künftig die | |
| Unterschiede im Notenniveau ausgleichen. Die Abiturientin aus Niedersachsen | |
| darf auch hier keinen Nachteil gegenüber ihrer Mitbewerberin aus Thüringen | |
| haben. Jedenfalls muss neben der Schulnote mindestens ein weiteres | |
| Kriterium zum Zuge kommen. | |
| Falls die Unis Auswahlgespräche mit den Bewerbern führen, müssen diese | |
| „standardisiert“ sein. Sonst bestehe die Gefahr, dass sich Professoren | |
| allzu sehr von persönlichen Vorlieben leiten lassen. Bei allen drei | |
| Hauptquoten spielte bisher die Ortspräferenz der Bewerber eine große Rolle. | |
| Das halten die Richter für verfassungswidrig. An welcher Uni ein junger | |
| Mensch studieren will, sage nichts über seine Eignung aus. | |
| ## Zahl der Bewerber rund fünfmal so hoch | |
| Ausnahmsweise dürfen aber die Unis die Ortspräferenz berücksichtigen, wenn | |
| sie aufwendige Tests und Gespräche durchführen. Diesen Aufwand dürfen sie | |
| auf die Bewerber beschränken, die einen Platz an dieser Uni wahrscheinlich | |
| auch annehmen würden. Derzeit werden pro Jahr 10.800 Medizin-Studienplätze | |
| neu vergeben. Die Zahl der Bewerber liegt aber rund fünfmal so hoch. Die | |
| allermeisten Bewerber gehen also leer aus. Daran wird auch die Entscheidung | |
| des Bundesverfassungsgerichts nichts ändern. | |
| Wie die Richter festgestellt haben, gibt es keinen einklagbaren | |
| Rechtsanspruch auf einen Medizinstudienplatz. Wie viele Studienplätze | |
| angeboten werden, sei eine politische Entscheidung des Gesetzgebers. Die | |
| Bewerber haben nur Anspruch darauf, dass die Plätze nach einem | |
| transparenten und gerechten Verfahren vergeben werden. Die Gewerkschaften | |
| Marburger Bund und Verdi fordern, die Zahl der Studienplätze um zehn | |
| Prozent zu steigern. Die Länder sind überwiegend dagegen, weil sie jeder | |
| Studienplatz 200.000 Euro kostet. Aber auch mit einer derartigen Ausweitung | |
| an den Unis blieben weiter mehr als 75 Prozent der Bewerber ohne | |
| Studienplatz. | |
| Es werden also auch weiterhin Studierwillige versuchen, einen Studienplatz | |
| im Ausland zu bekommen (siehe Text unten) oder sich mit Hilfe von | |
| spezialisierten Anwälten einen Platz zu erklagen. Die Anwälte machen dabei | |
| geltend, dass die Unis ihre Kapazität falsch berechnet haben – und gewinnen | |
| häufig. Mit dem normalen Vergabeverfahren haben solche Kapazitätsklagen | |
| nichts zu tun. Weil eine solche Klage rund 15.000 Euro kostet, profitieren | |
| von diesem Weg wohl vor allem die Kinder reicher Eltern. | |
| ## Es geht um die Versorgung | |
| In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden viele Ärzte der | |
| Baby-Boomer-Generation in Ruhestand gehen. Vor allem auf dem Land finden | |
| sich oft nur schwer Nachfolger für die Praxis. Bund und Länder haben sich | |
| daher im März 2017 im „Masterplan Medizinstudium 2020“ darauf geeinigt, | |
| dass Länder eine zehnprozentige Landarztquote bei der Zulassung zum | |
| Medizinstudium vorsehen können. Wer sich verpflichtet, für mindestens zehn | |
| Jahre eine Landpraxis zu übernehmen, bekäme dafür vorrangig einen | |
| Studienplatz. Zumindest Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen | |
| haben Interesse. | |
| In diesem Masterplan ist auch vorgesehen, das Medizinstudium praxisnäher zu | |
| gestalten. So sollen Studierende während des praktischen Jahrs ein Quartal | |
| in der ambulanten Versorgung verbringen und dabei ganz normale Erkrankungen | |
| kennenlernen. Bei der Zulassung sollen soziale und kommunikative | |
| Kompetenzen künftig stärker gewichtet werden. Nun müssen nur noch die | |
| Vorgaben des Verfassungsgerichts eingebaut werden. | |
| 19 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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