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# taz.de -- Frauenministerin Barley über #MeToo: „Es geht um Macht“
> Warum sagen in Deutschland so wenig Politiker*innen etwas zur
> #MeToo-Debatte? Vielleicht liegt es an einer nachsichtigeren Mentalität,
> vermutet Katarina Barley.
Bild: „Mein Sohn hat als kleiner Junge nicht geglaubt, dass Frauen Chefinnen …
taz: Frau Barley, die Debatte um sexualisierte Übergriffe ist von Hollywood
aus längst in andere Bereiche gedrungen. Auch das Europaparlament
diskutiert über #MeToo. In Großbritannien ist sogar der
Verteidigungsminister Michael Fallon zurückgetreten, weil er Frauen gegen
deren Willen angefasst haben soll. Und in Deutschland herrscht Stille.
Warum?
Katarina Barley: Diese Stille wundert mich auch. Aber ich denke, wir haben
in Deutschland keine angemessene Debattenkultur für solche Themen.
Was meinen Sie damit?
Ich meine, dass es selbstverständlich auch in Deutschland sexuelle
Übergriffe und Belästigung von Frauen gibt. Aber die Reaktion ist dann
allzu oft eher nur ein Schulterzucken.
Und das läuft in anderen Ländern anders?
Ja. Ich habe neulich meine schwedische Ministerkollegin Ylva Johannsson
getroffen. Die erzählte ganz euphorisch von #Metoo-Demos in ihrem Land mit
Tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Schweden ist in Fragen der
Gleichstellung deutlich weiter als Deutschland. Schauen Sie sich nur mal
die Regierung dort an, die Hälfte der Ministerien ist in weiblicher Hand.
In der Wirtschaft sind Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen dort eine
Selbstverständlichkeit. Ganz offenbar sind die Menschen in den Ländern, in
denen Frauen ohne hinterfragt zu werden Führungsfunktionen innehaben, auch
deutlich sensibler für solche Themen.
Woran hakt es in Deutschland?
Ich denke, wir müssen den Sprung über das Voyeuristische hinaus schaffen.
Wer hat wann was getan – am Ende geht es nicht um eine Hand auf einem Knie,
sondern es geht um Macht. Übergriffe sind eben nicht nur Einzelfälle,
sondern Ausdruck der Machtstrukturen, aus denen heraus bestimmte
Rollenbilder entstehen.
Das große Ganze also. Und wie können wir das ändern?
Dafür gibt es keine einfache pauschale Lösung. Ein erster Ansatz wäre zum
Beispiel über ein Paritätsgesetz nachzudenken – also eine Regelung, wonach
Parteien für die Wahl mindestens 50 Prozent Frauen aufstellen müssen. Ich
war lange keine Freundin eines solchen Gedankens – aber anscheinend geht es
nicht anders. Nun zeigen die Erfahrungen aus Frankreich, dass damit nicht
automatisch alles super läuft. Aber in Deutschland ist alleine schon die
Diskussion über ein solches Gesetz nicht führbar. Wir benutzen hier ja
sogar noch den unsäglichen Begriff „Quotenfrau“. Im Vergleich mit anderen
Ländern sind wir echt noch in der Steinzeit. Die feste Quote für
Aufsichtsräte hat gezeigt, dass mehr Frauen machbar sind. Gleichzeit bewegt
sich in den Vorständen aber fast nichts – man könnte echt heulen. Das
Frauenbild, das wir überall in unserer Gesellschaft vorfinden, hat Folgen.
Mein Sohn beispielsweise hat als kleiner Junge nicht geglaubt, dass Frauen
Chefinnen sein können. Mein eigener, wundervoller Sohn!
Was haben solche politischen Maßnahmen mit dem Kampf gegen sexualisierte
Übergriffe zu tun?
Wir brauchen einfach eine grundlegendere Debatte. Allen muss klar sein, was
geht und was nicht. Wir müssen differenzieren: Was können wir tun für die
Betroffenen, und was, damit so etwas gar nicht erst passiert? Denn wie ich
schon sagte: Es geht um Machtstrukturen. Das sieht man auch daran – je
höher eine Frau in der Hierarchie klettert, desto weniger ist sie
physischen oder verbalen Übergriffen ausgesetzt. Seit ich Ministerin bin,
erlebe ich so etwas quasi gar nicht mehr. Das war auf jeden Fall anders,
als ich Berufsanfängerin war. Was da teilweise für Sprüche kamen, würde
man, denke ich, wohlwollend mit dem Begriff „alte Schule“ zusammenfassen.
Jetzt mal ganz konkret: Angenommen, ein Fall wie der von Michael Fallon
hier in Deutschland käme in Deutschland an die Öffentlichkeit. Würde dieser
Mann seinen Posten verlieren? Denn das wäre doch die Voraussetzung dafür,
dass Frauen überhaupt wagen, zu sprechen.
Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher. Deutschland hat da eine, sagen wir
mal, nachsichtigere Mentalität als andere Länder, und zwar
themenunabhängig. Eine ordentliche Spendenaffäre hindert ja anscheinend
auch nicht daran, Jahre später noch höchste Ämter in unserem Staat zu
bekleiden. Mag sein, dass es mit der aktuellen Aufmerksamkeit bezüglich
Sexismus heute schon Konsequenzen hätte, wenn sexuelle Übergriffe bekannt
würden. Aber ich fürchte, in einem Jahr könnte das schon wieder anders
aussehen. Das ist ernüchternd, lässt sich aber eben nicht von oben
verordnen. Dass wir über die Notwendigkeit von Konsequenzen keinen Konsens
haben, ist Teil des Problems.
Was sagen denn Sie? Sollte solches Handeln einen Politiker den Job kosten?
Wenn ein Politiker im beruflichen Kontext jemanden gegen dessen Willen
berührt und belästigt? Ja, natürlich. Das ist für mich eine Frage der
charakterlichen Eignung für einen solchen Posten. Wenn ein Minister mit
drei Promille beim Autofahren erwischt wird, dann wären wir uns alle einig.
Bei sexuellen Übergriffen denken wir dann lieber noch mal nach. Aber
eigentlich muss klar sein: So jemand ist nicht geeignet, eine politische
Funktion zu bekleiden.
Nun wird ja oft argumentiert, das sei alles eine Generationenfrage. „Was
vor zehn, fünfzehn Jahren akzeptabel war, ist es heute nicht mehr“, sagte
der zurückgetretene Fallon. Erledigt sich das Problem demnach einfach von
selbst?
Zunächst einmal würde ich sagen, dass Übergriffe vor 15 Jahren natürlich
auch nicht akzeptabel waren. Und dann denke ich, dass wir nicht den Fehler
machen dürfen, in unseren Bestrebungen nachzulassen. Ich dachte lange, dass
die Frage der Gleichstellung nur eine Richtung hat: vorwärts. Mal
schneller, mal langsamer, aber stetig voran. Das denke ich jetzt nicht
mehr. Wir erleben einen gesellschaftlichen Rollback. Was da etwa von
Rechtsaußen kommt, ist mehr als finster und zeigt: Es gibt viele alte
Männer, die sich mit den bestehenden Ungerechtigkeiten wohlfühlen und die
glauben, dass wir es mit der Gleichberechtigung schon viel zu weit
getrieben haben. Es geht also nicht mehr nur um die Frage, wann wir ans
Ziel kommen – sondern ob überhaupt. Und da müssen wir dranbleiben.
28 Nov 2017
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Katarina Barley
Schwerpunkt #metoo
Lesestück Interview
Sexismus
Gleichberechtigung
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taz-Serie Sexuelle Gewalt
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Lesestück Meinung und Analyse
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