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# taz.de -- Kolumne Dumme weiße Männer: Maßlos aus Gewohnheit
> Weiße Männer beschweren sich, dass sie in der #MeToo-Debatte nicht
> mitreden dürfen. Dabei geht es die ganze Zeit nur um weiße Männer.
Bild: „Ich bin es gewohnt“, sagte Harvey Weinstein, um zu erklären, warum …
Auf den meisten Partys gibt es diese eine Person, die durch die Räume
läuft, sich kurz dazu stellt und beim Gespräch mithört. Wenn sie ein paar
Schlagwörter aufgeschnappt hat und einen Einsatz findet, geht es los: Sie
erzählt, wie ihr genau dasselbe passiert sei. Nur, dass es ganz anders
gewesen sei. Aber eigentlich wollte sie ohnehin über etwas ganz anderes
sprechen. Man ist dankbar für diese Leute, wenn die Party dröge ist, wenn
das Gespräch nur zäh in Gang kommt. Ist es aber gerade spannend und bittet
man sie, kurz Ruhe zu geben, zieht sie maulend weiter: „Oh mein Gott, wie
unhöflich“. Diese Person ist oft: ein weißer Mann.
Die Öffentlichkeit ist keine Party, aber die Unterhaltung kann manchmal
besonders spannend werden. Beispielsweise in den letzten Wochen, als
[1][Berichte über (fast ausschließlich) weiße Männer erschienen], die ihre
Machtpositionen ausnutzten, um Frauen unerlaubt anzufassen, sie mit
sexuellen Handlungen in unpassenden Kontexten zu verunsichern oder sie zu
sexuellen Handlungen zu erpressen.
Es ist nicht so, dass in der Debatte die Stimmen von weißen Männern fehlen
würden. Zunächst einmal kommen die Übergriffigen selbst zu Wort und man
muss sich allerhand anhören. Sie erklären ihr Verhalten damit, dass sie „in
den 60ern“ aufwuchsen, dass es sich bei den Anschuldigungen um einen
„Medienwahn“ handele, dass nichts vorgefallen sei, außer dass man jemanden
mal „geküsst und dann abgeleckt“ habe, dass „falsche Narrative“ auf Ba…
von „Fünkchen Wahrheit“ verbreitet würden. Es gibt auch die vielen
Eingeständnisse und Entschuldigungen, die darauf hinweisen, dass es sich
nicht um einen „Medienwahn“ handelt.
Es gibt aber auch die vielen Journalisten in Deutschland, weiße Männer, die
die Fälle hier kommentieren. Zeit-Autor Adam Soboczynski [2][findet die
Debatte beispielsweise „überreizt“], sie werde genutzt, um „kleine
Alltagsrechnungen“ zu begleichen. Im Deutschlandfunk sagt Moderator Stephan
Karkowsky, man hätte in den neuen Belästigungsparagrafen schreiben müssen
[3][“wen“ er bestrafen will] – denn dieser habe auch ihn verunsichert. Im
Tagesspiegel [4][vergleicht Joachim Huber “älterer weißer Mann“ als
Beschimpfung mit „Kanake“ und „Jude“] – so als habe er noch nie von
Rassismus und Antisemitismus gehört. Und gut eine Woche nachdem es mehr als
ein Dutzend Vorwürfe gegen Kevin Spacey gegeben hatte, [5][sprach in der
FAZ Edo Reents] von „Hörensagen“.
Weiße Männer machen jede Menge dummes Zeug und reden dann jede Menge dummes
Zeug darüber und fühlen sich dabei als Opfer. Als Opfer eines Medienwahns,
als Opfer von Rechnungsbegleicherinnen, als Opfer von
Karrierezerstörerinnen. Selbst wenn sie wie Joachim Huber im Tagesspiegel
behaupten, weiße Männer seien die „Stahlträger des Systems“, die Politik
„beherrschen“ und Wirtschaft „dominieren“ und die „Opferrolle“ able…
lassen sie es sich nehmen, sich erst einmal mit den Juden zu vergleichen.
Entsprechend wenig überraschend ist die nächste Welle der Opfererzählung:
Weiße Männer dürfen neuerdings nämlich nicht mitreden. „Eigentlich“,
kokettiert zum Beispiel [6][Jan Fleischhauer in einer kürzlichen Kolumne
auf Spiegel Online], habe sein Text „so nie erscheinen dürfen“ – weil er
ein weißer Mann sei.
## Herbeifantasierte Verbote
Nun wäre es spannend gewesen, von der dunklen Macht zu hören, die seinen
Text versuchte zu zensieren – und wie Fleischhauer es schaffte, sie doch zu
besiegen. Doch dazu kommt es nicht. Denn niemand hat ernsthaft versucht,
seinen Text zu verhindern – es haben nur Frauen irgendwo mal „Klappe
halten“, beziehungsweise „Fresse halten“ gesagt. Davon fühlte sich
Fleischhauer angesprochen und schrieb einen Text darüber. Ein Text darüber,
dass man keine Texte schreiben darf, die man doch schreiben darf. Ein
Mitreden darüber, dass man nicht mitreden darf, obwohl man mitreden darf.
So werden Mitredeverbote herbeifantasiert, obwohl es darum geht, ein
bisschen weniger und ein bisschen leiser zu sprechen. Obwohl es darum geht,
dass nicht jeder weiße Mann nochmal dasselbe Argument machen muss, sondern
auch andere, wichtigere Stimmen gehört werden können. Obwohl es darum geht,
dass wenn man ohnehin schon die Debatte beherrscht, man nicht noch den
restlichen Platz damit vermüllt, dass man angeblich nicht mitreden darf.
Nur wer es wie weiße Männer gewohnt ist, ständig und zu allem mitreden zu
dürfen, kann so maßlos reagieren, wenn die eigene Stimme nicht mehr die
einzige oder die wichtigste ist. Und da findet sich dann auch die Parallele
zur #MeToo-Debatte. Nur wer so maßlos ist, alle haben zu wollen, wie Harvey
Weinstein, ist beleidigt, wenn sie „nein“ sagen. „Ich bin es gewohnt“,
sagte Weinstein zu den Frauen, die er belästigte, „komm schon“.
24 Nov 2017
## LINKS
[1] http://www.nytimes.com/interactive/2017/11/10/us/men-accused-sexual-miscond…
[2] http://www.zeit.de/2017/46/sexismus-metoo-sexuelle-gewalt-debatte
[3] http://www.deutschlandfunkkultur.de/thea-dorn-zur-sexismus-debatte-das-ist-…
[4] http://www.tagesspiegel.de/kultur/sexismus-debatte-ein-lob-auf-den-aelteren…
[5] http://plus.faz.net/feuilleton/2017-11-09/kevin-allein-auf-der-welt/77601.h…
[6] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/debattenkultur-jan-schwaetzt-zu-v…
## AUTOREN
Lalon Sander
## TAGS
Dumme weiße Männer
Harvey Weinstein
Sexuelle Übergriffe
Wutbürger
Schwerpunkt #metoo
antimuslimischer Rassismus
Katarina Barley
taz-Serie Sexuelle Gewalt
Wolfgang Gedeon
Dumme weiße Männer
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