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# taz.de -- #Metoo und seine Auswirkungen: Nun kommen die Weihnachtsfeiern
> Sie gehört zur Firma wie Maggi zu Kantinen: die Weihnachtsfeier. Dort
> wird sich zeigen, ob sich durch #metoo etwas geändert hat.
Bild: Gefürchtet und doch beliebt: die Firmenweihnachtsfeier. #MeToo könnte d…
Weihnachtsfeiern in Betrieben gibt es, seit es Betriebe gibt. Geben wird es
sie, solange es gewisse menschliche Triebe gibt. Das liegt auf der Hand,
auch wenn diese Hand nicht auf einem fremden Knie liegen sollte. Weshalb
für die Weihnachtsfeiern 2017 womöglich erstmals in ihrer langen und
langweiligen Geschichte andere Regeln gelten werden. Sollte die
#metoo-Debatte wirklich so etwas wie ein gesellschaftliches Umdenken
bewirkt haben, werden wir es auf der Weihnachtsfeier deutlich zu spüren
bekommen. Oder eben nicht. Sie ist ein erster Lackmustest für unsere
Lernfähigkeit.
Als das Ritual noch ganz neu war, ein zartes winterliches Pflänzchen
sozusagen, in den Manufakturen und Amtsstuben und Unternehmen des 19.
Jahrhunderts, da kamen manche Zeitgenossen aus dem Staunen darüber gar
nicht mehr heraus. Gustave Flaubert beispielsweise: „Es gibt tatsächlich
Leute, die Weihnachtsfeiern veranstalten. Wie komisch!“ Weil er aber in
einer erblühenden Arbeitswelt wurzelte, entwickelte auch dieser öffentliche
Ableger des privaten Weihnachtsfestes sich prächtig. Kein Krieg, keine
Wirtschaftskrise und kein kultureller Umbruch konnte dem Weihnachtsfest
etwas anhaben. Warum? Darum!
Zwar lässt sich das gesellige Beisammensein bei Bowle und Brezeln auch
klassisch christlich begründen. Weil Menschen die meiste Zeit ihres Lebens
im Betrieb verbringen und dort auch soziale Kontakte pflegen, so die
vordergründige Logik, hat das „Fest der Liebe“ auch im Betrieb seinen
Platz. Das ist natürlich Mumpitz. Auf der Weihnachtsfeier mögen allerlei
Gefühle aufkommen, von Langeweile über Widerwillen bis zur Euphorie –
Besinnlichkeit ist gewiss nicht dabei.
Vielmehr folgt die Weihnachtsfeier, wie alle anderen Saturnalien auch,
ihren eigenen inneren Mechanismen. Sie ist die eine Ausnahme im Kontinuum
des Alltags, die den Alltag wiederum stabilisiert. Hier kann man sein,
angeblich, wie man „sonst nie“ ist. Hier kann man, in mit Sternchen und
Kränzchen verfremdeter Umgebung, auch die Kolleginnen und Kollegen „mal
ganz anders kennenlernen“.
## Die ganze Veranstaltung: ein großer Fettnapf
Auch diese Erzählung aber hat ihre Tücken und, wie alle anderen verordneten
Zwanglosigkeiten auch, ihre kleinen Verlogenheiten. Wir sind nicht, wie wir
wirklich sind, wenn uns der Abteilungsleiter über die Schulter schaut – und
die Kollegen lernen wir bisweilen besser kennen, als wir das jemals
wollten. Die ganze Veranstaltung: ein einziger großer Fettnapf.
Präziser ist der zeitgemäße, kühle und eben neoliberale Blick auf die
Weihnachtsfeier. Hier wird angenommen, die Beschäftigten empfänden sie als
motivierende Wertschätzung ihrer Arbeit. Etwa 70 Prozent aller Unternehmen
in Deutschland veranstalten eine Weihnachtsfeier. Wo dies nicht geschieht,
ist der Wurm drin, irgendwie. Der „Incentives“ verteilende Weihnachtsmann
aus der Poststelle und die süßer nie klingenden Glocken über die großen
Boxen dienten also dem „Teambuilding“, die angenommene Abwesenheit aller
Hierarchien der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. Was auch, wenn
überhaupt, nur die halbe Wahrheit ist.
Zieht man nun die naiven, verlogenen und ideologisch gewünschten
Zuschreibungen mal ab, ruht eine Weihnachtsfeier auf genau drei Säulen.
Macht, Alkohol und Möglichkeiten. Nicht nur karrieristische, auch
zwischenmenschliche, also allgemein erotische Möglichkeiten, die sich aus
dem geselligen Beisammensein von Macht und Alkohol ergeben.
Prominentes Beispiel dafür ist Franz Beckenbauer, der auf der
Weihnachtsfeier des FC Bayern 1999 das Betriebsklima zwischen sich und
einer Sekretärin dergestalt verbesserte, dass neun Monate später ein
uneheliches Kind zur Welt kam – wie überhaupt das Statistische Bundesamt
seit Jahrzehnten den späten Hochsommer als besonders geburtenträchtig
verzeichnet. Im Winter ist es dunkel, kuschelig … und what happens at the
Weihnachtsfeier stays at the Weihnachtsfeier.
## Begegnungen im sozialen, fast sozialistischen Raum
Einerseits begegnen an diesem einen Abend alle Beteiligten sich in einem
sozialen, beinahe sozialistischen Raum, in dem alle gesellschaftlichen
Unterschiede aufgehoben sind. Sie sind es allerdings nur im Rahmen eines
Spiels, hinter dem die üblichen Machtverhältnisse weiterhin sichtbar
bleiben. Es sei denn, sie werden mithilfe von Alkohol zeitweilig verwischt.
Je mehr Hemmungen und Hüllen fallen, umso mehr nähert sich die
Weihnachtsfeier ihrem geheimen Sinn – und dort wartet schon #metoo.
Es wird darüber geredet werden an den Tischen, mit Blick auf die Tanzfläche
oder das knutschende Neupaar in der Ecke, möglicherweise. Wir werden hören
können, wie die Frauen sich darauf beziehen, ernsthaft oder scherzhaft, im
Lift oder bei Sätzen wie „Ich kann dich auch gerne nach Hause bringen!“.
Spätestens nach ein paar Gläsern dieses köstlichen Glühweins werden auch
Männer um das Thema nicht mehr herumkommen.
Zu den vielen Fettnäpfchen – dem Tanzen auf Tischen, dem Duzen des Chefs,
dem Kotzen vor die Theke – dürfte sich mit #metoo eine regelrechte
Fettbadewanne gesellt haben. Wir werden umständliche Tänzchen sehen von
Männern, die in ihrem täppischen Begehren vermeiden wollen, dort
hineinzufallen.
Wenn der ganze Abend darauf hinausläuft, „sich näherzukommen“, wird früh…
oder später #metoo wie ein mentales Stoppschild auftauchen. Ein
Warnhinweis. Wir werden – auch an uns selbst – beobachten können, wie
darauf reagiert wird. Ob, wie manche Stimmen ernsthaft fürchteten, die
Leichtigkeit des „unverbindlichen Flirts“ als „Spiel der Geschlechter“
diesmal ausfällt. Ob also Männer und Frauen einander betreten
gegenübersitzen, die einen eifrig Fehler vermeidend, die anderen eifrig auf
Fehler lauernd. Die befürchtete Generalverklemmung, wird sie spürbar sein?
## Erfreulicher Effekt für das Klima in den Köpfen
Wir werden umgekehrt zumindest erste Anzeichen dafür sehen, ob die
Gesinnung sich wirklich gewandelt hat. Vielleicht noch keine komplette
Störung des üblichen Betriebs, vielleicht aber doch zarte winterliche
Vorboten einer Welt aus einvernehmlich miteinander ins Benehmen sich
setzender Frauen und Männer. Wir werden beobachten oder wenigstens erahnen
können, ob Macht noch immer hemmungslos ausgespielt wird, wenn auf beiden
Seiten die Hemmungen erst einmal gefallen sind.
Es ist, kurzum, die Weihnachtsfeier die erste Probe aufs Exempel, ob es
etwas gebracht hat. Sei es, dass der Mann sich selbst gegenüber
Rechenschaft über seine Handlungen ablegt; ausnahmsweise rechtzeitig, also
vorher. Sei es, dass die Frau durch die Debatte wirklich eine Ermächtigung
und das allgemeine Klima eine Veränderung erfahren hat, sodass sie aktiv
dafür sorgen kann, dass die Handlungen unterbleiben; rechtzeitig, also
vorher, mindestens aber währenddessen.
Möglicherweise werden sogar Männer und Frauen reden. Miteinander. Darüber.
Es wäre wohl der erfreulichste Effekt, nicht nur für das Klima im Betrieb.
Auch für das Klima in den Köpfen.
4 Dec 2017
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Sexualisierte Gewalt
sexuelle Belästigung
Schriftsteller
Schwerpunkt #metoo
Katarina Barley
taz-Serie Sexuelle Gewalt
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