| # taz.de -- Neuauflage der Werke von Flaubert: Lang lebe der tote Autor | |
| > Moderner geht’s nicht: Gustave Flauberts „Bouvard und Pécuchet“, | |
| > „Sottisier“ und das „Wörterbuch der gemeinen Phrasen“ erscheinen als | |
| > Werkkomplex. | |
| Bild: Der Romancier Gustave Flaubert | |
| Gustave Flauberts „Sottisier“, die „Universalenzyklopädie der menschlich… | |
| Dummheit“, ähnelt strukturell der auch als Langgedicht bezeichneten | |
| Materialsammlung „1989“ von Rainald Goetz. Der Büchnerpreisträger verstand | |
| sich während des Entstehungsprozesses als Filter aus den Medien | |
| aufgeschnappter Sätze, die er „passiv durch sich hindurchgehen und vor sich | |
| entstehen“ lassen wollte. Man kann, ja muss das als konkretes | |
| Anwendungsexperiment des berühmten poststrukturalistischen Topos vom „Tod | |
| des Autors“ interpretieren. | |
| Es geht darum, ein genuin schöpferisches Prinzip infrage zu stellen, die | |
| Vorstellung vom Autor als einem genialen Demiurgen zu dekonstruieren und | |
| jedem Text ein Eigenleben zu attestieren, das sich der Kontrolle seines | |
| Urhebers entzieht. Zeichen sprechen für sich. Der Popliterat und Musiker | |
| Thomas Meinecke hat das – vielleicht noch radikaler als Goetz – in seinen | |
| unter dem Titel „Ich als Text“ erschienenen Frankfurter Poetikvorlesungen | |
| darzustellen versucht, indem er die eigene Poetik als Bestandsaufnahme der | |
| Rezeption seiner Bücher stilisiert. Die „Vorlesungen“ bestehen lediglich | |
| aus Interview- und Rezensionsausschnitten, einem Sekundär-Mix also. | |
| Flaubert, dessen 1881 posthum publiziertes Roman-Fragment „Bouvard und | |
| Pécuchet“ jetzt im Wallstein-Verlag mitsamt dem „Sottisier“ und dem | |
| „Wörterbuch der gemeinen Phrasen“ in der Übersetzung des Flaubert-Kenners | |
| Hans-Horst Henschen erschienen ist – als kommentierter und erstmals | |
| aufeinander bezogener „Werkkomplex“ in vierbändiger Kassette inklusive | |
| bislang selbst im Französischen unveröffentlichter Exzerpte –, verfuhr ganz | |
| ähnlich. Bouvard und Pécuchet, die Protagonisten des enzyklopädischen und | |
| tatsächlich lexikalisch aufgebauten satirischen Konzeptromans, sind qua | |
| Erbschaft in der Lage, in diversen Wissenschaftszweigen wie Pädagogik, | |
| Ökonomie, Theologie und Philosophie sowie in praktischen Feldern wie | |
| Viehzucht, Ackerbau und Schnapsbrennerei gnadenlos zu dilettieren. Man | |
| könnte in den beiden absurden Clowns Vorbilder für die Beckett-Figuren | |
| Wladimir und Estragon sehen, aber es war eher Balzacs (kürzlich im | |
| Verbrecher-Verlag erschienene) Komödie „Mercadet oder Warten auf Godeau“, | |
| die beim Schreiben durch Beckett „hindurchging“, als das literarische | |
| Vermächtnis Flauberts, das immerhin als Wegbereiter des modernen Romans | |
| gelten darf. | |
| ## Die Idee vom Tod des Autors | |
| Bouvard und Pécuchet warten dann auch nicht auf Godot, sondern verschreiben | |
| sich nach dem Scheitern und der Einsicht in die Vergeblichkeit ihrer | |
| ambitionierten Aktivitäten aus dem Dunstkreis einer „Ordnung der Dinge“ | |
| einer letzten, heilenden Tätigkeit: dem bewussten Mitschreiben oder | |
| Abschreiben, sprich Kopieren von Texten, so wie später Goetz und Meinecke – | |
| so wie es einst Mönche in den Klosterbibliotheken taten. Kein Zufall, dass | |
| die klerikale Kopiertätigkeit in Umberto Ecos Bestseller „Der Name der | |
| Rose“ eine tragende Rolle spielt, gehörte doch Eco zu den postmodernen | |
| Verfechtern der Idee vom Tod des Autors. | |
| Das Material, in dem es im Bouvard-und-Pécuchet-Komplex geht, erscheint | |
| willkürlich zusammengesucht – wie bei Goetz, der es primär dem Fernsehen | |
| entnimmt. Bei Flaubert sind es nach Gewicht gekaufte Papiere, alte Briefe, | |
| Zeitungen und Plakate. Als typisch moderner Zug gilt „die Einbeziehung des | |
| Trivialen, Ordinären, Banalen, Hässlichen, Gemeinen, Absurden usw. in die | |
| Reichweite des Ästhetischen“, schreibt Henschen im Nachwort zum vierten | |
| Band. Flaubert initiiert demzufolge den „Prozess der Entdifferenzierung von | |
| Kunst und Nicht-Kunst“. Gleichzeitig schuf er mit dem „Sottisier“ – und | |
| nicht etwa mit seinen ja auch gesellschaftskritischen Romanen – das | |
| authentischste Abbild seiner Zeit. Es ging ihm darum, „aus der Dummheit | |
| meiner Epoche einen Brei [zu] machen, mit dem ich das neunzehnte | |
| Jahrhundert beschmieren werde“. | |
| Das klingt schon nach dem Goetz’schen „Abfall für alle“. Wichtig war dem | |
| Verfasser der „Madame Bovary“ und der „Éducation sentimentale“, dass k… | |
| Wort vorkommen dürfe, „das auf meinen eigenen Mist gewachsen wäre“. Es | |
| musste aus Zitaten bestehen. Über Sinn und Unsinn der Theorie vom Tod des | |
| Autors wurde viel diskutiert. Als Instrumentarium zum Verständnis von | |
| Texten und zum Verständnis des Verfassens von Texten ist sie hilfreich, ja | |
| essenziell. Absolut gesetzt, kann sie dagegen immer nur Annäherung sein, | |
| bleibt doch ein guter Autor im Text erkennbar. Das gilt für Meinecke und | |
| Goetz, der zuletzt mit „Johann Holtrop“ einen flauberthaft realistischen | |
| Roman vorgelegt hat. Und es gilt für Flaubert selbst, dessen Auswahl an | |
| Sottisen ein feines, unvergleichliches Gespür erkennen lässt. Insofern ist | |
| er im Anspruch, sich als Autor zu verabschieden, gescheitert – das aber auf | |
| grandiose, wegweisende, mitunter hochkomische und auf jeden Fall | |
| lesenswerte Weise. | |
| 19 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Schwartz | |
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