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# taz.de -- Diskussion um #Metoo: Bitte keine Sprechverbote!
> Die Debatte um sexuelle Gewalt wird ergebnisarm versanden. Und das liegt
> weniger an der Sache, sondern an der Gesprächsunkultur.
Bild: Nicht nur twittern, auch sprechen lohnt bestimmt – wenn alle mitreden d…
Dieser Text muss damit rechnen, ganz grundsätzlich abgewiesen zu werden –
der Autor ist ein Mann, wenngleich einer, der in Sachen Anbahnung von
Geschlechtsdingen heterosexueller Prägung nichts mitzureden hat. Aber das
ist womöglich ein besonderer Nachteil, denn reden sollen nur Betroffene,
Opfer der Umstände, die sie beklagen. In der öffentlichen Arena soll nur
Legitimität haben, wer die Annahme teilt, alles an den weltweit geäußerten
Klagen über Männer und durch sie verübte sexualisierte Gewalt sei
unterschiedslos gewichtig.
Weinstein, Spacey und alle anderen Männer: Die Debatte um sexuelle Gewalt
wird ergebnisarm versanden. Und das liegt weniger an der Sache selbst, an
mauernden Männern, sondern an einer Gesprächsunkultur, die alle
Differenzierungen mit Empörungsgesten abweist.
Meine Kollegin [1][Fatma Aydemir] mokierte sich in dieser Woche über den
Zeit-Redakteur Adam Soboczynski und seinen Text [2][„Überreizte Debatte“],
der die Unterzeile trägt: „Wer Vergewaltigungsfälle dazu nutzt, kleine
Alltagsrechnungen zu begleichen, verharmlost schwere Straftaten.“ Sie
schreibt: „Wie kommt eine Person auf die Idee, dass alltägliche
Belästigungen und Übergriffe Nichtigkeiten seien, die nicht der Rede wert
sind? Eben, weil diese Person nicht tagtäglich von diesem Verhalten
betroffen ist. Am Ende von Soboczynskis polemischem Text bleibt nur noch
eins hängen: Wer (noch) nicht vergewaltigt wurde, soll besser die Klappe
halten und nicht über Sexismus klagen. Es bleibt zu hoffen, dass genügend
Leser*innen erkennen: Diese Position ist einfach nur belanglos.“
Davon abgesehen, dass Soboczynski tatsächlich an keiner Stelle seiner Bitte
um Differenzierung von „Nichtigkeiten“ spricht, wird ihm ein „belanglos“
hinterhergerufen, was auch so interpretiert werden kann: Was er sagt, ist
nicht interessant – weil er keine Frau ist.
Der Kollege der Zeit ist ein Mann, aber eine Art Sprechverbot bekam auch am
vorigen Sonntag die Schriftstellerin Heike-Melba Fendel verpasst. In der
Talkshow „Anne Will“ wagte sie es, das Gebot der Dauerbetroffenheit zu
verletzen: Sie wies darauf hin, dass in Hollywood keine
#Metoo-Solidaritätsbekundung interesselos geäußert werde, dass es sozusagen
zum promotionell guten Ton gehört, ein „Ich auch!“ hinterherzutwittern,
weil das im Gespräch hält.
Die Art, wie etwa Ursula Schele, Vorsteherin einer in Kiel beheimateten
Institution für „Gewaltprävention“, Heike-Melba Fendel in dieser Sendung
ins Wort fiel, sie mit aggressiv-fürsorgerischer Art zu verunmöglichen
suchte, war verblüffend. Es schien, als ob ein Rederecht nur hat, wer die
Gebote der Erkenntnisse Frau Scheles akzeptiert: Frauen – überall und immer
Opfer.
Dabei sind es gerade Stimmen wie von Fendel oder Soboczynski, die wichtig
wären, um das, wofür inzwischen das Wort „Weinstein“ steht, besser zu
verstehen. Mit Erklärungen zur Belanglosigkeit von Statements oder
augenrollend vorgetragenen Einschüchterungen ist es ja nicht getan – sie
befriedigen nur den kleinen Abwertungsimpuls des anderen in einer Debatte.
Denn muss nicht tatsächlich auseinandergehalten werden, ob eine Frau Opfer
eines Verbrechens wurde – einer Vergewaltigung etwa? Oder ob sie einen
miesen Spruch erntete, auf den zu antworten ihr nichts Passendes einfiel?
Oder sich nicht verwahren konnte gegen ein Grabschen?
Man könnte die Debatte jetzt anreichern durch das Fachpersonal aus den
Polizeien und den Rechtsinstitutionen: Wie epidemisch ist denn wirklich die
Rate von Gewalt gegen Frauen? Was ergeben die Ermittlungen – auch Befunde
von Falschanschuldigungen? Oder ist spätestens an dieser Stelle die
Gelegenheit gekommen, schärfste Missbilligung auszusprechen? Andererseits:
Gab es nicht den Fall des TV-Meteorologen Jörg Kachelmann, der fälschlich
der Vergewaltigung bezichtigt wurde, wie ein Gericht bestätigte – und der
trotzdem im Milieu des Feminismus mit der moralischen Anklage leben muss,
er sei nur mangels Beweisen freigesprochen worden – aber eigentlich doch
der Täter?
## Was ist mein Anteil an den Geschlechtsverhältnissen?
Die Schauspielerin Annette Frier gab am Mittwoch der Berliner Zeitung zu
Protokoll: „Wir brauchen keinen Sexismus-Tüv mit zweijährlicher
Hauptuntersuchung und Prüfplakette. Wenn wir über Sexismus und sexuelle
Gewalt als eine besonders miese Spielart des Machtmissbrauchs sprechen,
dann finde ich ein anderes Gedankenspiel interessant: Wo bin ich selbst
eigentlich anfällig dafür, Macht auszuüben? Wie nutze ich als Mutter meine
argumentative Überlegenheit gegenüber den eigenen Kindern aus? Wie verhalte
ich mich im Beruf? Spiele ich damit, wie ich auf Männer wirke – besonders
dann, wenn es ‚wichtige‘ Männer sind? Nehme ich in Besprechungen
Blickkontakt vor allem zu denen auf, die etwas zu sagen haben, weil es mir
auf sie ankommt, egal, ob Mann oder Frau?“
Frier, recht verstanden: Die #metoo-Geschichten sind komplizierter gewirkt
als eine jede Empörung vermuten möchte. Die Bekundung der Schauspielerin
hat vor allem für sich, dass sie auf jede Opferhaltung verzichtet, vielmehr
sich selbst ins Spiel bringt: Was ist mein Anteil, dass die
(heterosexuellen) Geschlechtsverhältnisse so sind, wie sie noch sind?
Ihre Sprechposition lädt zur Debatte ein und schließt sie gegen Unliebsame
(Fendel, Soboczynski etc.) nicht ab. Sie fragt: Was ist die Macht von
Frauen – und verhindert damit, dass die Frau als solche zur zartgliedrigen
und chronisch wehrlosen Figur abgewertet wird. Wie gesagt: Hierbei geht es
nicht um Kriminelles, um Verbrechen, um die sich die Staatsanwaltschaft zu
kümmern hat. Hier geht es um den Alltag, um das, was Soboczynski „kleine
Alltagsrechnungen“ nennt: Sie mögen nicht vermischt werden mit dem, was
durch die Strafgesetze geahndet werden kann.
Das wäre ungefähr der Rahmen, in dem ein produktives Sprechen möglich sein
könnte – seitens der Männer. Nicht wie Volker Schlöndorff, Filmregisseur,
der Dustin Hoffman in Schutz nahm (Delikt: vulgäre Sprüche am Filmset).
Eher von Männern, die nur dies berichten: Welche Ängste treiben sie? Welche
Demütigungen (durch Männer, auch durch Frauen) ertragen sie? Wie wehren sie
sich gegen die Traditionen – und was wünschen sie im Sinne eines besseren
(Sex-)Lebens? Sollen sie doch erzählen, wo sie selbst übergriffig wurden,
wie schon geschehen, leider viel zu oft in Büßerpose. Und Frauen könnten
auch gleich berichten, welche Täterinnenfantasien sie hegen.
Sprechen lohnt sich bestimmt, vielleicht nicht immer gleich in der Zeitung,
aber darüber etwa: Wie soll Sexuelles überhaupt sein? Als
Vertragsverhandlungen? Wie geht dann Verführung? Wie kann Überwältigung
(nicht: Vergewaltigung!) gelingen, sofern beide das wünschen?
Sprecheinschränkungen oder Abwertungen von Sprechenden wegen ihrer
Haltungen oder gar wegen ihres Geschlechts: wertlos, alles.
Es ist eine Erscheinung, die uns aus den Universitäten anweht: dass nur
noch Betroffene von dem, was sie angeht, reden dürfen. Keine hellhäutigen
Menschen über People of Colour, nicht diese über weiße Personen. Alle reden
über alles – das wäre schon mal ein Fortschritt.
19 Nov 2017
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5459277&s=fatma/
[2] http://www.zeit.de/2017/46/sexismus-metoo-sexuelle-gewalt-debatte
## AUTOREN
Jan Feddersen
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