# taz.de -- Proteste gegen Stuttgart 21: Gefangen im Milliardengrab | |
> Jetzt ist es raus: Der neue Bahnhof kostet mindestens drei Milliarden | |
> Euro mehr als geplant und soll frühestens 2024 fertig werden. Und nun? | |
Bild: Die Montags-Demos gegen Stuttgart 21 könnten nun wieder an Fahrt aufnehm… | |
Stuttgart taz | Hannes Rockenbauchs Stimme überschlägt sich, wenn er den | |
Wahnsinn von Stuttgart 21 ausmalt. Genüsslich präsentiert er die Milliarden | |
an Mehrkosten, die die Krise des Bauvorhabens markiert. Seine Anhänger | |
jubeln, eine Trompete schmettert den Siegesmarsch aus „Carmen“. Rockenbauch | |
mit seinem charakteristischen roten Bart und der jugendlichen Ausstrahlung | |
ist auch sieben Jahre nach der Schlichtung immer noch der Popstar der | |
Bahnhofsgegner. | |
Es ist winterlich kalt an diesem Montag Anfang Dezember auf dem kleinen | |
Schlossplatz in Stuttgart. Aber die Nachricht, dass der verhasste | |
Tiefbahnhof nun auch offiziell mindestens 7,5 Milliarden Euro kosten wird | |
und damit fünfmal mehr als der bis dahin teuerste deutsche Hauptbahnhof in | |
Berlin, hat immerhin gut 400 Teilnehmer auf die Straße getrieben. Die | |
Organisatoren wollen sogar 1.000 gezählt haben. Die Bewegung hat über die | |
Jahre eine gewisse Protestroutine entwickelt. Aber bei dieser, der 396. | |
Montagsdemo, ist es fast ein bisschen wie früher, als die Bewegung noch | |
Tausende auf die Straße gebracht hat. | |
Sie können sich bestätigt fühlen: Ist nicht alles genau so gekommen, wie | |
sie es, stets gut beraten von unabhängigen Ingenieuren und Architekten, | |
vorhergesagt hatten? Der Gipskeuper im Stuttgarter Untergrund, der bei | |
Feuchtigkeit aufzuquellen droht, macht beim Bohren der Tunnel Ärger. Die | |
Betonwände müssen deshalb doch dicker angelegt werden. Das kostet Geld. | |
Dazu kommt die bei so einem Langzeitprojekt übliche Baukostensteigerung | |
und, wenn man der Bahn glaubt, auch die ungeheuer teure Einzelumsiedlung | |
von seltenen Eidechsen. | |
Die Mehrkosten seien durch Kosteneinsparungen an anderer Stelle | |
auszugleichen, beteuerte die Bahn lange Zeit. Auch dann noch, als der | |
eigene Kostenrahmen ein ums andere Mal überschritten wurdeErst kürzlich | |
will Bahnvorstand Pofalla dann entdeckt haben, dass die Angebote der | |
Baufirmen „exorbitant“ von den eigenen Kalkulationen abweichen würden. | |
Jetzt muss die Bahn zugeben: Der Tiefbahnhof wird so teuer, wie es die | |
Gegner schon vor Jahren vorhergesagt haben. Das Münchener Ingenieurbüro | |
Vieregg & Rößler hatte schon 2010 Kosten in Höhe von mindestens 6,7 | |
Milliarden Euro prognostiziert. | |
## Bahn wendet „Salamitaktik“ an | |
Gegen die „Salamitaktik“ der Bahn beim Überbringen der schlechten Nachricht | |
wirft sich Rockenbausch am Demo-Montag mal wieder in die Schlacht. Ein | |
Ausstieg aus Stuttgart 21 sei zu jedem Zeitpunkt sinnvoll, sagt er. Anders | |
als beim Berliner Flughafen, wo irgendwann wohl doch mal Flugzeuge starten | |
und landen werden, oder der Elbphilharmonie, wo am Ende zumindest ein | |
herrliches Konzerthaus steht. Nichts sei gut, wenn der Tiefbahnhof erst mal | |
fertig ist. | |
Es ist ja lang bekannt: Im Tiefbahnhof wird es weniger Gleise geben, das | |
sorgt in Stoßzeiten für Probleme. Die Gleise haben eine starke Neigung, und | |
wenn der Gipskeuper quellen sollte, müssen Tunnel zur Sanierung zeitweise | |
komplett stillgelegt werden. „Bei Stuttgart 21 geht es um ein Projekt, bei | |
dem, wenn es fertig ist, alles schlechter ist als vorher“, sagt | |
Rockenbauch. | |
Es ist nicht so, dass das Bündnis nur meckern würde. Längst haben die | |
Demonstranten erkannt, dass man nicht einfach auf der alten Forderung „oben | |
bleiben“ verharren kann. Sie sind jetzt für einen leistungsfähigeren | |
Kopfbahnhof „K21“. Die Webseite ist nicht mehr in tristes Schwarz-Weiß, | |
sondern in optimistisches Grün getaucht. Schon seit 2015 liegt der | |
Umstiegsplan des Aktionsbündnisses auf dem Tisch. | |
Ein aufwendiges Konzept, von Ingenieuren und Architekten sauber | |
durchgerechnet, zeigt auf, wie man den Kopfbahnhof auch jetzt noch erhalten | |
und dabei Milliarden sparen könnte. In den Untergrund würde statt der | |
Gleise ein Zentraler Busbahnhof wandern, dazu ein großes Fahrradparkhaus. | |
## Bagger und Betonmischer haben Fakten geschaffen | |
Als das Konzept erstmals präsentiert wurde, waren allerdings erst wenige | |
Kilometer der Stuttgart-21-Tunnels gebohrt. Jetzt sind 60 Prozent der | |
Röhren fertig, das Fundament für den Tiefbahnhof ist fest in Beton | |
gegossen. Bagger und Betonmischer haben inzwischen Fakten geschaffen, die | |
einen Umstieg immer teurer machen. Teurer, als weiterzubauen, sagt die | |
Bahn. Und obwohl sie das schon früher immer behauptet hat, spricht diesmal | |
einiges dafür, dass der Point of no Return überschritten ist. | |
So sagt zum Beispiel Matthias Gastel, verkehrspolitischer Sprecher der | |
Grünen: „Dieser Zug ist abgefahren.“ Gastel erreichte eine gewisse | |
Berühmtheit durch die heimlich auf dem Grünen-Parteitag mitgefilmte Tirade | |
von Winfried Kretschmann gegen das Dieselverbot 2030. Er war der | |
Unglückliche, an dem sich damals Kretschmanns Zorn auf die Partei entlud. | |
Aber beim Thema Stuttgart 21 passt kein Blatt Papier zwischen die beiden. | |
Mag sein, dass die Kostensteigerung den Finanzierungsvertrag und die | |
Volksabstimmung obsolet machen würde. Die Grünen bleiben bei dem, was auch | |
im baden-württembergischen Koalitionsvertrag mit der CDU vereinbart wurde. | |
Das Land beteiligt sich mit einer knappen Milliarde an dem ungeliebten | |
Tiefbahnhof, mit keinen Cent mehr. Aber aussteigen werde Baden-Württemberg | |
gewiss nicht. | |
Ein Grund: Das Kopfbahnhofkonzept der Gegner überzeuge ihn nicht, sagt | |
Gastel am Telefon. Der Umstieg sei in Wahrheit ein Ausstieg. Der | |
Busbahnhof, der an die Stelle des Tiefbahnhofs treten soll, sei in dieser | |
Dimension kaum auszulasten, und was aus den bereits gebohrten Tunnelröhren | |
werde, bleibe völlig offen. „Da blieben Bauruinen“, sagt Gastel. Abgesehen | |
davon würde der Umstieg eine enorme Verzögerung bedeuten. „Allein eine neue | |
Planfeststellung dauert Jahre“, gibt Gastel zu bedenken. | |
## Wie es weitergeht, wird erst 2018 entschieden | |
Und auch wenn die Gegner in ihrem aktualisierten Umstiegskonzept sogar der | |
Staatsoper, die renoviert werden soll, ein temporäres Exil bieten wollen, | |
wirkt das kreativ und sympathisch, aber wenig realistisch. Außerdem, sagt | |
Gastel, hätten die Leute ihren Frieden mit dem Projekt gemacht. Er könne | |
auch in seinem Wahlkreis nahe Stuttgart keinen Sturm der Entrüstung | |
feststellen, seit die neuen Kostensteigerungen bekannt sind. Aufregen | |
würden sich darüber immer nur die Gleichen, sagt Gastel. | |
Es werden also die bekannten Gesichter vom Aktionsbündnis sein, die am | |
Mittwoch dieser Woche die Bahnreise nach Berlin auf sich nehmen, um die | |
Aufsichtsratssitzung der Bahn mit ihrem Protest zu begleiten. Drinnen | |
lassen sich die Aufsichtsräte dann vom Bahnvorstand die neuen Zahlen | |
vorstellen. Zwei ganze Tage nehmen sie sich dafür Zeit. Am Dienstag | |
erhalten sie in Workshops Einblick in das Zahlenwerk. Am Mittwoch wird dann | |
beraten. Wie es weitergeht, darüber will der Aufsichtsrat dann aber erst | |
im neuen Jahr entscheiden. | |
Doch viel Spielraum gibt es nicht. Bleiben Stuttgart und Baden-Württemberg | |
bei der Beteiligung an den Mehrkosten hart und hat dieses Nein auch vor | |
Gerichten bestand, wird es für die Bahn oder den Bund sehr teuer. Entweder | |
muss der Konzern Milliarden-Kredite aufnehmen und die Kosten über | |
Einsparungen refinanzieren oder der Finanzminister einer künftigen | |
Bundesregierung kann schon mal Milliarden im Bundeshaushalt für einen | |
Bahn-Zuschuss einplanen. | |
Rockenbauch, der Volkstribun, ruft am saukalten Demo-Montag ins Mikrofon: | |
Es sei ihm „scheißegal“, ob die Bahn, der Bund oder das Land zahlt. „Am | |
Ende sind es immer die Bürger. Und es ist Geld, das fehlt für einen | |
besseren Schienenverkehr.“ Der Mann hat recht. Aber was nützt das? | |
11 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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