# taz.de -- Nach dem EU-Afrika-Gipfel: Abseits der Schlagzeilen | |
> Für einige Akteure war die Hoffnung beim EU-Afrika-Gipfel in Abidjan | |
> groß. Nun herrscht Enttäuschung vor – insbesondere bei den Afrikanern. | |
Bild: Abdoulaye Dosso ist freiwillig aus Libyen in die Elfenbeinküste zurückg… | |
ABIDJAN taz | Es ist Mittwochmittag, und die herrischen Gesten der | |
Leibwächter lassen keinen Zweifel daran, dass die Ankommenden in den | |
Limousinenkonvois zunehmend mächtiger werden. Vor dem Haupteingang des | |
Sofitel Ivoire, des teuersten Hotels der Elfenbeinküste, stehen | |
hochgewachsene Männer in traditioneller Kriegerkluft Spalier neben | |
Protokollbeamten. Hier kommen nur Präsidenten, Könige und Angela Merkel | |
durch. | |
Also muss Olawale Maiyegun den Seiteneingang nehmen. Der Nigerianer, | |
Sekretär für Soziales bei der Afrikanischen Union (AU), legt seine | |
Aktentasche auf das Laufband und schaut, wie sie in der Röntgenkammer | |
verschwindet. Er lässt sich in einen der Sessel in der Lobby fallen. Um ihn | |
herum warten alle auf Emmanuel Macron. Auf ihn setzen hier alle Europäer | |
ihre Hoffnungen. Wenn nicht er die Sklaven aus Libyen befreien kann, wer | |
dann? Es ist eine der wichtigsten Fragen, die in den nächsten Tagen auf dem | |
Afrika-Gipfel geklärt werden soll. | |
Wenige Stunden ist es her, da ist Maiyegun mit einem kleinen | |
Charterflugzeug auf dem Flughafen von Abidjan gelandet, direkt aus | |
Tripolis, der Hauptstadt des Landes, das gerade für alle hier nur noch der | |
Ort ist, an dem Schwarze als Sklaven verkauft werden. Kurz bevor der Gipfel | |
der Europäischen und Afrikanischen Union im prachtvollen Sofitel beginnt, | |
sollte er in Libyen noch einmal die Lage sondieren. Denn allen ist klar: | |
Die Staatschefs können unmöglich wieder auseinandergehen, ohne einen | |
Beschluss zur Rettung der Flüchtlinge, die in den Lagern Libyens als | |
Sklaven verkauft werden, zu fassen. | |
Seit 2009 arbeitet der Nigerianer Maiyegun für die AU, davor war er | |
Botschafter, unter anderem in Frankreich. Das bestimmende Ereignis seiner | |
Amtszeit bei der AU war die Ebolakrise. Maiyegun stellte Teams von Ärzten | |
und Pflegern zusammen, die in die betroffenen Staaten wie Liberia entsandt | |
wurden. „Afrikaner für Afrikaner“ hieß das Projekt, über 800 Freiwillige | |
meldeten sich. Maiyegun war stolz; umso mehr ärgerte ihn, dass der | |
afrikanische Beitrag zur Eindämmung der Ebolakrise „übersehen“ wurde. Die | |
Welt habe Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen applaudiert, den | |
„heldenhaften“ Beitrag der afrikanischen Helfer in der Ebolakrise aber | |
ignoriert. | |
## EU ist verantwortlich | |
Und so, denkt er, wird es jetzt wieder werden. „Natürlich ist die EU für | |
das verantwortlich, was in Libyen passiert“, sagt er. Er sieht die Sache so | |
wie die meisten Afrikaner: „Wer bezahlt die Libyer schließlich dafür, dass | |
sie die Schwarzen einsperren?“ | |
Im überfüllten Casinogebäude des Hotels sitzt auch Fabian Wagner. Der | |
28-Jährige ist Sprecher des Europäischen Jugendverbandes der Grünen, nach | |
Abidjan ist er als einer von 36 jungen Leuten gekommen, die EU und AU | |
gewissermaßen als Co-Delegierte eingeladen haben. Sie stammen aus Simbabwe, | |
Kongo, Marokko, Dänemark, Deutschland und anderen Ländern. Die Jugend, in | |
die „investiert“ werden solle, das ist die offizielle Agenda des Gipfels, | |
deshalb sind sie heute alle hier. Die letzten sieben Wochen haben sie in | |
Brüssel, am Sitz der EU, und in Addis Abbeba, am Sitz der AU, | |
zusammengesessen. Ihr Auftrag: die Forderungen „der Jugend“, um die es bei | |
dem Gipfel gehen sollte, in „umsetzbare Vorschläge“ übersetzen. | |
Für ihre Debatten hatte die EU Themen vorgegeben. Eines der wichtigsten: | |
Migration. Auf 92 Seiten haben Wagner und seine Mitstreiter Dutzende | |
Vorschläge durchdekliniert: einen „Bildungspass“ etwa, der | |
Studienleistungen auf beiden Kontinenten vergleichbar macht oder ein | |
Erasmus-Programm für beide Kontinente. Unter dem lauten Beifall aus dem | |
Saal tragen sie diese Ideen nun reihum den anwesenden Funktionären von EU | |
und AU vor. | |
## Ansprache in Form eines Reggae-Songs | |
Eigentlich hätten gerade in dieser Stunde Menschen vor die Botschaften | |
Frankreichs und Libyens und das Büro der EU ziehen wollen. Doch die Polizei | |
hat die Demo verboten. | |
Salomon Anda lässt sich davon nicht beirren. Am letzten Gipfeltag steht er | |
in einer kleinen, staubigen Straße voller Bretterbuden, im Stadtteil Vridi, | |
ganz im Süden Abidjans. Er ist Rastafari, trägt ein knielanges schwarzes | |
Hemd und eine weiße Hose. In dem armen Wohnviertel wollen Aktivisten um | |
Anda am Sonntag nachholen, was die Polizei während des Gipfels unterbunden | |
hat: Eine öffentliche Versammlung, in der „die Menschen, die nicht zum | |
Gipfel durften, sagen, was sie denken“, sagt Anda. | |
Er nimmt jetzt das Mikrofon und singt. Es ist eine Ansprache in Form eines | |
Reggae-Songs. Von Afrika ist die Rede, das nicht die Hölle sein müsste, die | |
es für manche heute ist, sondern eine „reiche Erde“. Und von Abraham aus | |
der Bibel, der auch schon „ein Migrant“ war. | |
Wenige Stunden nachdem die Staatschefs abgeflogen sind, sitzt Fabian Wagner | |
in der Kantine der Sporthochschule der Elfenbeinküste in Abidjans Stadtteil | |
Treichville. | |
## Überaus kümmerliches Ergebnis | |
Die offizielle Abschlusserklärung des Gipfels ist eine Aneinanderreihung | |
von Floskeln, für die sich niemand interessiert. Entwicklung taucht darin | |
nur als Frage privater Investitionen auf. Verbindliche Verpflichtungen, in | |
„die Jugend“ zu investieren, enthält sie nicht. „Ein Desaster.“ Wagner… | |
enttäuscht. | |
Und trotzdem: „Viele der Staatschefs haben sich in ihren Reden auf unsere | |
Vorschläge bezogen“, sagt er. Die EU wolle nun „vielleicht ein Youth Lab | |
einrichten, in dem wir die nächsten vier Jahre weitermachen können“. | |
In diesen Stunden berichten die Medien über die Ergebnisse des Gipfels. Von | |
der Jugend oder von Entwicklung ist in den Schlagzeilen nichts zu lesen, | |
dafür umso mehr von Merkels und Macrons [1][„Rettungsplan“ für die | |
Sklaven]. Tatsächlich ist es ein überaus kümmerliches Ergebnis: 3.800 | |
Internierte sollen in Länder wie Tschad und Niger ausgeflogen werden – etwa | |
ein Hundertstel der Migranten in Libyen. Die EU will dem Land, dessen | |
Botschafter wegen der Sklavenbilder aus vielen afrikanischen Ländern | |
ausgewiesen wurden, mehr Geld geben, damit es die Afrikaner aufhält. „Ich | |
kommentiere das besser nicht“, sagt Olawale Maiyegun. Er ist immer noch ein | |
Diplomat. | |
1 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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