# taz.de -- Globalisierter Journalismus: In der Welt mitreden | |
> Im internationalen Journalismus spielen deutsche Medien kaum eine Rolle. | |
> Wie die großen Verlage das ändern wollen. | |
Bild: Was liest die globale Finanzelite? Nicht den „Spiegel“ | |
Wolfgang Blau ist auf Mission. Er will deutsche MedienmacherInnen wach | |
rütteln. Das probiert er schon seit Jahren. Bereits als Digital-Chef des | |
britischen Guardian sprach er von einem „relevant set of five or ten“ – | |
einem Kreis von fünf oder vielleicht auch zehn Medien, die irgendwann | |
international den Ton angeben werden bei den „wichtigsten Themen unserer | |
Generation, dem Klimawandel und der Zukunft unserer Demokratie“. | |
Keine Frage: Die New York Times wäre in dieser Welt des „globalisierten | |
Journalismus“ dabei. Auch der Guardian dürfte hoffen. Aber was ist mit | |
einer publizistischen Stimme aus Mitteleuropa, etwa – ganz verrückt: aus | |
Deutschland? Blaus Botschaft: Diese Stimme muss sich dringend entwickeln. | |
„Kann es sich Deutschlands Journalismus eigentlich noch erlauben, im | |
europäischen und internationalen Diskurs nicht wahrgenommen zu werden?“, | |
[1][fragte Blau], der heute das internationale Geschäft von Condé Nast (GQ, | |
Vanity Fair, Vogue) leitet, jüngst auf dem Jahreskongress des | |
Verlegerverbandes VDZ in Berlin. Flüchtlingsströme und andere bedeutsame | |
Themen würden „in jedem europäischen Land im jeweiligen Sprachsilo dieses | |
Landes diskutiert“ und „gegenüber Asien und den USA fast ausschließlich v… | |
britischen Medien erzählt“. | |
In der Medienszene finden seine Gedanken Bestätigung. „Das stimmt schon – | |
wir sind alle sehr mit uns selbst beschäftigt“, sagt Gabor Steingart, | |
Herausgeber des Handelsblatts. „Nehmen wir das Zukunftsfeld ‚Künstliche | |
Intelligenz‘: Da mischen wir uns praktisch in die internationale Debatte | |
nicht ein – weder in Brüssel noch andernorts auf der Welt.“ | |
Steingart erinnert an den Sprachenstreit der Siedler in Amerika. Ergebnis: | |
Englisch. „In Europa pflegt jedes Land seine eigene Sprache, so ist eben | |
unsere Kultur“, sagt der frühere Spiegel-Reporter. Diese „Sprachbarriere“ | |
sei nicht zu unterschätzen: „Es ist nicht damit getan, Texte zu übersetzen. | |
Man muss sich in die andere Kultur einfühlen. Das braucht Engagement und | |
kostet Geld.“ | |
## Vorreiter Handelsblatt | |
Das Handelsblatt probiert das seit drei Jahren. Auch wenn Handelsblatt | |
Global den Verlag trotz Anzeigen und Abos unterm Strich jährlich einen | |
Millionenbetrag kostet: Der Herausgeber sieht in dem englischsprachigen | |
Angebot sein Geschäftsmodell der Zukunft. Er will unter anderem „die Elite | |
von Wirtschaft und Politik auf der Welt“ erreichen und die MitarbeiterInnen | |
deutscher Konzerne im Ausland – 90 Prozent der Belegschaft seien das etwa | |
bei Adidas, 70 Prozent bei Bayer und der Post. | |
„In zehn Jahren wird der Großteil unsere Zielgruppe außerhalb Deutschlands | |
sein“, sagt Steingart. Damit das klappt, setzen seine JournalistInnen | |
mehrere Geschichten am Tag auf Englisch ab – neben reinen Nachrichten auch | |
Meinungsbeiträge und Analysen. Etwa 25 Leute arbeiten in einem eigenen | |
Newsroom daran, über die Grenzen der Republik hinaus zu wirken. Warum fällt | |
das bei Wolfgang Blau alles unter den Tisch? | |
„Ich nehme ihm das nicht übel“, sagt Steingart und gibt Blau recht: „Wir | |
sind einfach noch nicht im großen Maßstab relevant.“ Gleichzeitig verrate | |
ihm die Statistik aber auch: Wenn Deutsche-Bank-Boss John Cryan oder | |
Daimler-Chef Dieter Zetsche dem Handelsblatt ein Interview geben, sitzen | |
die meisten LeserInnen schon heute nicht mehr in Deutschland. | |
## Deutsche Welle und Zeit Online | |
Tatsächlich bemühen sich auch andere Medien, von Deutschland aus ins | |
Ausland zu senden, darunter die Deutsche Welle. Intendant Peter Limbourg | |
gibt sich selbstbewusst. Sein Sender nehme „jeden Tag am internationalen | |
Diskurs teil, ob in der arabischen Welt, in Lateinamerika oder auf dem | |
Balkan“ – mit Angeboten in 30 Sprachen, auch auf Englisch. | |
Limbourg hat den Fernsehkanal vor zwei Jahren zu einem Nachrichtenkanal | |
umgebaut, vor allem für englischsprachiges Publikum – teils auch gegen | |
Protest. Er sagt: Das englischsprachige Programm werde „zunehmend | |
wahrgenommen“. BBC und CNN seien aber nun mal „erheblich länger unterwegs�… | |
Will heißen: Die „Welle“ muss aufholen. | |
Ob das klappt? Von Steingart, der zwischenzeitlich in den USA lebte, kommt | |
ein Seitenhieb: „Dieses Angebot ist für die heutige Zeit viel zu brav. Und | |
Medien, die vom Staat finanziert werden, sind für Uramerikaner ohnehin ein | |
Gräuel.“ DW-Intendant Limbourg verweist dagegen auf Formate wie Conflict | |
Zone: Die Interviewer Tim Sebastian und Michel Friedman nehmen ihre | |
Gesprächspartner hart ran. Auf Englisch. | |
Passenderweise veröffentlicht auch Blaus früherer Arbeitgeber, Zeit Online, | |
heute zumindest einige wenige Geschichten in der Woche auf Englisch – oft | |
Übersetzungen aus der deutschen Wochenzeitung, teils aber auch Geschichten | |
von MuttersprachlerInnen, speziell für das internationale Angebot. Wie | |
läuft dieses Zeit Online in English? Blaus Nachfolger, Jochen Wegner, | |
meldet zurück: Er sei zu beschäftigt. Keine Antworten. | |
## Spiegel-Titelbilder gehen „buchstäblich um die Welt“ | |
Anders sieht’s beim Spiegel aus, der nicht auf sich sitzen lassen will, im | |
internationalen Diskurs keine Rolle zu spielen. „Das stimmt nicht“, sagt | |
Klaus Brinkbäumer. Der Magazin-Chefredakteur setzt etwa auf das europäische | |
Recherchenetzwerk EIC. Über die Spiegel-Partner in anderen Ländern | |
gelangten „Enthüllungen wie Football Leaks fulminant ins Ausland“. Außerd… | |
gingen einzelne Titelbilder „buchstäblich um die Welt“. Zumindest bei den | |
letzten Anti-Trump-Titeln hat er recht: DemonstrantInnen haben die | |
Zeichnungen, die allesamt von dem Exilkubaner Edel Rodriguez stammen, in | |
den USA auf ihre Schilder gedruckt. | |
Als Spiegel Online 2004 sein Zehnjähriges gefeiert hat, gründete die | |
Redaktion zudem Spiegel International, einen englischsprachigen | |
Onlinedienst. Der wurde jedoch teils Opfer der Sparzwänge, die am Ende auch | |
den Spiegel erreicht haben. Spiegel International wurde eingedampft, | |
allerdings nie ganz eingestellt. | |
Spiegel-Online-Chefredakteurin Barbara Hans berichtet, dass die | |
englischsprachige Berichterstattung „in den vergangenen Monaten | |
intensiviert und verstärkt auf der Homepage sichtbar gemacht wurde“. Zu den | |
Übersetzungen einzelner Reportagen und Analysen kamen Experimente: Während | |
G20 tickerte SPON live auf Englisch. Zur Bundestagswahl veröffentlichte die | |
Redaktion eine englischsprachige Ausgabe ihres Podcasts „Stimmenfang“. | |
Brinkbäumer spricht jedenfalls von „enormen Chancen“ und sagt über | |
englischsprachige Angebote trotz der laufenden Sparagenda im | |
Spiegel-Verlag: „Der Ausbau ist realistisch.“ Deutsche-Welle-Intendant | |
Limbourg will wiederum mehr „in digitale Innovationen investieren“, um ein | |
größeres Publikum zu erreichen. Und auch beim Handelsblatt ist zu hören: | |
Global könnte schon bald mit der deutschen Ausgabe eng verzahnt und so | |
weiter ausgebaut werden. Wolfgang Blau, dem Missionar für den | |
globalisierten Journalismus, dürfte all das gefallen. | |
13 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/m5SJc0xaIeQ?t=17m24s | |
## AUTOREN | |
Daniel Bouhs | |
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