# taz.de -- Minderheiten in den USA: Die Stadt der Muslime | |
> Symptom der Islam-Invasion oder Musterbeispiel für Integration? Hamtramck | |
> ist die einzige US-Stadt mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. | |
Bild: Graffito in Hamtramck | |
Hamtramck taz | Wenn die Kirchenglocken läuten, bleibt der Imam still. Das | |
ist die Absprache, Abdul Motlib hat sie vor mehr als 13 Jahren mit der | |
Kirchengemeinde gegenüber getroffen. Bis zehn Uhr morgens feiern die | |
Katholiken ihren Gottesdienst, ab dem Mittagsgebet ruft dann der Imam. | |
Gelebte religiöse Koexistenz, findet Motlib. | |
Der 59-Jährige sitzt in seinem Büro im Islamic Center Hamtramck, während | |
nebenan im Gebetsraum gerade die Abendandacht zu Ende geht. Dutzende Männer | |
strömen aus der Moschee. Es ist Sonntagabend in Hamtramck, Michigan, und | |
Abdul Motlib unterhält sich mit einem Journalisten von außerhalb – wieder | |
einmal. | |
Das Islamic Center, das Motlib leitet, ist ein Politikum in den USA. Es | |
geht nicht nur um die Moschee, sondern um die ganze Stadt Hamtramck. Die | |
unauffällige 24.000-Seelen-Gemeinde im Großraum der Stahlmetropole Detroit | |
hat ein Alleinstellungsmerkmal. | |
Die ehemals von Polen geprägte Kommune ist seit dem Zuzug von Migranten aus | |
Bangladesch, Pakistan und Jemen die einzige Stadt der Vereinigten Staaten | |
mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit – und seit 2015 stellen Muslime auch | |
die Mehrheit der Mitglieder des sechsköpfigen Stadtrats. | |
Seitdem ist Hamtramck regelmäßig in den Schlagzeilen. Den einen gilt die | |
Stadt als Beispiel für das friedliche Zusammenleben der Religionen – für | |
die anderen ist sie das Symbol einer Invasion von Muslimen, wie das auf | |
rechten Blogs heißt. Dort ist Hamtramck zum Ziel von Hetztiraden geworden, | |
besonders seit Donald Trump mit einem islamfeindlichem Wahlkampf Präsident | |
wurde. | |
## Das Stadtbild ändert sich | |
Viel Aufmerksamkeit für einen kleinen Ort voll Menschen, die eigentlich | |
nicht groß auffallen wollen. Abdul Motlib ist so einer. Er bietet seinen | |
Gästen Essen und Wasser an und erzählt seine fast typische Biografie: Wie | |
viele Bangladescher kam Motlib Ende der achtziger Jahre in die Vereinigten | |
Staaten. Das pursuit of happiness, das Gründungsversprechen der USA, lockte | |
ihn nach Nordamerika. „In Hamtramck gab es Arbeit für uns“, sagt Motlib. | |
„Obwohl wir ungelernt sind.“ | |
Wenige Kilometer von der Moschee entfernt unterhält General Motors eine der | |
letzten großen Autofabriken im Großraum Detroit. Wer hier arbeitet, muss | |
fleißig sein, aber nicht viele Qualifikationen mitbringen. Die | |
heruntergekommenen und kleinen Häuser in Hamtramck kosten häufig nur wenige | |
Tausend Dollar. Und so kamen die Bangladescher in Scharen. Dann kamen die | |
Jemeniten dazu. 43 Prozent der Stadtbevölkerung sind nicht in den | |
Vereinigten Staaten geboren. Und Schritt für Schritt änderte sich das | |
Stadtbild Hamtramcks. | |
Wer heute über die Hauptstraße läuft, sieht Halal-Fleischer, islamische | |
Modegeschäfte und natürlich Moscheen. Sie sind das Zentrum des öffentlichen | |
Lebens in einer sonst verlassen wirkenden Stadt. Entlang der Hauptstraße | |
herrscht auch am Nachmittag Stille. Die wenigen offenen Lä den sind fast | |
ausnahmslos muslimisch. | |
Das Polish Village Cafe ist einer der letzten großen Treffpunkte der | |
polnischen Gemeinde. In dem dunklen Souterrainrestaurant mit seinen | |
holzvertäfelten Wänden ist es schwer, einen Tisch zu finden, Muslime gibt | |
es hier nicht, dafür viele ältere polnischstämmige US-Amerikaner. So wie | |
Greg Kowalski. | |
Der 66-Jährige mit den sorgsam zurückgekämmten weißen Haaren ist so etwas | |
wie der Historiker von Hamtramck – und leitet deshalb auch das | |
Gemeindemuseum. Er ist in der Stadt geboren und hat hier fast sein ganzes | |
Leben verbracht. Fühlt er sich bedroht von den vielen Muslimen in der | |
Stadt? „Einigen ältere Polen ist die Zuwanderung nicht geheuer“, sagt | |
Kowalski. „Aber ich bin der Meinung: Die Muslime haben unsere Stadt | |
gerettet.“ | |
## Niedergang abgewendet | |
Vor der Zuwanderung aus dem Nahen Osten und aus Südasien sei die Stadt | |
durch die jahrzehntelange Krise im Automobilsektor kurz vor dem | |
Zusammenbruch gewesen. Von ehemals 53.000 Einwohnern waren 1990 18.000 | |
übrig geblieben. Doch dank Zuwanderung lebten jetzt wieder 24.000 Menschen | |
in der Stadt, sagt Kowalski: „Viele Geschäfte werden neu eröffnet, und es | |
gibt wieder eine engagierte Zivilgesellschaft.“ | |
So hätten sich vor einigen Jahren Nachbarn aller Nationen zusammengetan, um | |
gemeinsam die Schlaglöcher in den Straßen auszubessern. Der ständige Wandel | |
gehöre eben zu Hamtramck dazu. „Als wir Polen in den 20er Jahren in die | |
Stadt kamen, wohnten hier fast nur Deutsche. Und damals haben wir uns auch | |
arrangiert.“ Außerdem habe es keine wirkliche Verdrängung gegeben. Viele | |
Polen seien einfach weggezogen, weil es anderswo größere und schönere | |
Häuser gebe. | |
Wenn es dann doch Konflikte gebe, dann würden sie von außen herangetragen, | |
sagt Kowalski. Als die Gemeinde 2004 darüber abstimmte, ob die Moscheen der | |
Stadt die Gläubigen per Muezzinruf zum Gebet rufen dürften, waren einige | |
Polen zwar besorgt, suchten aber den Dialog mit den Moscheegemeinden. | |
Gleichzeitig karrten rechte Organisationen Busladungen voll Demonstranten | |
nach Hamtramck, um gegen die angebliche Islamisierung der Stadt zu | |
protestieren. | |
Kowalski erinnert sich: „Da kamen Leute aus Ohio, die noch nie jemand zuvor | |
gesehen hatte, um zu protestieren. Ich bekam Anrufe aus Chicago, ob wir | |
hier Hilfe gegen die Muslime bräuchten. Ich sagte ihnen, dass wir hier sehr | |
gut allein klarkommen.“ Mit knapper Mehrheit entschieden sich die Bewohner | |
damals für den Gebetsruf. Ein Novum in den USA. | |
## Muslimischer Stadtrat | |
Das zweite Mal kam Hamtramck 2015 in die Schlagzeilen, als Muslime zum | |
ersten Mal die Mehrzahl der sechs Stadtratsmitglieder stellten. Man | |
munkelte in Hamtramck, der Stadtrat würde den örtlichen Kneipen und | |
Spirituosengeschäften die Lizenzen entziehen und die Scharia einführen. | |
Nichts davon geschah. In den vergangenen Jahren konzentrierte sich der | |
Stadtrat darauf, die desolate Finanzsituation in Ordnung zu bringen. Ein | |
schweres Unterfangen in der chronisch verschuldeten Gemeinde, die schon | |
14-mal pleiteging. | |
Nicht nur die Stadtkasse ist leer. Auch die Einwohner Hamtramcks sind arm. | |
Fast die Hälfte der Stadtbevölkerung lebt unter der nationalen | |
Armutsschwelle. Wer kann, zieht – wie viele Polen – weg. Wer bleibt, ist | |
oft auf Hilfe angewiesen – die der Staat gerade in den ärmeren Regionen der | |
USA nur unzureichend leistet. Und so muss die muslimische Zivilgesellschaft | |
einspringen. Zum Beispiel Khalid Iqbal, der aus Pakistan stammt und das | |
Muslim Family Center in Hamtramck leitet. | |
In seinem weißen Van fährt der 71-Jährige an einem sonnigen Dienstagmittag | |
langsam die Hauptstraße von Hamtramck entlang. Links und rechts stehen | |
Masten mit den Fahnen der Herkunftsländer der Bürger. | |
Im Laderaum rappeln die Kisten mit gespendeten Lebensmitteln, Khalid Iqbal | |
sucht Menschen in Not. Vor einem Supermarkt, in der prallen Mittagssonne, | |
sitzt ein verwahrloster schwarzer Mann. Seine Hände sind verstümmelt, nur | |
ein Finger an jeder Hand. „Hallo Bruder“, begrüßt Iqbal ihn freundlich. | |
„Hast du Hunger? Ich habe Essen im Laderaum.“ | |
Etwas misstrauisch nähert sich der Mann. „Ich kann das aber nicht bezahlen, | |
und ich habe auch keinen Ort, an dem ich was kochen könnte“, antwortet der | |
Obdachlose. Iqbal: „Dann nimm doch diese Müsliriegel. Du kannst sie alle | |
haben.“ Dankbar nimmt der Beschenkte die Tüte mit Lebensmitteln entgegen. | |
Iqbal verabschiedet sich freundlich und steigt wieder in den Wagen. „Drei | |
von fünf Menschen hier haben keinen Job“, sagt er. „Wir verteilen Möbel u… | |
helfen bei der Arbeitssuche.“ Missionieren wolle man aber niemanden. | |
## Neue Zuwanderer aus Syrien | |
Auch Iqbal hat mitbekommen, dass Hamtramck im Internet zu zweifelhaftem | |
Ruhm gekommen ist. Mit Feindseligkeiten von außen gebe es jedoch keine | |
Probleme, sagt er. Und Trump? „Als er gewählt wurde, haben wir viele | |
aufmunternde Worte von unseren nichtmuslimischen Mitbürgern erhalten“, sagt | |
Iqbal. | |
Abdul Motlib vom Islamic Center fügt hinzu: „Ich glaube an das System der | |
Checks and Balances. Der Präsident ist zwar Präsident, aber das heißt | |
nicht, dass ihm das Land jetzt allein gehört.“ Der Tenor in der Stadt ist: | |
Hier kommen alle Bevölkerungsgruppen miteinander aus. Wir wollen kein | |
Platzhalter für eure Konflikte sein. | |
Trotzdem wird auch Motlib aus Hamtramck wegziehen. Ein paar Kilometer | |
weiter nach Starling Heights. Dort gebe es neuere und schönere Häuser. Auch | |
einige andere Bangladescher, die zu Geld kamen, sind schon dorthin gezogen. | |
Nun sind es syrische Flüchtlinge, die nach Hamtramck kommen. Auch sie wird | |
man integrieren. In Hamtramck hat man damit Erfahrung. | |
16 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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