# taz.de -- EU arbeitet an Öko-Verordnung: Weniger Chemie, mehr Biosaatgut | |
> Letzte Runde im Streit über die neuen Regeln für Bio-Nahrungsmittel: Was | |
> würde der Entwurf für die geplante Öko-Verordnung bringen? | |
Bild: Glückliches Huhn? Fortschritte in den Regeln für Tierhaltung gibt es nu… | |
Berlin taz | Der Kampf um neue Regeln für Biolebensmittel soll am Montag | |
nach über drei Jahren in die letzte Runde gehen: In Brüssel wollen die | |
EU-Staaten über eine neue Öko-Verordnung abstimmen, die Vertreter von | |
Kommission, Parlament und Rat ausgehandelt haben. | |
Doch in letzter Minute habe Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) auf | |
Bitten der Branche eine Vertagung auf Januar beantragt, berichtete der | |
Deutsche Bauernverband am Freitag. Das Ministerium teilte der taz dazu am | |
Sonntag lediglich mit: „Es bleibt abzuwarten, wie sich die Mitgliedstaaten | |
in der Sitzung zu den im Raum stehenden Vorschlägen positionieren.“ | |
Sollten die Regierungen zustimmen, könnte am Mittwoch auch der | |
Agrarausschuss des Europäischen Parlaments grünes Licht geben. Dann dürfte | |
die nun von Juristen überarbeitete Vorlage Gesetz werden. | |
Darüber, was sie bringt, wird immer noch erbittert gestritten, teils mit | |
irreführenden Informationen oder Halbwahrheiten. Die meisten Verbände der | |
deutschen Biobranche und alle Bundesländer lehnen den Entwurf ab, die | |
EU-Kommission und die Grünen im Europäischen Parlament sind dafür. Im | |
Folgenden die wichtigsten Punkte, die die neue Verordnung ändern würde: | |
## Weniger Pestizide | |
Die geplante Öko-Verordnung könnte dazu führen, dass Bio-Lebensmittel noch | |
weniger chemisch-synthetische Pestizide enthalten. Denn sie verpflichtet | |
Bauern und andere Bio-Unternehmer stärker als bislang dazu, sich gegen die | |
Verschmutzung ihrer Produkte zu schützen. Die Vorsorgemaßnahmen müssen dem | |
Risiko „angemessen“ sein. Näheres kann die EU-Kommission in einer | |
Durchführungsverordnung regeln. | |
Die neuen Regeln könnten den Behörden und Kontrollstellen aber eine Menge | |
Zusatzarbeit bescheren, die sie etwa vom Kampf gegen Betrüger abhält. Denn | |
laut Artikel 20b müssen sie bei Pestizidfunden eine „offizielle | |
Untersuchung“ einleiten. Bis die Ergebnisse da sind, dürfen die Produkte | |
nicht verkauft werden, was den Bauern das Leben schwerer macht. Der Entwurf | |
nennt keine Mindestmengen, sodass das Verfahren wohl sogar bei minimalen | |
Dosen ablaufen muss. Der Unterhändler des EU-Parlaments, der grüne | |
Abgeordnete Martin Häusling, interpretiert den Text aber anders. Im besten | |
Fall sind die Formulierungen nicht klar genug. | |
Mit dem stärkeren Schutz vor Pestiziden will vor allem die EU-Kommission | |
die Erwartung vieler Verbraucher erfüllen, dass Bio-Ware „keine Pestizide | |
hat“. Die deutschen Branchenverbände kritisieren aber, dass nun die | |
Öko-Bauern den Schaden haben, wenn von ihren konventionellen Nachbarn | |
Pestizide herüberwehen. | |
## Neue Bio-Saatgutsorten | |
Die Verordnung könnte mehr Vielfalt bei Öko-Saatgut bringen. Bislang dürfen | |
zum Beispiel alte Landsorten nicht vermarktet werden, weil sie zu heterogen | |
sind, also die einzelnen Exemplare größere Unterschiede aufweisen als vom | |
Saatgutrecht erlaubt. Die neue Verordnung hebt dieses Verbot für die | |
Biobranche auf. Züchter, Sammler und Händler müssen bei heterogenem | |
Material lediglich die zuständige Behörde informieren. Teure | |
Registrierungen fallen weg. Während einer siebenjährigen Versuchsphase muss | |
die EU-Kommission Kriterien für die Zulassung von öko-gezüchteten Sorten | |
festlegen. | |
## Mehr Bio-Zuchttiere | |
Die Mitgliedstaaten müssen öffentlich zugängliche Datenbanken nun auch über | |
die verfügbaren Bio-Zuchttiere anlegen. Ausgenommen sind Küken. Bisher | |
schreibt die EU solche Datenbanken nur für Bio-Saatgut vor. Sie sollen dazu | |
führen, dass die Öko-Bauern mehr Biomaterial benutzen. Denn wenn | |
Bio-Zuchttiere oder -Saatgut nicht erhältlich sind, dürfen Ökolandwirte wie | |
schon jetzt auf konventionelle Angebote zurückgreifen. | |
## Strengere Import-Regeln | |
Künftig gelten für Importe von außerhalb der Europäischen Union | |
grundsätzlich die gleichen Regeln wie für in der EU erzeugte Ware. Bisher | |
erarbeiten die Kontrollstellen für die einzelnen Länder eigene Standards, | |
die von der Kommission genehmigt werden und in Details von der | |
EU-Öko-Verordnung nach unten abweichen können. Nun soll die Verordnung | |
direkt angewendet werden. Die EU-Kommission darf aber Ausnahmegenehmigungen | |
für den Einsatz etwa bestimmter Pestizide oder Dünger erteilen, falls das | |
beispielsweise das Klima in dem Land erfordern sollte. Staaten wie die USA | |
werden bevorzugt: Mit ihnen hat die EU Handelsabkommen geschlossen, wonach | |
beide Parteien ihre Bio-Siegel gegenseitig anerkennen, obwohl sie sich | |
teilweise unterscheiden. | |
## Bioanbau nur mit Erde | |
Derzeit dürfen Bio-Pflanzen in einigen EU-Ländern auch auf Substrat | |
angebaut werden, also ohne Erde. Das verbietet die neue Verordnung. | |
Ausnahmen gibt es nur noch für bestimmte Arten wie Chicoree. Und für alle | |
während der zehn Jahre nach Inkrafttreten der Regeln für bereits Ende Juni | |
2017 zertifizierten Gewächshäuser in Finnland, Schweden und Dänemark. Ohne | |
das Verbot würde der Bioanbau ohne Erde wohl zunehmen, weil er | |
wirtschaftlich attraktiv ist. Er widerspricht aber dem Bio-Prinzip der | |
bodengebundenen Produktion. | |
## Weniger Vor-Ort-Kontrollen | |
Biohöfe mit geringem Risiko und ohne Verstöße gegen „die Integrität“ ih… | |
Öko-Produkte in den vergangenen drei Jahren sollen nur noch alle zwei Jahre | |
statt jährlich vor Ort kontrolliert werden müssen. Die Integrität ist laut | |
Artikel 43(l) verletzt, wenn ein Regelverstoß absichtlich beziehungsweise | |
wiederholt begangen wird. Oder wenn der Verstoß die Bio-Eigenschaft des | |
Produkts betrifft. Genauer definiert ist das nicht, sodass Kontrollstellen | |
befürchten: Die meisten Betriebe würden nur noch alle zwei Jahre besucht. | |
Damit würde das Bio-Siegel Glaubwürdigkeit verlieren. Unterhändler Häusling | |
dagegen sagt, nur eine Minderheit der Betriebe würde in den Genuss dieser | |
Regel kommen. Und die Kommission könne in einem Durchführungsrechtsakt | |
Unklarheiten beseitigen. | |
## Kaum Neues in den Ställen | |
Es wird weiter keine Obergrenze für die Tiere pro Betrieb geben. Ställe | |
etwa mit zehntausenden Legehennen können also bestehen bleiben. Auch die | |
neue Verordnung enthält keine konkreten Vorgaben, wie gesund ein Biotier | |
sein muss. Das Kürzen von Schnäbeln wird ausnahmsweise zulässig sein. Das | |
ist aber nichts Neues, selbst wenn diese Möglichkeit in Deutschland | |
praktisch keine Rolle spielte. Ein echter Rückschritt ist allerdings, dass | |
die Elterntiere von Geflügel künftig ausdrücklich ohne Grünauslauf gehalten | |
werden dürfen. Eine überdachte Freifläche („Veranda“) reicht. Das wird | |
teilweise schon jetzt erlaubt, obwohl es dem Wortlaut den bislang geltenden | |
Regeln widerspricht. | |
19 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
EU | |
Massentierhaltung | |
Saatgut | |
Tierschutz | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
BÖLW | |
Gülle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil zum Hausfriedensbruch: Schweine schützen ist nicht strafbar | |
Tierschützer steigen in eine Zuchtanlage ein, um Missstände aufzudecken. | |
Das Landgericht Magdeburg spricht sie mit einer mutigen Begründung frei. | |
Neuer Termin für Glyphosat-Zulassung: EU-Kommission will Kompromiss | |
Der Streit über den von Monsanto entwickelten Unkrautvernichter steuert auf | |
den Showdown zu. In zwei Wochen soll in Brüssel erneut entschieden werden. | |
Offene Fragen bei EU-Öko-Verordnung: Kontrolle nur noch alle zwei Jahre | |
Die EU will nicht mehr alle Bio-Betriebe jährlich vor Ort inspizieren | |
lassen. Gefährdet das die Glaubwürdigkeit des Siegels? | |
Union vertagt Abstimmung im Bundesrat: Düngereform erst nach der Wahl | |
Die grün mitregierten Länder forderten strengere Dünge-Regeln für | |
„Massentierhalter“, um Wasser zu schützen. Nun wurde die Entscheidung | |
verschoben. |