Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sklavenhandel mit Flüchtlingen in Libyen: Gefangen im Ghetto von G…
> Hinter einer hohen Mauer sind Hunderte Migranten eingesperrt. Sie warten
> darauf, an den Meistbietenden verkauft zu werden.
Bild: Am Strand von Garabuli, weit weg von Europa: Dort werden etwa 400 Flücht…
Garabuli taz | Kein Schild weist auf der Schnellstraße zwischen Tripolis
und Misurata zu dem Strandabschnitt mit Ferienhaussiedlungen hin, umgeben
von Mauern, die den Namen Garabuli trägt. Nur die Fahrzeugspuren auf den
unbefestigten Wegen sind ein Hinweis, was viele Migranten in Libyen mit
Garabuli verbinden: zuerst ein Gefängnis und dann, ihre große Hoffnung, die
Überfahrt nach Europa. „Zu den Ghettos? Dort lang“, weist ein Schäfer
freundlich den Weg.
Ahmed Kharoubi, fast 1,90 Meter groß, stämmig und mit Vollbart, sorgt an
der Straße für das, was die hier herrschenden Milizen unter Sicherheit
verstehen. Er und seine Männer tragen Tarnuniformen. Auf den Schultern und
an der Brust, wo bei Militärs üblicherweise Rang und Namen prangen, ist
nichts zu sehen. „Wir sind keine Miliz, wir unterstehen dem
Innenministerium“, betont er mit tiefer Stimme. Vor der Revolution war der
39-Jährige Automechaniker, nun betreibt er den Kontrollpunkt an der
Landstraße zwischen Tripolis und Misurata, an der Garabuli liegt. Wie
überall in Libyen lassen sich die Uniformierten ihre Präsenz, aber auch das
Wegschauen mit einem Handgeld bezahlen.
Über mehrere Kilometer erstrecken sich entlang weißer Sandstrände
Einfamilienhäuser und Hütten, in denen die Hauptstädter in besseren Zeiten
die Wochenenden verbrachten. Die drei Meter hohen Steinmauern sollten einst
vor den Schergen Muammar al-Gaddafis schützen. Nun haben Menschenhändler
die Region und den versteckt gelegenen Küstenabschnitt dahinter für sich
entdeckt.
Alle Migranten sind nach geltendem Gesetz illegal im Land. Sie werden
neuerdings von der Straße weg verhaftet und in den Lagern kaserniert.
Ghanaer, Nigerianer und neuerdings auch Kenianer mit festen Jobs werden in
Libyen aus ihren Wohnungen geholt. Sie kommen nicht aufs Meer. Sie landen
im Gefängnis, das hier alle Ghetto nennen.
## Sklavenhandel? „Nein, das ist doch ganz normal“
Bis vor wenigen Wochen hat das niemanden groß interessiert. Doch dann
veröffentlichte der US-Nachrichtensender CNN Videoaufnahmen von einer
angeblichen Sklavenauktion. Die grobkörnigen Handy-Bilder zeigen einen
jungen Nigerianer, der als Teil einer Gruppe großer, starker Männer für
Feldarbeit auf einem Markt zum Kauf angepriesen wird. Der Auktionator ist
nicht im Bild zu sehen, aber zu hören: “800 … 900 … 1.000 … 1.100“, …
eine Stimme, bevor zwei Männer für umgerechnet 875 Dollar an einen
Unternehmer verkauft werden.
Hinter den Sandsäcken an dem Checkpoint vor Garabuli verstehen Kharoubis
Männer die weltweite Empörung über diese Bilder nicht. „Wer kein Geld hat
und illegal im Land ist, muss für die Weiterreise arbeiten, dass ist doch
ganz normal“, kommentiert ein junger Milizionär mit Kalaschnikow und
Dreadlocks trocken.
Nach Schätzungen von libyschen Menschenrechtsaktivisten werden an rund 20
Orten im Großraum Tripolis Arbeiter als Ware verkauft. Wer einen
„Afrikaner“ für den Haushalt oder die private Baustelle benötigt, wurde in
Libyen schon zu Gaddafis Zeiten an jeder größeren Straßenkreuzung fündig.
Menschen mit dunkler Haut stellten sich seit dem Umsturz von 2011 jahrelang
mit Werkzeugen, die ihren Beruf anzeigten, in der Hand an die Straße und
verdienten bis zu 20 Euro am Tag – Geld für die Überfahrt nach Europa. Doch
nun müssen die Migranten damit rechnen, verhaftet und eingekerkert zu
werden.
Die Mauern und der Wald auf dem Weg nach Garabuli schützen vor den Blicken
der Öffentlichkeit. Offizielle Autoritäten oder Polizei müssen Kommandeure
wie Kharoubi nicht fürchten – höchstens feindliche Milizen.
Die Bauern und Bürger sind wie überall in Libyen machtlos gegenüber Männern
wie Ahmed Kharubi. „Die traditionellen lokalen Strukturen sehen sich wie zu
Gaddafis Zeiten einer nun völlig entfesselten Kultur der Milizen
gegenüber“, sagt Faisal Swehli, ein Bauer. „Damals waren es die Söhne
Gaddafis, deren Bewaffnete machen konnten, was sie wollten. Nun sind es
Hunderte Gruppen von Ungebildeten und Chancenlosen, die sich mit der Waffe
ein Auskommen sichern.“
## 80 bis 300 Dollar für einen Bauarbeiter oder Elektriker
In Garabuli gehen Pässe aus einem Dutzend westafrikanischer Länder über den
Tisch von Ahmed Kharoubi. Die Geschäfte verwaltet der Chef des Ghettos, ein
Nigerianer, der nur James genannt werden will. Entlang der libyschen
Migrationsroute von Gatrun, 1.000 Kilometer südlich in der Sahara gelegen,
bis zur Mittelmeerküste wickeln informelle Bankbüros, Havala (Überweisung)
genannt, die Geldtransfers ab. Ghettochefs wie der 39-jährige James
verwalten den Migrantenstrom, die libyschen Milizen übernehmen den
Transport und sorgen für eine gewisse Sicherheit.
Dreimal in der Woche kommen Geschäftsleute, Uniformierte oder Bauern aus
Misurata, Khoms und Tripolis und bieten 80 bis 300 Dollar für einen
Bauarbeiter, Elektriker oder Gehilfen. Einige zahlen den Migranten Lohn,
andere nicht.
Als Sklavenhandel verstehen die Besucher den Handel keineswegs.
„Schließlich werden die meisten ja bezahlt, obwohl sie illegal hier sind“,
merkt ein Polizist aus Khoms an, der für die Renovierung des Gefängnisses
einen Elektriker sucht. 200 libysche Dinar bietet er für einen stämmigen
Mann aus Ghana, genauer gesagt für die Übergabe des Reisepasses.
James sagt, der Ghanaer sei ein Kreditflüchtling, er sei einem Kollegen in
der Wüstenoase Gatrun noch 500 Dinar schuldig und müsse die Summe nun
abarbeiten.
## „Zu essen gibt es nur Suppe und Brot“
Rund 100 Besucher kommen pro Woche in das Ghetto von Garabuli. Große
Limousinen mit Kennzeichen aus Misurata oder Tripolis stehen vor den mit
Stacheldraht bewehrten Mauern, zwei Männer in Zivil bewachen das Metalltor,
von dem man auf das offene Meer schauen kann. Ein Besucher, Mitte 40 und
aus dem benachbarten al-Khoms kommend, sagt, dass es falsch sei, von
Auktionen zu sprechen.
„Ich würde die Arbeitskräfte lieber wie früher auf der Straße anwerben,
aber sie sind ja alle wegen der Milizen von dort verschwunden. Hier sind
sie doch zumindest sicher und alles ist geregelt.“ Nach einer Stunde
verlässt er das Gelände mit zwei Ghanaern, die auf einer Baustelle helfen
sollen. Sie sagen schüchtern, dass sie froh seien, dem Ghetto entkommen zu
sein. Über die Verhältnisse dort wollen sie nicht sprechen. „Zu essen gibt
es nur Suppe und Brot“, sagt einer. Von drinnen sind scharfe Befehle auf
Arabisch zu hören.
Vom 1.000 Kilometer entfernten Gatrun aus schicken Havala-Vermittler aus
Westafrika die Migranten in die Ghettos an der libyschen Küste. Die Reise
wird ohne jedes Bargeld abgewickelt. An einem Ort wird Geld eingezahlt, an
einem anderen an den Empfänger gegen ein vom Absender hinterlegtes Codewort
ausgezahlt.
Wer ohne Geld in Libyen ankommt, kann einen Kredit mit einem Zinssatz von
40 Prozent aufnehmen. Nur wenige ahnen, dass sie das Geld in Sabratha,
Tripolis oder Garabuli unter Zwang abarbeiten müssen.
Eine Nigerianerin mit dem Vornamen Joy leitet ein Hawala-Büro in Gatrun.
Sie versteht die Aufregung um das Geschäft mit den Migranten nicht. „Wer in
Europa seinen Kredit nicht zurückzahlt, wird doch auch bestraft.“ Die
29-Jährige organisiert die Weiterfahrt nach Tripolis oder direkt nach
Italien. „Ich verdiene gut und helfe denjenigen, die sich dafür entschieden
haben, nach Norden zu gehen. Aber jeder ist für sich selbst
verantwortlich.“
## 100 Menschen sind in einem Raum eingesperrt
Sie war nie an der libyschen Küste und weiß nichts von den Bedingungen in
den Lagern. Doch die letzten Geldtransfers von Nigeria nach Garabuli haben
auch sie stutzig gemacht. Von ganzen Dörfern zusammengeliehene
Lösegeldzahlungen sollen es sein, um Verwandte aus der Hand der
Menschenhändler freizukaufen.
Das CNN-Video hat auch sie gesehen. Seitdem kämen immer weniger Kunden nach
Gatrun, sagt Joy. „Viele warten ab, bis sich die Lage beruhigt.“ Doch
diejenigen, die schon in Garabuli sind, stecken fest. Grausame Bilder von
den Haftbedingungen gelangen über libysche Aktivisten an die
Öffentlichkeit.
Hinter den Mauern von Garabuli kann man das Meer riechen. Milizenkommandeur
Ahmed Kharoubi blickt über das unübersichtliche Gelände. Angst vor einem
Aufstand der Gefangenen hat er nicht, obwohl bis zu hundert Menschen in
jeweils einem von vier großen Räumen leben müssen.
„Sie wollen nach Europa und hoffen, nach ihrem Arbeitseinsatz abreisen zu
können“, sagt Ahmed Kharoubi. Es sei ihm egal, wie man in Europa die
Bedingungen hier nenne, Sklaverei oder Arbeit. „Europa hat doch über
Jahrhunderte Afrika ausgebeutet. Nun kommt Afrika eben nach Norden. Wir
Libyer leiden selbst unter einem Krieg und wollen sie nicht. Warum
verhindert denn niemand, dass sie sich überhaupt auf den Weg machen? “
6 Dec 2017
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Milizen in Libyen
Nordafrika
Sklaverei
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Milizen in Libyen
Libyen
EU-Afrika-Gipfel
EU-Afrika-Gipfel
Libyen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Flüchtlinge aus Nigeria: Rückkehr ins Ungewisse
Tausende in Libyen gestrandete Nigerianer sind in ihre Heimat
zurückgebracht worden. Viele fragen sich, wie es jetzt weitergehen soll.
Kämpfe am Flughafen in Tripolis: Libysches Absurdistan
Nach Kämpfen in Tripolis ist nur noch ein Flughafen teils geöffnet. Das
Verteidigungsministerium bezahlt Milizen. Staaten in der Region mischen
mit.
Misshandlung von Migranten in Libyen: Amnesty wirft EU Komplizenschaft vor
In libyschen Haftzentren werden Migranten ausgebeutet, gefoltert und
getötet. EU-Staaten tragen eine Mitschuld an diesen Verbrechen, sagt
Amnesty International.
Kommentar EU-Afrika-Evakuierungsplan: CNN hat den Gipfel gerettet
Der EU-Afrika-Gipfel endet mit vielen Floskeln und Versprechen. Ohne die
Causa „Sklaven“ wäre das Treffen vollends substanzlos geblieben.
Einigkeit beim EU-Afrika-Gipfel: Sklaverei ist doof
Einigkeit, wo sonst Dissens herrscht: Der EU-Afrika-Gipfel beschließt eine
konzertierte Aktion zur Evakuierung internierter Migranten aus Libyen.
Menschenhandel in Libyen: Ende des Wegsehens
Der Sender CNN veröffentlichte kürzlich ein Video, welches belegt, dass
Migranten in Libyen verkauft werden. Nun reagiert Afrikas Politik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.