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# taz.de -- Flüchtlinge aus Nigeria: Rückkehr ins Ungewisse
> Tausende in Libyen gestrandete Nigerianer sind in ihre Heimat
> zurückgebracht worden. Viele fragen sich, wie es jetzt weitergehen soll.
Bild: Rosemary wäre gern Friseurin. Aber von was soll ihre Familie während de…
Benin City taz | Rosemary hält es irgendwann nicht mehr aus, sie fängt laut
an zu schluchzen. Die Tränen verschmieren die viel zu dick aufgetragene
Wimperntusche. Die magere Frau macht sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen.
Im Büro der Nichtregierungsorganisation Idia Renaissance in Benin City
herrscht betroffenes Schweigen. Nur von der Straße dringt Autolärm nach
oben. Nach ein paar Minuten beruhigt sich Rosemary und erzählt weiter,
warum sie nichts mehr in Nigeria hält.
Dabei ist die 29-Jährige, die ihren vollen Namen nicht nennen will, gerade
erst wieder zurück in der Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist.
Anfang November kam sie mit einem Flug der International Organisation for
Migration (IOM), der Migrationsorganisation der Vereinten Nationen, aus
Libyen. Sie hatte auf eine Perspektive für sich und ihre Kinder gehofft.
Nun steht sie wieder da, wo sie früher war – allerdings mit Erinnerungen an
Durst und Hunger in der Wüste, Schläge und Demütigungen in Libyen.
Mitte November sorgte ein CNN-Video weltweit für Entsetzen. Der
siebenminütige Film zeigt, wie zwölf Männer am Rande der libyschen
Hauptstadt Tripoli als Sklaven verkauft werden. Nigerias Präsident
Muhammadu Buhari brauchte zwei Wochen, um sich offiziell dazu zu äußern.
Dann kündigte er an, alle gestrandeten Landsleute in Libyen und anderswo
zurückzuholen. Außerdem versprach er Sozialleistungen wie Bildung, ein
Gesundheitssystem und Sicherheit.
## Es fehlen die Jobs
Zwei Monate sind seitdem vergangen, seit Rosemarys Rückkehr sind es knapp
drei. Seitdem zieht die junge Frau durch die Straßen der Provinzhauptstadt
von Edo State, von wo aus schon seit Jahrzehnten die große Mehrheit der
nigerianischen Migranten aufbricht. „Es gibt hier keine Jobs, selbst für
Hochschulabsolventen nicht“, sagt Rosemary. Sie selbst habe erst recht
keine Chance. „Ich habe noch nicht einmal meine Grundschule fertig
gemacht.“ Dabei spricht sie besser als viele andere Englisch und analysiert
die Politik ihrer Heimat genau. „Hier müssen ganz dringend Jobs entstehen,
die nicht nur innerhalb der Familie vergeben werden. Und es dürfen nicht
nur kleine Bürojobs sein, etwa in Copyshops.“
An den Hauptstraßen von Benin City reiht sich ein kleines
Dienstleistungsunternehmen an das nächste. Mal werden Schreibarbeiten
angepriesen, mal Fotokopien. Verlässt man die Innenstadt, sind es vor allem
Schneider und Friseure, die ihre Arbeit anbieten. Frisieren würde Rosemary
auch gerne, um überhaupt etwas zu tun.
Wie viele Nigerianer bisher zurück nach Benin City gekommen sind, lässt
sich nicht sagen. Seit Januar 2017 wurden nach IOM-Informationen insgesamt
7.329 Nigerianer zurückgebracht. Sie landen meist in Lagos, manchmal wird
auch Port Harcourt angeflogen. Frantz Celestin, stellvertretender Chef der
IOM in Nigeria, sagt, dass 621.000 Migranten in Libyen registriert wurden,
darunter 36.000 Nigerianer. „Selbst wenn es uns gelingen würde, pro Woche
500 zurückzubringen, würden wir Monate brauchen.“ Genauso komplex wie die
Frage nach der Logistik ist die nach den Perspektiven in der Heimat. „Es
muss uns gelingen, dass sie hier etwas anfangen können.“
In Benin City sucht die Organisation Idia Renaissance gerade Teilnehmer für
ihre Ausbildungskurse. Im Friseurlehrgang könnte auch Rosemary unterkommen.
Projektkoordinator Roland Nwoha sagt allerdings: „Die Ausbildung ist das
eine. Die Teilnehmer brauchen während der Zeit auch eine Unterkunft, Essen.
Manche haben nicht einmal das Geld für den Transport zum Ausbildungsort.“
## Rosemary schläft mal hier, mal da
Am nächsten Morgen macht Rosemary etwas, was sie große Überwindung kostet.
Sie lädt nach Hause ein. Es ist gar nicht ihr eigenes Zuhause, sondern das
ihrer Mutter, zwei gemietete Zimmer. Rosemary selbst schläft mal hier und
mal da, meistens bei Bekannten. In den Wohnvierteln stadtauswärts sind
4.000 bis 5.000 Naira (etwa 9 bis 11 Euro) pro Zimmer und Monat übliche
Preise, zu zahlen mindestens ein Jahr im Voraus. Fließendes Wasser gibt es
nicht, Strom nur ein paar Stunden am Tag. Die Straße vor dem Haus ist eine
Piste, ein tiefes Loch erinnert an die letzte Regenzeit.
Rosemary hat eine schwarze Plastiktüte mit Keksen, Seife und Brot in der
Hand. Der Inhalt ist nicht nur für ihre Mutter, sondern vor allem für ihre
vier Kinder Miracle, Favor, Amara und Vitor. Der kleine Vitor ist gerade
einmal zwei Jahre alt. Rosemarys Mann lebt nicht mehr.
Die Kinder springen um sie herum, der Kleinste will auf den Arm. Rosemary
lächelt, sagt aber: „Ich komme nicht gerne hierher.“ Vor allem, weil sie
nie Geld hat. Kinder und Mutter erwarten aber zumindest eine Kleinigkeit.
Die Kinder waren auch ein Grund, weshalb sie vor knapp einem Jahr in
Richtung Europa aufgebrochen ist. Darüber will sie nicht sprechen. Sie sagt
nur, dass eine Freundin sie kostenlos mitnahm, die dann in der Wüste
verdurstete. Vermutlich war es eine Schlepperin, die sie in Italien an eine
Madame verkaufen wollte, eine Zuhälterin. Diese Vorgehensweise ist nach
Aufklärungskampagnen in der Region hinlänglich bekannt. Rosemary sagt
trotzdem: „Ich wäre verrückt geworden, wenn ich in Nigeria geblieben wäre.…
## „Das Land ist nicht stabil genug“
Roland Nwoha, der mit Migranten und Opfern von Menschenhändlerbanden
arbeitet, beobachtet die vielen Rückkehrer in Benin City mit Sorge. „Die
Rückführung war für viele, die in Libyen gestrandet waren, eine Chance“,
sagt er. Doch die Regierung sei überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Man
versuche zwar, für ein paar wenige Jobs zu finden. Auf den Arbeitsmarkt
drängen allerdings auch viele Millionen andere junge Nigerianer. Das
bevölkerungsreichste Land Afrikas hat 190 Millionen Einwohner.
Laut Nwoha gibt es erste Berichte über eine Erhöhung der Zahl der
Straftaten. „Ich erwarte einen weiteren Anstieg, falls die Regierung das
Problem nicht angeht. Das Land ist einfach nicht stabil genug.“
Laut einem Bericht des nationalen Statistikbüros vom September ist Nigeria
zwar nicht mehr in der Rezession. Doch der Naira bleibt weiterhin schwach.
Auf politischer Ebene dreht sich schon seit Monaten so gut wie alles um die
Präsidentschaftswahl im Februar 2019. Frantz Celestin von der IOM schätzt,
dass sich mindestens 40 Prozent der zurückgekehrten Migranten wieder auf
den Weg machen würden.
Der kleine Vitor steht vor seiner Mutter, sie hält ihn an den Händen. Er
lacht und hüpft ein bisschen auf und ab. Rosemary weiß nicht, wann sie ihre
Kinder das nächste Mal sehen wird. Sie schweigt dazu. Auch auf die Frage,
ob sie noch einmal in Richtung Europa aufbrechen würde, antwortet sie
nicht. Sie sagt nur: „Wenn ich eines will, dann eine bessere Zukunft für
meine Kinder. Ich möchte nicht, dass sie das erleben, was ich auch erlebt
habe.“
5 Feb 2018
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Sklavenhandel
Nigeria
Libyen
Armutsmigration
Lesestück Recherche und Reportage
Benin
Milizen in Libyen
Libyen
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