| # taz.de -- Kolumne Ich meld mich: Hinterm Horizont geht’s immer weiter | |
| > Es zieht uns ans Meer. Sanft laufen die Wellen an der Küste auf. Und | |
| > dann, im nächsten Moment schon sind sie unberechenbar und zerstörerisch. | |
| Bild: Wenn das Meer nicht mehr atmet, weiß keiner mehr, dass es uns gab | |
| Was zieht uns ans Meer? Was für eine Frage – wir wollen Sonne tanken, Sand | |
| zwischen den Zehen spüren und viel knusprig braune Haut vorzeigen. Aber wir | |
| möchten auch Salzluft schnuppern, kilometerweite Spaziergänge unternehmen | |
| und jede Menge Fisch und Krabben essen. | |
| Das Versprechen von Vergnügen und Gesundheit ist es, was uns ans Meer | |
| lockt. Ein guter Ort für Party und Relaxen. Alles andere, was | |
| hineingeheimnist wird, ist pure Spinnerei. | |
| Zugegeben, wenn wir am sehr frühen Morgen hinausblicken auf das graue, | |
| weite Wasser, dann überkommt uns schon auch mal leichtes Befremden. Zu | |
| groß, zu viel, zu weit ist dieses Meer. Eine Menge Wasser. Und so gar nicht | |
| zu fassen. Ein Berg ist erstiegen, wenn wir auf dem Gipfel stehen. Dann | |
| kommt der nächste, man kann sie abhaken. Mit dem Meer aber werden wir nie | |
| fertig. Hinterm Horizont geht’s weiter. Und weiter. Und immer weiter. | |
| Und, ja: Eine leichte Unsicherheit schwingt stets mit, wenn wir am Meer | |
| sind. Denn auf dieses Meer ist kein Verlass. Greifen einmal keine Haie im | |
| hüfthohen Wasser an, treiben sicher Quallen in die Bucht. Und vielleicht | |
| lauert er ja tatsächlich da draußen, der mörderische „Schwarm“, den Frank | |
| Schätzing auf die Welt losgelassen hat. An unseren Strandabschnitt kommt er | |
| natürlich nicht. Doch das glaubten wir auch von rebellischen Fluten. Bis | |
| wir das Wort „Tsunami“ nachschlagen mussten. | |
| Ein Monster ist dieses Meer, das sich den Bauch vollgeschlagen hat mit | |
| Unsäglichem: Seeschlangen, Wasserleichen, Plastiknetze, Torpedos, Teer. Und | |
| jederzeit ist es bereit, das eine oder andere auszukotzen. Es ist zu fremd, | |
| dieses Meer. Zu sprunghaft. Zu undurchsichtig. Es gibt Gründe über Gründe, | |
| sich fernzuhalten von jeder Küste. | |
| ## Die Wiege des Lebens | |
| Und doch: Es ist immer wieder auch tröstlich, ans Meer zurückzukehren. Hier | |
| sind wir, wo wir hingehören. Von hier kamen wir, hier ist die Wiege des | |
| Lebens. Das Schwappen der Wellen begleitet uns wie ein sanfter Herzschlag, | |
| der Kreislauf der Gezeiten ist der Kreislauf des Daseins. Das Meer erinnert | |
| uns, dass wir noch teilnehmen. Wenn das Meer nicht mehr atmet, weiß keiner | |
| mehr, dass es uns gab. | |
| Ach, dieses Meer. Es hat soviel kommen und gehen sehen, sagen wir. Es ist | |
| ein Versprechen auf steten Wandel. Und zugleich unsere Hoffnung auf | |
| Ewigkeit. Wie unbedeutend wir sind, neben dem Millionen Jahre alten Tosen. | |
| Das Meer ist Grab, Whirlpool, Schatzkammer – und es hat uns menschliche | |
| Schwachköpfe jahrhundertelang dazu verführt, bibliothekenweise | |
| sentimentales Zeug abzusondern. Warum kommt man nicht ohne Pathos aus, wenn | |
| man vom Meer redet? La Paloma, oje. | |
| Schluss damit. Noch einen Mojito! Gleich geht sie unter, die Sonne. Schickt | |
| wieder dieses kupferne Leuchten herüber. Hämmert Millionen von | |
| Goldplättchen aufs Wasser wie einen glitzernden Panzer. | |
| Ach, Mensch. Es macht uns fertig, das Meer. | |
| 19 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Franz Lerchenmüller | |
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