# taz.de -- Recherche-Projekt „Paradise Papers“: How to megaenthüll | |
> Die „Paradise Papers“ sind ein journalistischer Scoop – und das Thema d… | |
> Woche. Nur: Wie wertet man diese riesigen Datenmengen überhaupt aus? | |
Bild: Goldig: Strategien für Steuerflucht | |
Man braucht eine Liste mit Promis, leistungsstarke Software und sichere | |
Kommunikationswege. Und am Ende müssen sich dann noch 96 Redaktionen aus 67 | |
Ländern über eine sinnvolle Dramaturgie abstimmen. | |
Es ist das zweite große Datenleak, das die Süddeutsche Zeitung in | |
Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ausgewertet hat: [1][Die | |
„Paradise Papers“], mit denen die Tageszeitung am Sonntagabend rausgerückt | |
und [2][damit das Thema der Woche gesetzt hat]. Der Schlusspunkt eines | |
Riesenprojekts. Am Anfang standen eine anonyme Quelle und 1,4 Terabyte | |
Datenmaterial – am Ende Geschichten über die Offshore-Steuertricks | |
bekannter Konzerne und Promis. | |
Sportartikelhersteller Nike etwa, [3][so kam heraus], spart Steuern, indem | |
er sich selbst, also seinen Tochterfirmen, Rechnungen schreibt, um den | |
Gewinn zu drosseln. Und Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton verwandelte | |
sich in eine Ein-Mann-Fluggesellschaft auf der Isle of Man, um dort einen | |
knallroten Privatjet steuerfrei einzuführen. Auch Sänger Bono und die Queen | |
tauchten auf. Und der ehemalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident | |
Peter Harry Carstensen musste erklären, warum er einem Museum vorsteht, das | |
einer niederländischen Briefkastenfirma gehört. | |
Veröffentlichungen geheimer Datensätze, sogenannte Leaks, gewinnen im | |
investigativen Journalismus an Bedeutung. Vor den „Paradise Papers“ hatten | |
die „Panama Papers“ 2016 für Aufsehen gesorgt. Sie kosteten den | |
isländischen und den pakistanischen Premier das Amt. 2014 enthüllten die | |
„Lux-Leaks“ Steuervermeidungsstrategien internationaler Großkonzerne. | |
Koordiniert wurden alle drei Projekte vom International Consortium of | |
Investigative Journalists (ICIJ), einem Netzwerk investigativer | |
JournalistInnen mit Sitz in Washington, D. C. | |
Wie aber gewinnt man aus 1,4 Terabyte Daten eine Hand voll knackiger | |
Geschichten von medialer Schlagkraft? 1,4 Terabyte wäre so viel wie die | |
PDFs von 585 taz-Jahrgängen. Dies nur als Vorstellungshilfe, denn so ein | |
Leak besteht natürlich nicht aus Tageszeitungen, sondern aus einem Wust an | |
Datenbanken, E-Mails, Scans und Fotos. Den zu bändigen ist allerdings kein | |
Hexenwerk, sondern eine Frage von Organisation und technischem Wissen. | |
Vanessa Wormer ist 30 Jahre alt und Datenjournalistin im | |
Investigativressort der SZ. Für die Projekte „Panama Papers“ und „Paradi… | |
Papers“ war sie die Datenchefin – und so zusammen mit den Reportern | |
Frederik Obermaier und Bastian Obermayer die Erste, die sich das Material | |
angeschaut hat. Bei solchen Leaks, erklärt sie, gibt es schöne und weniger | |
schöne Daten. „Excel-Tabellen sind für Reporter schrecklich kompliziert | |
auszuwerten. Dagegen freuen wir uns immer über E-Mails, denn E-Mails | |
sprechen, daraus kann man für die Recherche viel ableiten.“ | |
Wie die Daten zu ihr gekommen sind, darüber verrät sie nichts. Die SZ | |
schweigt sich aus über die Quellen sowie über alle Informationen, die | |
Rückschlüsse zulassen würden. Die Kanzlei Appelby auf den Bermuda-Inseln, | |
die im Zentrum der jüngsten Enthüllung steht, behauptet, dass ihr die Daten | |
durch einen Hack entwendet wurden. Aus Quellenschutzgründen lässt die | |
Zeitung bisher auch das unkommentiert. | |
## Ordnung in den Wust bringen | |
Was Wormer verrät: Irgendwann vor rund einem Jahr begann die Arbeit, mit | |
einem Wust an unstrukturierten Rohdaten auf wenigen Rechnern in der SZ – | |
die wohlgemerkt nicht mit dem Internet verbunden sind. | |
Und dann? „Der normale Rechercheur würde jetzt die Festplatte an seinen | |
Rechner anschließen und einfach mal gucken, was er da so findet“, sagt | |
Wormer. „Ich hingegen schließe die Daten sofort an unsere | |
Indexierungssoftware an.“ | |
Indexierung muss man sich wie eine automatische Inventur des Materials | |
vorstellen. Die Software – im Fall der SZ heißt sie Nuix und wurde den | |
RechercheurInnen von einem australischen Unternehmen gestiftet – | |
katalogisiert jede einzelne Datei und macht so das gesamte Leak | |
durchsuchbar. Ohne sie müsste man jedes Dokument einzeln öffnen und | |
sichten. | |
In einem zweiten Schritt werden per optische Zeichenerkennung alle | |
gescannten Dokumente in Textdateien verwandelt – bei den „Panama Papers“ | |
von 2016 hat allein dieser Schritt mehrere Wochen gedauert. | |
Erst wenn die Indexierung durch ist und die Daten damit komplett | |
durchsuchbar, lässt sich sagen, ob das Material inhaltlich überhaupt etwas | |
taugt. Dafür lässt Wormer die Daten mit einer umfangreichen Promi-Liste | |
abgleichen. Tauchen die Namen von wichtigen Personen aus Politik und | |
Wirtschaft auf? Wenn ja, dann hat man schon fast eine Story. | |
„Manchmal fällt einem auch abends auf der Couch oder vorm Fernseher ein: | |
Man sollte mal nach dem oder dem suchen. Aber im Grunde versuchen wir eher, | |
Listen abzuarbeiten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was in dem Leak | |
wirklich drinsteckt.“ In diesem Fall war das zum Beispiel die | |
Hamilton-Story. Ein Rennfahrer, ein Jet, eine Urlaubsinsel im Atlantik, das | |
ist Erzählgold. | |
## International werden | |
Bis hierhin lagen die Daten noch immer ausschließlich beim fünfköpfigen | |
Team von SZ-Investigativ. Erst als klar war, dass es um internationale | |
Konzerne gehen würde, übernahm das ICIJ, das die internationalen Partner | |
kontaktierte. | |
Ab da würden 380 JournalistInnen aus 67 Ländern mit der Auswertung und | |
Recherche beschäftigt sein. Auf mehreren Treffen stimmten sich die Partner | |
ab: Wer sollte welcher Spur folgen, wer hat welche Expertise, welche | |
Geschichte ist für welches Land von besonderem Interesse? Weitere Dokumente | |
mussten beigebracht werden, um die Daten aus dem Leak zu verifizieren, | |
ProtagonistInnen ausfindig gemacht, ExpertInnen kontaktiert. | |
„Man muss verstehen: Ein großer Teil der Recherche findet überhaupt nicht | |
in den Daten statt. Es kommt zwar vor, dass etwa E-Mails schon so sprechend | |
sind, dass man direkt daran die Geschichte erzählen kann, aber das ist eher | |
ein Einzelfall.“ | |
Meistens gibt es Hinweise auf Personen und ihre Verbindungen zu bestimmten | |
Firmen, aber keine fertigen Storys. So soll es etwa bei der Geschichte um | |
den verstorbenen Unternehmer Curt Engelhorn gewesen sein, hinter der die SZ | |
„eines der größten deutschen Steuerstrafverfahren in der Geschichte der | |
Bundesrepublik“ vermutet. Engelhorn hatte vor seinem Tod durch Schenkungen | |
an seine Töchter Steuern in Millionenhöhe hinterzogen – so viel war schon | |
seit 2013 bekannt. Die „Paradise Papers“ legen nun nahe, dass die Familie | |
Engelhorn noch über wesentlich mehr ausländische Briefkastenfirmen verfügt, | |
als den ErmittlerInnen damals bekannt war. Wie aber die | |
Familienverhältnisse bei den Engelhorns genau aussehen, das stand nicht im | |
Datenleak. Das mussten die Reporter über klassische Recherchewege | |
herausfinden: Anrufen, hinfahren, Akten durchwühlen. | |
Während also 380 JournalistInnen in 67 Ländern Datensätze durchsuchen, | |
dürfen gleichzeitig keine Informationen nach außen dringen, damit der Scoop | |
nicht zu früh an die Öffentlichkeit kommt. „Das ICIJ legt großen Wert auf | |
Geheimhaltung“, sagt Wormer. „Die wählen sich ihre Partner bewusst danach | |
aus, wer vertrauenswürdig ist. Wer dieses Vertrauen bricht, setzt aufs | |
Spiel, dass er das nächste Mal nicht mitrecherchieren darf.“ Deswegen | |
kommunizieren die Beteiligten über eine eigens eingerichtete und besonders | |
gesicherte Plattform und verraten nichts über ihre Arbeit – nicht mal in | |
der eigenen Redaktion. | |
„Außerhalb des Teams sprechen wir grundsätzlich nicht über die Inhalte | |
unserer Arbeit. So kommen wir gar nicht erst in die Situation, zu viel zu | |
verraten“, sagt Wormer. Das heißt, kein Plausch im Flur oder beim | |
Mittagessen über das Projekt, auch nicht, wenn die KollegInnen bohren. | |
„Wir versuchen in der Regel so zu tun, als wäre das, was wir machen, | |
megalangweilig.“ | |
Trotzdem, irgendwann fängt der Kreis der Mitwissenden an sich zu | |
vergrößern. Alle beteiligten Teams müssen ihre jeweilige IT informieren, | |
die Entwicklungsabteilung, die Grafik. Ausspielformate müssen entwickelt | |
werden, Videos, Animationen. Und so wusste offenbar auch schon zwei | |
Wochen vor Veröffentlichung ein User in dem Diskussionsforum Reddit über | |
den anstehenden Scoop Bescheid. „Da kommen noch mehr größere Leaks“, | |
schrieb der inzwischen gelöschte User in das Forum. Hätte schiefgehen | |
können. Ist es aber nicht. Wormer findet: „Dass da mal einer angeben will, | |
ist nicht erstaunlich.“ | |
## Die große Dramaturgie | |
Welche Geschichte wann ausgespielt wird, entscheidet das ICIJ. Es | |
koordiniert die Wünsche der einzelnen Partner. Denn es gibt | |
Begehrlichkeiten. Jeder will die für das eigene Publikum besonders | |
relevanten Geschichten möglichst früh ausspielen. „Es kann passieren, dass | |
der Ausspielplan noch fünfmal umgeworfen wird, weil einzelne Partner noch | |
Wünsche anmelden.“ | |
Am Ende lief die Dramaturgie bei den „Paradise Papers“ wie schon bei den | |
„Panama Papers“: International relevante Geschichten wie die über Nike | |
kommen in den großen Aufschlag an Tag eins, eher nationale wie Hamilton an | |
Tag zwei. So wird verhindert, dass die einen Partner den anderen den Rang | |
ablaufen. | |
In einigen Wochen wird dann das ICIJ – wie auch schon beim letzten Mal – | |
Rohdaten veröffentlichen, damit auch andere Redaktionen oder Initiativen | |
sich dort bedienen können. Allerdings nicht die gesamten 1,4 Terabyte, | |
sondern nur einen kleinen Teil, als Datenbank. Die Originaldokumente | |
bleiben in den Redaktionen – als Quellenschutz. | |
10 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://projekte.sueddeutsche.de/paradisepapers/politik/das-ist-das-leak-e2… | |
[2] /Paradise-Papers-Enthuellungen/!5457878 | |
[3] /Sportkonzern-Nike-und-Steuerparadiese/!5460356 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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