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# taz.de -- Debatte Ein Jahr nach Trumps Wahl: Dampfwalze für die Demokratie
> Wer glaubt, der US-Präsident sei nicht erfolgreich, irrt. Tatsächlich
> treibt Donald Trump den Umbau des Staates in seinem Sinne voran.
Bild: Der ideologische Planierer: Trump ebnet den Weg für andere
Diese Woche war eine gute Woche für Washington. Der Präsident befand sich
auf Reisen in Asien. An normalen Tagen, an denen Donald Trump im Weißen
Haus übernachtet, gibt es diesen morgendlichen Moment. All jene Amerikaner,
die immer noch auf die Kraft der Vernunft vertrauen, halten dann den Atem
an. Welchen Entschluss hat der Präsident beim Aufstehen gefasst? Unter
welches Dokument, dessen Inhalt ihn im Detail wenig interessiert, setzt er
heute seine Unterschrift, wenn er im Oval Office erschienen ist?
Genauso gebannt blickt das fortschrittliche Europa auf Donald Trump und
diagnostiziert dabei immer aufs Neue einen politikunfähigen Psychopathen.
Und selbst republikanische US-Parteikollegen wie Tom Coburn, ein Ex-Senator
aus Oklahoma, attestieren ihm eine Persönlichkeitsstörung. Immer wieder ist
diesseits wie jenseits des Atlantiks von Trumps Scheitern im Präsidentenamt
die Rede.
Diese Sichtweise ist falsch, ja sie ist sogar gefährlich. Weder die
Inkonsistenz seiner Politik noch die Störung seiner Persönlichkeit und erst
recht nicht der Lärm, den Donald Trump bei alldem verursacht, sollte den
Blick dafür verstellen, dass die USA unter Trumps Ägide tiefgreifende
Veränderungen durchlaufen, die zudem von Millionen US-Amerikanern begrüßt
werden.
Trump Country ist als Wählerschaft noch immer weitgehend intakt. Und Donald
Trump ist in ihrem Auftrag dabei, die Vereinigten Staaten in eine Version
seines Landes zu verwandeln. Wie weit ist er damit gekommen? Und wie groß
ist die Gefahr für die Demokratie?
## Übernahme des Unternehmens US Inc.
Tausendfach sind im Weißen Haus und in den Ministerien seit Amtsaufnahme im
Februar Entscheidungen getroffen und Regeln verändert worden, die eine
progressive Entwicklung von Jahrzehnten zurückgedreht haben. Die
Vereinigten Staaten werden nicht nach vier Jahren aus einem Albtraum
erwachen und an dem Gesellschaftsvertrag anknüpfen können, den Barack Obama
vorzeigen konnte, als er stolz das Weiße Haus verließ. Wir sollten uns
nichts vormachen, schrieb diese Woche der New-York-Times-Autor Roger Cohen
[1][in einem Spiegel-Gastbeitrag], und nannte das Trump-Phänomen „eine
siegreiche Guerilla-Offensive“.
Vor einem Jahr hatten US-amerikanische Kommentatoren gewarnt, Donald Trump
könne „die Abrissbirne der Demokratie“ werden. Und jene wirkmächtige
Allianz aus rechtskonservativen Intellektuellen und zornigen Männern der
unteren Mittelklasse (angereichert mit 10 bis 15 Prozent militanter
Neonazis), die Trump ins Weiße Haus getragen hat, erwartet nicht weniger
als das von ihm. Trump fungiert als ideologische Dampfwalze im Oval Office.
Er planiert den Weg für eine Neufassung des politischen Koordinatensystems.
Um Details kümmern sich dann andere, die das besser können.
Ganz im Einklang mit dem Kreuzzug ihres Präsidenten schreiben seine
Minister, Richter, Amtsträger Verordnung um Verordnung, Beschluss um
Beschluss an einem neuen Amerika. Es ist die Übernahme des Unternehmens US
Inc.
Mit brutaler Entschlossenheit dreht die US-Regierung das Rad der
Klimapolitik zurück, die im Trumpismus vor allem eines ist: ein Hindernis
für eine starke nationale Wirtschaft. Allen Rückschlägen zum Trotz wirkt
auch Trumps Einwanderungspolitik. Die Terrorattacke in Manhattan wird dem
Präsidenten im Ringen um Reisebeschränkungen für Menschen aus muslimischen
Ländern helfen.
Die Veränderungen durchziehen das ganze Land und alle Branchen.
Entscheidungen werden industriefreundlicher gefällt, die Rechte von
Arbeitnehmern wurden eingeschränkt, Auflagen zur Förderung von Diversity
reduziert, die Kontrolle des Gender-Pay-Gap wurde zurückgenommen,
Abtreibungskliniken und der Beratung wurden die Fördergelder entzogen. Eine
Gegnerin staatlicher Schulen ist Bildungsministerin, ein Klimaskeptiker
Umweltminister.
## Zentral: Die Leerstelle im Obersten Gericht
Für die langfristige Sicherung dessen durchwebt die Trump-Regierung alle
juristischen Instanzen mit der Ernennung erzkonservativer Juristen.
[2][In der Washington Post] schreibt der Demokrat Ron Klain: „Eine massive
Transformation der Art, und Weise, wie unsere fundamentalen Rechte vom
nationalen Justizsystem definiert werden, geht vor sich.“ Hierbei handelt
es sich vielfach um Ernennungen auf Lebenszeit.
Die zentrale Personalie ist dabei die Besetzung des leeren Stuhls am
Obersten Gerichtshof mit dem Erzkonservativen Juristen Neil Gorsuch. Trump
konnte mit Gorsuch die Gewichte wieder auf die konservative Seite der
Richterschaft mit 5:4 verschieben. Und die anderen Juristen am Obersten
Gerichtshof sind alt; die Wahrscheinlichkeit, dass Trump noch weitere
Richter benennen könnte, ist damit entsprechend hoch. Entscheidungen werden
künftig eher gegen die Homo-Ehe und für die Benachteiligung von
Nichtheterosexuellen, für die Industrie und gegen den Klimaschutz fallen,
für die Freiheit, Waffen zu tragen, und gegen den Stopp von Hinrichtungen.
Die Trump-Guerilla kämpft für ein Land ohne progressive Regeln und sie
sozialistisch anmutende Verpflichtungen. Steve Bannon, Mastermind der
rechtsextremistischen Alt-Right-Bewegung, Trump-Unterstützer und bis zum
Herbst strategischer Berater im Weißen Haus, hat im Februar die Devise der
Regierungspolitik ausgegeben: „Die Aufgabe dieser Regierung ist die
Zerstörung des regierenden Staates.“
Auch wenn man das nur mit Widerwillen unter „Erfolge“ einreihen mag: In
Wahrheit ist die ideologische Verschiebung der politisch-gesellschaftlichen
Geografie Trumps größter Erfolg. Denn wenn Bannon von der Zerstörung des
Staates spricht, dann meint er das natürlich nicht im Wortsinne: Er will
nur diesen Staat vernichten, den Sozialstaat also, den Staat als
Regulierer, der zwischen Mehrheit und Minderheit einer Gesellschaft
schlichtet, den Staat als Schutzinstanz der Umwelt.
## Schwach in der Regulierung, stark bei der Polizei
Das Amerika, das sich Bannon und Trump erträumen, hat einen schwachen oder
keinen Staat in all diesen Bereichen, aber dafür einen mehr als starken,
nämlich mächtigen Staat in anderen Bereichen: eine Polizei, die als
Aufstandsbekämpfungsinstanz nach innen wirkt, und ein Militär, das als
geopolitische Drohkulisse so stark wie nie zuvor sein soll. All dies soll
die Interessen der weißen Kernbevölkerung sichern und natürlich die der
Konzerne. Darin besteht die eigentliche Tiefendimension des Projekts Trump.
Zu spüren bekommen diese normative Redefinierung der Staatsidee zuallererst
Menschen afroamerikanischer und lateinamerikanischer Abstammung,
Transgender-Menschen, Schwule, Lesben, Linke und Öko-Aktivisten. Jener Teil
der Gesellschaft also, der unter Obama von einer progressiven und diversen
Gesellschaft profitiert hat. Volker Weiß, deutscher Historiker und
Publizist, schreibt im Zusammenhang mit dem Aufstieg der AfD: „Ereignisse
verdichten Entwicklungen und lassen Konturen hervortreten. Doch wird ihre
Bedeutung erst in der Rückschau deutlich. Den Zeitgenossen zeigen sie sich
gerafft und verschwommen.“
Dieser Befund lässt sich auf den Trumpismus unmittelbar übertragen. Trumps
Rhetorik, seine Art, Konflikte zuzuspitzen, seine Ruchlosigkeit im Umgang
mit der Wahrheit – all dies wirkt wie ein Gift, das sich in den
gesellschaftlichen Blutbahnen allmählich ausbreitet. Je länger er an der
Macht ist, desto mehr vergiftet er dieses Land.
Am 5. September 2016, als die USA noch die Wahl zwischen einer modernen
diversen Zivilgesellschaft und einer Union rückwärtsgewandter Wutbürger
hatten, veröffentlichte ein anonymer Autor [3][einen Essay unter dem Titel
„The Flight 93 Election“]. Der Titel bezieht sich auf das vierte entführte
Flugzeug durch Al-Qaida-Terroristen am 11. September 2001, den United Flug
93. Aus Telefonaten, die in der Maschine aufgezeichnet wurden, weiß man,
dass ein Teil der Passagiere vorhatte, die Terroristen im Cockpit zu
überwältigen, um Schlimmeres zu verhindern. Die Maschine stürzte in der
Nähe von Shanksville, Pennsylvania ab.
„2016 ist die Flight-93-Wahl“, schreibt der Verfasser, „übernimm das
Cockpit oder stirb. Du könntest auch dabei sterben. Du – oder der Führer
einer Partei – könntest es ins Cockpit schaffen und nicht wissen, wie man
ein Flugzeug fliegt oder landet. Es gibt keine Garantien. Nur eine: Wenn du
es nicht versuchst, ist der Tod gewiss.“ Es handelt sich hier um eine
Erzählung von der Zerstörung eines Systems, um das Land zu retten. Der Text
wurde schnell zum Manifest unter Erzkonservativen und Rechtsradikalen, ein
Manifest des Trumpismus.
Auch ein Jahr nach der Präsidentschaftswahl haben die Demokraten, das
zeigen die Zahlen, noch keinen Zugang zu jenen Milieus gefunden, die Trump
bis heute tragen. Trump Country existiert fernab der globalisierten Eliten
mit all ihren Gleichberechtigungsfantasien. Was wir sehen, ist das
weltweite Pendel gegen die Aufklärung in Zeiten der verunsichernden
Globalisierung, das in den USA besonders stark ausschlägt.
Konservative Lebenswelten der europäischen Einwanderer vorheriger
Jahrhunderte haben sich hier, in der weiten Welt des ungleichen
Nebeneinanders, besonders gut erhalten. Wer die Amish mit ihrer
museumsreifen Kleidung gesehen hat, weiß, wovon die Rede ist. Die Welt von
Washington oder San Francisco, Los Angeles oder Houstons ist ihnen fremder
als die Vergangenheit. Da hat plötzlich auch das Bild der Zerstörung Sinn:
Sie befreit in dieser Sicht das echte Amerika.
## Für Trumps Anhänger sind die Republikaner das Problem
Das herkömmliche konservative Denken der letzten Jahrzehnte dagegen habe
den Gedanken, dass sich „Amerika und der Westen“ zum Schlechten entwickelt,
gar nicht zugelassen, schreibt der Autor des Manifests unter dem Pseudonym
Publius Decius Mus, benannt nach einem römischen Konsul, der sich für Rom
zu opfern bereit war. Trump, der aus seiner Verachtung für all dies
Weltpolitik macht, ist im modernen Amerika aus Sicht seiner Anhänger dieser
selbstlose Retter. Die Republikaner, die Grand Old Party, sind in ihren
Augen nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.
Als Trumps Chefideologe Steve Bannon im August überraschend aus dem Weißen
Haus ausschied, wurde viel darüber spekuliert, ob er sich mit dem
Präsidenten überworfen hatte. Vieles deutet jetzt darauf hin, dass er
stattdessen ein weiteres Mal für Trump die Feldarbeit verrichtet, nur von
anderer Stelle aus. Bannon hat zur Jagd geblasen. Im Vorfeld der Wahlkämpfe
für die Midterm Elections im November 2018 drohte er: „Es entsteht eine
Koalition, die jeden republikanischen Amtsinhaber herausfordern wird.“
Inzwischen gibt es die „Great American Alliance“, eine
Wahlkampfspendenorganisation, die jene radikalen Kandidaten unterstützt,
die gegen Amtsinhaber in den eigenen republikanischen Reihen antreten.
Bannon „orchestriert die Bemühungen“, urteilt die New York Times. Kritiker
gäben sich entweder dem Trumpismus hin – oder sie gäben auf. Machen die
Republikaner so weiter, sind sie auf dem Weg in eine Trump-Partei. Es wäre
dann genau die Partei, die zum Staatsverständnis von Trump passen würde.
Publius Deus Mus hat inzwischen das Geheimnis um seine Person gelüftet. Der
konservative Intellektuelle heißt Michael Anton, er ist Publizist und
politischer Berater. Sein Manifest hat ihm nicht nur viel Aufmerksamkeit,
sondern auch einen neuen Job eingebracht. Er arbeitet inzwischen als
Direktor für strategische Kommunikation des Nationalen Sicherheitsrats im
Weißen Haus.
10 Nov 2017
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/international/world/roger-cohen-on-trump-and-the-eros…
[2] https://www.washingtonpost.com/opinions/the-one-area-where-trump-has-been-w…
[3] http://www.claremont.org/crb/basicpage/the-flight-93-election/
## AUTOREN
Barbara Junge
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