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# taz.de -- Inklusiver Streifen findet keine Spielstätten: Gefeierter Spielfil…
> Der in Oldenburg gedrehte inklusive Spielfilm „Von komischen Vögeln“ von
> Eike Weinreich wurde viel gelobt. Ohne Verleih ist es schwierig Kinos
> dafür zu finden.
Bild: Chorprobe: MitarbeiterInnen der Gemeinnützigen Werkstätten in Oldenburg…
BREMEN taz | Jockel hat keinen Bock. Nicht auf die ihm aufgebrummten
Sozialstunden und schon gar nicht auf den Haufen „komischer Vögel“, mit
denen er ein Lied einüben soll. Jockel, ein 43-jähriger Zyniker, hat im
Suff eine Pizzeria überfallen und wird zu einer Bewährungsstrafe
verurteilt. Die 200 Sozialstunden muss er in den Gemeinnützigen Werkstätten
von Oldenburg abarbeiten und dort bekommt er als (gescheiterter) Musiker
die Aufgabe, den Chor zu betreuen.
Jockel ist grob gesehen das Alter Ego von Eike Weinreich. Mit „Von
komischen Vögeln“ hat der 1985 in Oldenburg geborene Weinreich einen
inklusiven Film gedreht. Und dieser ist aus seinen ganz persönlichen
Erfahrungen gewachsen und das merkt man der Komödie an. Weinreich hat vor
zwölf Jahren in den Gemeinnützigen Werkstätten seiner Heimatstadt
Zivildienst geleistet, und die dortige Arbeit mit behinderten Menschen hat
einen nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht.
Weinreich wurde Schauspieler, gehörte zu den Ensembles der Theater von
Oberhausen und Dresden und spielte eine Hauptrolle in der in Bremen
gedrehten Adaption von Sven Regeners „Neue Vahr Süd“. Statt danach auf
Anrufe mit Rollenangeboten zu warten, entschied er sich, selber einen Film
zu machen und kehrte dafür in seine Heimatstadt zurück.
Den Jockel in seinem Erstlingswerk spielt Jürgen Sarkiss (ein
Schauspielkollege von Weinreich aus Oberhausen) als einen Mann, der alle
Menschen um sich herum mit einer selbstzerstörerischen Boshaftigkeit
vergrault. Und auch die anderen handelnden Figuren werden von
professionellen DarstellerInnen gespielt, mit denen Weinreich auf der Bühne
zusammenarbeitete und die deshalb aus alter Freundschaft mitmachten.
Gedreht wurde in den Oldenburger Gemeinnützigen Werkstätten und mit einer
Gruppe der dort arbeitenden Menschen mit Behinderung. Dabei war es
Weinreich wichtig, dass alle, die Lust dazu hatten, mitspielen durften. Und
er wollte die Darsteller auch nicht manipulieren. So ließ er im Drehbuch
Freiräume für die Aufnahmen mit den Laien, die sich dabei vorstellten, zum
ersten Mal versuchten zu singen, zusammen lachten.
Weinreich wollte sie so, wie er selber sagt, „immer im besten Licht
zeigen“, und dies ist ihm gelungen. Denn diese improvisierten Sequenzen
fügen sich nahtlos in die inszenierte Handlung und sie vermitteln intensiv
die Spielfreude und positive Energie der WerkstättenmitarbeiterInnen. Das
wirkt nie voyeuristisch und ist oft komisch, aber nie auf Kosten der
Darsteller.
## Jeder singt so gut wie er kann
Eike Weinreich verzichtet bewusst auf einen großen Knalleffekt und
Perfektion am Ende des Films. Jeder singt so gut wie er kann und Weinreich
sind die strahlenden Gesichter wichtiger als die richtigen Töne. Vieles
bleibt offen und der Misanthrop findet zwar seine Lebensfreude wieder, aber
seine Bewährung ist längst nicht abgelaufen.
Weinreich steht nicht allein da mit seiner Idee. Der inklusive Film wurde
in den letzten Jahren zu einer eigenständigen Gattung. In dieser Woche
findet beispielsweise im Hamburger Kino Metropolis das 3. inklusive
Kurzfilmfestival „Klappe Auf!“ statt und der Bremer Filmemacher Eike
Besuden, dessen Spielfilm „Verrückt nach Paris“ 2002 ein Vorreiter dieser
Bewegung war, hat in diesem Jahr seinen Spielfilm „All Inclusive“ wieder
mit der inklusiven Künstlergruppe „Blaue Karawane“ gedreht.
Weinreich wollte seinen ersten Film ohne Kompromisse machen. Es gab es zwar
Verhandlungen mit einem Fernsehsender, aber die Redakteure wollten, dass
die Hauptrollen mit aus Film und Fernsehen bekannten Gesichtern besetzt
werden sollten. Weinheim wollte lieber mit seinen Kollegen arbeiten und
verzichtete auf viel Geld, wurde aber von der Filmförderung für
Niedersachsen und Bremen Nordmedia finanziert.
Ein Nachteil dieser unabhängigen Art des Filmemachens ist, dass es noch
keinen Verleih für den Film gibt und es deshalb alles andere als sicher
ist, ob und wann „Von komischen Vögeln“ in die Kinos kommt. Als Notlösung
plant Weinreich eine alternative Auswertung des Films über das Netzwerk der
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, die es in vielen Städten des
Landes gibt.
Dabei wurde „Von komischen Vögeln“ auf den Internationalen Filmtagen in Hof
und dem Filmfest Biberach vom Publikum schon groß gefeiert. Nun ist
immerhin eine Oldenburger Premiere Anfang nächsten Jahres geplant.
9 Nov 2017
## AUTOREN
Wilfried Hippen
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Inklusion
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