| # taz.de -- Kurzfilme in Hamburg: Die permanente Überraschung | |
| > Beim 31. Hamburger Kurzfilmfestival drücken sich die Macher radikaler und | |
| > origineller aus, als es normalerweise in Langfilmen geschieht. | |
| Bild: „City Spirit“ beleuchtet den City Hof Hamburg. | |
| Bremen taz | Der alte Elbtunnel ist eine der Kino-Ikonen von Hamburg. In | |
| vielen Filmen steht er für die Unterwelt der Stadt, am berühmtesten ist | |
| wohl die Sequenz in „Der amerikanische Freund“ von Wim Wenders, in der | |
| Bruno Ganz ihn durchrennt. In dem Kurzfilm „Mictlan“ hat der Franzose | |
| Augustin Gimel nun diese Metapher wörtlich genommen, denn in ihm verwandelt | |
| sich der Tunnel tatsächlich sukzessive in die titelgebende aztekische | |
| Unterwelt. | |
| Der Film besteht aus einer zirkulären Kamerafahrt durch den Tunnel und | |
| wieder zurück, die wiederholt, beschleunigt und verfremdet wird. Dabei wird | |
| die Passage immer schemenhafter und entwickelt sich zu einem Sturz in eine | |
| nicht klar zu definierende, bedrohliche Tiefe, aus der archaische Zeichen | |
| und Symbole auftauchen. | |
| Dieser sechs Minuten lange, an psychedelische Kameratrips in den | |
| 60er-Jahren erinnernde Experimentalfilm läuft im „Hamburger Wettbewerb“ des | |
| 31. Internationalen Kurzfilm-Festivals zusammen mit anderen Produktionen | |
| mit einem Bezug zur Stadt. Darunter auch „City Spirit - Vier Türme, eine | |
| Seele?“ von Andreas Boschmann und Lisa Schambortsksi. In der Dokumentation | |
| wird untersucht, ob der „City Hof“, also vier große Betonklötze aus den | |
| 60er-Jahren, die in der der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs vor sich hin | |
| rotten, unter Denkmalsschutz bewahrt oder abgerissen werden sollen. | |
| ## Vom Leben in der tristen Stadtlandschaft | |
| Auf der Suche nach der „Seele“ des Hochhausensembles porträtieren die | |
| Hamburger Filmemacher vier Menschen, die in den heruntergekommenen Gebäuden | |
| arbeiten und leben. Ein Friseur, ein Künstler, ein Antiquar und ein | |
| Ladenbesitzer erzählen von ihrem Leben in dieser tristen Stadtlandschaft. | |
| Der Künstler fühlt sich seltsamerweise an New York erinnert, während der | |
| Friseur den Komplex als einen toten Teil der Stadt ansieht. Dabei werden | |
| die vier Protagonisten mit viel Sympathie und einem guten Blick fürs Detail | |
| fotografiert - wodurch die Architektur dann noch hässlicher wirkt. | |
| Erst auf dem Weg nach Hamburg ist in dem Film „Brass Heaven“ eine Gruppe | |
| britischer Männer in einem Billigflieger. Der Zweck ihres Ausflugs | |
| erschließt sich, wenn man weiß, dass im Londoner Cockney Slang eine | |
| Prostituierte „Brass“ genannt wird. Unter jungen Engländern ist es in Mode, | |
| den Junggesellenabschied für ein Wochenende auf der Reeperbahn zu feiern | |
| und dabei wird schon im Flugzeug viel getrunken. | |
| Der Filmemacher Simon Ellis hat nun einfach ein Tonbandgerät bei einem | |
| dieser Flüge nach Hamburg mitlaufen lassen. Dazu zeigt er Bilder vom Flug | |
| aus dem Flugzeugfenster heraus sowie Zwischentitel mit den oft schwer | |
| verständlichen Sprüchen, die alles andere als politisch korrekt sind. Der | |
| Film macht deutlich, welche Zugkraft das alte Klischee vom Sündenpfuhl | |
| Reeperbahn immer noch hat. Dies ist kein schöner, aber durch seine formelle | |
| Strenge auch kein voyeuristischer oder abstoßender Film. Er läuft dann auch | |
| noch im Wettbewerb „Flotter Dreier“, aber dieser Name bezieht sich in aller | |
| Unschuld auf die Länge der Filme von etwa drei Minuten. | |
| Solche Momentaufnahmen, die für sich stehen und nicht in ein | |
| dramaturgisches Ganzes eingebettet sein müssen, sind nur in Kurzfilmen | |
| möglich. Und weil sie vergleichsweise schnell und billig zu produzieren | |
| sind, können die Filmemacher sich in ihnen, meist am Anfang ihrer Karriere, | |
| viel unmittelbarer, radikaler und origineller ausdrücken. | |
| Deshalb ist auch die Bandbreite der stilistischen Mittel viel größer als | |
| bei Langfilmen. In Kurzfilmprogrammen wird das Publikum permanent | |
| überrascht und zum Teil erklärt dies wohl den großen Erfolg des | |
| Kurzfilm-Festivals, das sich in 31 Jahren neben dem Filmfest zur | |
| zweitgrößten cineastischen Veranstaltung der Stadt entwickelt hat. | |
| ## Illegale Aktionen im öffentlichen Raum | |
| Besonders spannend ist in diesem Jahr ein Sonderprogramm mit dem Titel | |
| „Freud und Helfer“, das dem Künstlerpaar Mischa Leinkauf und Matthias | |
| Wermke gewidmet ist. Die beiden machen meist illegale und riskante Aktionen | |
| im öffentlichen Raum, die sie dann in Filmen dokumentieren. 2008 fuhren sie | |
| auf einer Draisine nachts auf den Gleisen der Berliner U- und S-Bahn. 2009 | |
| errichteten sie auf einer vom Meer umschlossenen Betonmole zwischen den | |
| europäischen und asiatischen Teilen Istanbuls eine Hütte, die sie drei Tage | |
| lang bewohnten. | |
| 2011 ließ sich Wermke für das Projekt „Entscheidungen“ von Brücken und | |
| Kränen in Berlin hängen und entschied dann jeweils spontan, ob er sich | |
| herunterfallen ließ oder selber wieder heraufzog. Die Filme über diese | |
| Aktionen werden als Video-Installationen im Festivalzentrum Kolbenhof | |
| präsentiert. Ihre bislang spektakulärste Arbeit präsentieren die beiden | |
| aber in dem Dokumentarfilm „Symbolic Threats“, der im deutschen Wettbewerb | |
| läuft. | |
| Im Juni 2014 nahmen sie die beiden US-Flaggen ab, die auf der Brooklyn | |
| Bridge in New York wehten, und ersetzten sie durch eigene, weiße Flaggen. | |
| Dies führte zu einer teilweise hysterischen Aufregung in der | |
| US-amerikanischen Öffentlichkeit, die lange rätselte, ob es sich bei der | |
| Aktion um Terrorismus oder Kunst handelte. | |
| 9. bis 15. Juni, Metropolis, 3001, B-Movie, Zeise, Lichtmess, Filmraum und | |
| Festivalzentrum auf dem Kolbenhof | |
| Kinderfilmfestival „Mo & Friese“: ab 7. Juni | |
| 4 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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