# taz.de -- Polnisches Restaurant in Berlin: Endlich saure Mehlsuppe | |
> „Komm, wir gehen polnisch essen!“ Diesen Satz hört oder sagt man bisher | |
> selten, auch weil es kaum polnische Restaurants gibt. Das ändert sich | |
> gerade. | |
Bild: Pierogi im Tak Tak in Berlin | |
Ein Stolperpfad im morgendlichen Nebeltau, links davon Bäume und Büsche. | |
Das Licht warm, ein Herbsttag. Das Bild über den Tresen ist romantisch, | |
schön, ein Polen wie aus dem Reiseprospekt. „Ich habe keine Ahnung, wo | |
genau es aufgenommen wurde, aber so sieht es aus in meiner Heimat“, sagt | |
Karol Kasierski. Ein Stück Zuhause hat er sich auch hier am Rosenthaler | |
Platz geschaffen, 460 Kilometer von seiner polnischen Geburtsstadt Lódź | |
entfernt: Vor zwei Jahren eröffnete er in Berlin-Mitte den Tak Tak Polish | |
Deli. | |
Im Tak Tak soll deshalb alles so schmecken wie bei seiner Oma. Auf der | |
Tafel steht Bigos, ein Krauteintopf mit verschiedenen Fleischsorten, die | |
polnische Nationalspeise, Żurek, saure Mehlsuppe, Barszcz, Rote-Bete-Suppe, | |
und Pierogi, Teigtaschen, gefüllt mit Fleisch, Kartoffeln und Zwiebeln oder | |
auch Spinat und Knoblauch. | |
Diese Klassiker haben in vielen Familien Tradition, Abweichungen von alten | |
Rezepten werden misstrauisch beäugt: „Polnische Kunden, vor allem ältere, | |
sind manchmal irritiert von meinen Pierogi“, erzählt Kasierski. Er reicht | |
sie mit gerösteten, nicht mit gedünsteten Zwiebeln. Ein Verstoß gegen die | |
reine Lehre! „Aber die Deutschen stehen drauf – und ich auch.“ | |
Der 36-jährige Kasierski sitzt an dem langen Tisch in der Mitte seines | |
Schnellrestaurants. Er ist groß, tätowierte Unterarme, freundliches | |
Gesicht. Als Kind kam er mit seiner Familie nach Kaiserslautern. Er habe | |
schon immer gewusst, dass so etwas wie das Tak Tak hier fehle, sagt | |
Kasierski. „Vor 20 Jahren habe ich schon meiner Oma davon erzählt, dass ich | |
ein polnisches Restaurant in Deutschland aufmachen möchte.“ | |
## Kein typisches Reiseland | |
Kasierski ist mit seinem Tak Tak Teil einer kleinen Food-Revolution in | |
deutschen Großstädten, vor allem in Berlin, wo es die jungen polnischen | |
Auswanderer hinzieht, Kreative und Studenten. Polen und Deutschpolen haben | |
hier in den vergangenen Jahren Restaurants eröffnet, in denen es ihre | |
traditionelle Küche gibt, aber auch Fusionsexperimente. In Berlin-Neukölln | |
werden zum Beispiel im Bona polnisch-italienische Spezialitäten angeboten. | |
Warum das besonders ist? In Deutschland leben etwa zwei Millionen Polen | |
oder Deutsche polnischer Abstammung. Damit sind sie eine der größten | |
Migrantengruppen im Land. Doch lange gab es, anders als griechische, | |
italienische oder türkische Restaurants, kaum polnische. Die Nähe zur | |
Heimat, besonders in Berlin, ist eine Erklärung: Hätten die Polen Heimweh | |
nach Pierogi, würden sie einfach schnell über die Grenze fahren. | |
Und die Deutschen? Die wollen nicht die fettigen, oft fleischhaltigen | |
polnischen Gerichte? Polen sei eben lange „zu“ gewesen, sagt Kasierski. Für | |
die Westdeutschen lag das Land bis zur Auflösung der Volksrepublik 1989 auf | |
der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Auch DDR-Bürger reisten nicht in | |
Massen zu ihren östlichen Nachbarn. | |
Die Polen wiederum flohen zwar nach Westdeutschland aus Angst vor | |
Repression oder in der Hoffnung auf materielle Sicherheit. Die | |
Westdeutschen aber machten nicht Urlaub an der polnischen Ostsee, sondern | |
saßen lieber an der italienischen Küste am Strand oder badeten in der | |
jugoslawischen Adria. „Und wenn sie wieder zurück sind in Recklinghausen, | |
wollen die eben auch da etwas Urlaubsgefühle und gehen mal eine Pizza oder | |
Cevapcici essen“, sagt Kasierski. | |
## Polentum nicht mehr verstecken | |
Es gibt jedoch noch andere Gründe, warum es so wenige polnische Restaurants | |
in Deutschland gibt. Ein weiterer ist der, dass kaum eine Gruppe | |
hierzulande sich so schnell integriert wie die Polen und dabei ihre Wurzeln | |
aufgibt. Dieses Thema wird gerade auch von der Autorin und ehemaligen | |
taz-Redakteurin Emilia Smechowski, die 1988 mit ihrer Familie Polen | |
verließ, in ihrem aktuellen Buch „Wir Strebermigranten“ behandelt. Es ist | |
eine ziemlich einfache Logik: Wo Menschen sich ihrer kulturellen Identität | |
schämen, eröffnen sie auch keine entsprechenden Restaurants. | |
Dass polnische Mütter ihre Kinder etwa in der U-Bahn auf Deutsch mit | |
polnischem Akzent ermahnen, in der Öffentlichkeit kein Polnisch zu | |
sprechen, so etwas hat Andrzej Karol Kasierski nicht erlebt. „Wir haben nie | |
einen Hehl daraus gemacht, dass wir Polen sind“, sagt er. Freunden habe er | |
als Teenager schon polnische Gerichte nach den Rezepten der Großmutter | |
angeboten. Die Kochausbildung hat er abgebrochen, dann in Bars gejobbt, als | |
DJ und zwei Jahre als Türsteher in Köln gearbeitet, zu kochen aber habe ihm | |
immer schon Freude bereitet, sagt er. | |
Die neue polnische Generation in Deutschland sei mindestens so | |
selbstbewusst wie er, sagt Kasierski. „Die verstecken ihr Polentum nicht.“ | |
Immer mehr Restaurants eröffnen, daneben Designläden oder | |
deutsch-polnische Buchhandlungen, und sie ziehen auch ein deutsches | |
Publikum an. „Auf die derzeitige nationalkonservative polnische Regierung | |
kann ich zwar nicht stolz sein“, meint er. „Aber das soll hier in Berlin | |
und Deutschland keine Rolle spielen, es wurde Zeit, dass wir uns zeigen.“ | |
Das Geschäft im Tak Tak Polish Deli läuft in jedem Fall gut. So gut, dass | |
Kasierski bald schon einen zweiten Laden eröffnen will. | |
* | |
Anmerkung: In einer früheren Version des Textes, auf die sie auch der | |
Leserkommentar von Dubiosos bezieht, wurde nicht wirklich zwischen dem | |
west- und ostdeutschen Verhältnis zu Polen unterschieden. Die entsprechende | |
Stelle wurde ein wenig angepasst. | |
31 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Fritz | |
## TAGS | |
Polen | |
Migration | |
Restaurant | |
Essen | |
Behelfsetikett | |
Rechtsextremismus | |
Breslau | |
Holocaust | |
Visegrad-Gruppe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Echt eine osteuropäische Stadt: Ernst zu nehmen unter Freunden | |
Wenn man von den klimatischen Verhältnisse hier in der Stadt sprechen will, | |
kann man ruhig sagen: „Berlin liegt kurz vor Polen“. | |
Rechtsextremismus in Polen: Das marschierende Problem | |
Białystok galt einmal als Polens Hauptstadt des Rassismus. Eine | |
Social-Media-Expertin und ein Journalist stellen sich den Rechten entgegen. | |
Runder Tisch Berlin und Breslau: Ziemlich gute Freunde | |
Der Kulturzug während des Kulturhauptstadtjahrs Breslau 2016 war der | |
Anfang. Nun wollen beide Städte noch mehr miteinander kooperieren. | |
Erinnerungskultur in Polen: Kinder des Holocaust | |
Anna Kloza erinnert Białystok an seine jüdischen Bewohner. Für ihr | |
Engagement wird sie angefeindet. Sie gibt dennoch nicht auf. | |
Bündnis der Visegrád-Staaten: Das andere Europa | |
Wirtschaftsboom, Kritik an Brüssel und Abwehr von Migration: viel mehr eint | |
Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei nicht. |