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# taz.de -- Manal al-Sharif zu Frauenrechten: „Ich bin mein eigener Vormund“
> Für die Gründerin der Kampagne „Women2Drive“ ist die Schlacht um den
> Führerschein noch nicht gewonnen. Denn: Saudische Frauen sind
> lebenslänglich Mündel.
Bild: Manal al-Sharif hat viel bewegt
Frau al-Sharif, wie wahrscheinlich ist es, dass Frauen nächstes Jahr
tatsächlich in [1][Saudi-Arabien Auto fahren dürfen], und zwar ohne
Erlaubnis ihres Vormunds?
Manal al-Sharif: Allein das ist schon ein völliger Widerspruch: Wir haben
immer noch einen Vormund, aber man soll interessanterweise keinen Vormund
brauchen zum Autofahren.
Wird es wirklich für Frauen möglich sein, ohne Erlaubnis des Vormunds
hinterm Steuer zu sitzen?
Selbst wenn es offiziell ohne Einwilligung möglich sein sollte, bleibt das
Problem die Familie. Wenn sie nicht will, dass ein Frau fährt, kann sie
ohne weiteres verhindern, dass sie einen Führerschein bekommt. Wenn sie
nicht lernen darf zu fahren, dann wird sie auch keinen Führerschein
bekommen. Der Vormund wird einfach nicht erlauben, dass sie zur Fahrschule
geht. Die Familie hat 100 Wege, einen Führerschein zu verhindern. Wir haben
deshalb eine Art Untergrundbewegung gegründet. Wir haben Videos gedreht,
die zeigen, wie man fährt und wir ermutigen Frauen, Fahrstunden zu nehmen,
wenn sie im Ausland sind.
Werden die radikalen wahhabitischen Kleriker, die das Fahrverbot immer
strikt ausgelegt haben, sich dem Kurswechsel des Königs fügen?
30 prominente Kleriker wurden verhaftet bevor die Aufhebung des Fahrverbots
bekannt gegeben wurde. Die Geistlichen, die aufs Schärfste gegen uns
gekämpft haben und nicht zu den Verhafteten gehörten, gaben sich plötzlich
verändert und stellten sich hinter den König. Das macht sie natürlich
unglaubwürdig. Und dann gibt es noch jene, die gar nichts sagen, um nicht
verhaftet werden. Wir wissen deshalb, dass es nicht einfach wird.
Die Schlacht ist also noch nicht gewonnen?
Nein, nein, überhaupt nicht. Sie wird gewonnen sein, wenn ich mit eigenen
Augen sehe, dass Frauen auf den Straßen von Saudi-Arabien Auto fahren.
Die radikalen Geistlichen haben alle möglichen Gründe genannt, warum Frauen
auf keinen Fall fahren sollten: Es zerstöre die Eierstöcke, es beschädige
das Jungfernhäutchen, sie würden schwachsinnig und dergleichen mehr –
glauben diese Imame das eigentlich tatsächlich selbst?
Oh mein Gott, ja! Zu 100 Prozent! Sie sitzen in Talkshows und berichten
über Studien, die sie gelesen hätten und die dies belegen würden und dass
sie auch selber Beweise hätten. Das Gute ist jedoch, dass viele in
Saudi-Arabien schlau genug sind, ihnen nicht mehr zu glauben. Sie haben
verloren.
Sind die jetzigen Lockerungen in Saudi-Arabien nur eine Image-Kampagne des
Königshauses, das in der westlichen Welt zunehmend in Verruf gerät? Wie
real ist der Kurswechsel?
Ich hoffe, er ist real. Ich war sehr glücklich, als ich gehört habe, dass
Frauen ab Juni kommenden Jahres Auto fahren dürfen. Aber ich habe auch
meine Zweifel, denn sie wollen nicht, dass Aktivistinnen wie ich darüber
reden. Deshalb habe ich das Gefühl, dass hier womöglich etwas faul sein
könnte.
Autofahren war für Sie immer nur das Symbol für [2][die Situation der
Frauen in Saudi-Arabien]. Das grundlegende Problem ist die Vormundschaft.
Eine Frau bleibt immer das Mündel eines Mannes. Ist das der nächste große
Kampf?
Nicht der nächste, denn wir sind bereits mittendrin. Wir haben schon vor
einem Jahr eine Kampagne begonnen mit dem Titel „Ich bin mein eigener
Vormund“ oder auch mit dem Hashtag „Stop enslaving Saudi women“ (Hört au…
saudische Frauen zu versklaven).
Wer ist also ihr Vormund, wenn Sie nach Saudi-Arabien fliegen, um Ihren
Sohn zu besuchen?
Mein Vater. Er ist 83 Jahre alt. Wenn ihm etwas passiert, würde mein
kleiner Bruder mein Vormund.
Einiges hat sich ja bereits positiv entwickelt. [3][Warum reicht Ihnen das
nicht]?
Es stimmt, dass insbesondere dieses Jahr eines der besten für saudische
Frauen war. Doch eine Fran kann beispielsweise nicht im Ausland studieren,
ohne die Erlaubnis ihres Vormunds. Wenn Mädchen oder Frauen vor
Misshandlung von Zuhause davonlaufen, werden sie mit Gewalt zurück zu ihrem
Vormund gebracht, in dasselbe Haus. Oder ins Gefängnis. Mädchen dürfen
nicht von der Schule oder dem College nach Hause ohne Erlaubnis des
Vormunds. Eine Frau kann nicht mal aus der Haft entlassen werden, ohne dass
sie einen Vormund hat, der es erlaubt. Es gibt viele, viele Regeln. Aber
das Wichtigste ist für mich: Ich möchte, dass das Alter klar benannt wird,
ab dem ich als Frau vor dem Gesetz erwachsen bin. Und das gibt es nach wie
vor nicht.
Demonstrieren dürfen Sie ja nicht. Wie sieht ihre Kampagne gegen die
Vormundschaft aus?
Viele Frauen und Mädchen drehen Videos über ihr Leben, zum Beispiel über
Misshandlungen, Missbrauch und Gewalt. Aber auch darüber, dass etwa eine
Frau, die ihren Doktortitel macht, die Erlaubnis ihres Vormunds braucht.
Das muss man sich mal vorstellen! Eine Doktorandin! Diese Geschichten haben
eine richtige Bewegung in Gang gesetzt. Vorher hat das System ja nur
funktioniert, weil keine Frau darüber geredet und aufbegehrt hat. Jetzt
gibt es eine Bruchstelle.
Der Aufstand der Frauen ist also erst mit den sozialen Medien möglich
geworden?
Absolut richtig. Die sozialen Medien sind sehr weit verbreitet. Jeder ist
ständig auf Twitter und Facebook. Sie werden gegen uns verwendet –
Gerüchte, Verleumdungen, Drohungen. Aber wir benutzen es eben auch, um
überhaupt erst mal zu zeigen: Wir existieren.
Sie haben mal gefordert, dass westliche Regierungen grundsätzlich
Botschafterinnen entsenden sollten. Warum?
Es ist ein Statement. Es ist peinlich für die saudische Regierung, mit
ihnen arbeiten zu müssen. Wir haben ja nicht einmal eine einzige Frau in
diesem Kreisen. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt und sie alle ihre
Hand schütteln müssen – das liebe ich. Diese starke Frau, zu der wir alle
aufblicken! Es ist toll, wenn sie Saudi-Arabien besucht, das Königreich der
Männer.
Sollten westliche Staaten ökonomisch Druck auf Riad auszuüben?
Ich würde nicht verlangen, die Wirtschaftsbeziehungen einzustellen. Aber
ich würde von westlichen Staaten erwarten, dass sie Saudi-Arabien nicht
erlauben, bei Frauenrechten mitzureden, wie etwa in der Kommission für
Frauenrechte bei den Vereinten Nationen. Leider haben jedoch auch einige
westliche Staaten wie etwa Belgien zugestimmt, dass Saudi-Arabien dort ab
2018 vertreten ist. Hilfreich wäre stattdessen, politischen Druck auszuüben
und Frauenrechte immer wieder, bei jedem Besuch, anzusprechen.
19 Oct 2017
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## AUTOREN
Silke Mertins
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