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# taz.de -- Lebensmittellieferdienst von Amazon: Die Möhren sind nur der Anfang
> Amazon Fresh ist seit einem halben Jahr auf dem deutschen Markt. Kleine
> Händler konnten davon profitieren. Doch eine Kooperation ist nicht ohne
> Risiko.
Bild: Mohrrüben oder ein Teil eines wirtschaftlichen und politischen Problems
Der Schrecken der großen Supermarktketten kommt in Papiertüten. Braun,
grüne Henkel, schwarz-grüne Beschriftung. In der Mitte die beiden alles
entscheidenden Worte: „amazon fresh“.
Seit einem knappen halben Jahr bietet der US-Konzern über den Dienst Amazon
Fresh nun auch frische Lebensmittellieferungen auf dem deutschen Markt an.
Und nachdem die Lebensmitteleinzelhändler über Jahre Alarm schlugen und vor
einem Markteintritt des US-Konzerns warnten, ist es erstaunlich ruhig
geblieben. Amazon hat die Zahl der über Fresh angebotenen Produkte von
85.000 auf 300.000 vervielfacht, die Regionen von Berlin und Potsdam auf
Hamburg ausgedehnt, weitere sind in Planung. Und gerade kleine bis
mittelgroße Händler finden Gefallen an der Kooperation.
„Wir haben keinen eigenen Online-Shop, daher haben wir uns dazu
entschlossen“, sagt Stella Kircher, Sprecherin von Tegut. Das Unternehmen
hat bundesweit rund 290 Märkte und ist nicht in allen Bundesländern
vertreten. Über Amazon habe man nun auch die Chance, Kunden andernorts zu
erreichen.
Der Markt des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland ist stark
konzentriert. Schon 2015 stellt das Bundeskartellamt fest: Die vier größten
Player – Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarz-Gruppe unter anderem mit Lidl –
stellen 85 Prozent des Marktes. Seitdem haben Edeka und Rewe die
Kaiser’s-Tengelmann-Filialen unter sich aufgeteilt, und im Norden hat Rewe
rund 160 Filialen von Sky und Plaza übernommen. Die Übernahmen sind Teil
einer stetigen Entwicklung: Laut Bundeskartellamt gab es Ende der 90er
Jahre bundesweit noch acht große Lebensmittelhändler, die einen Marktanteil
von 70 Prozent stellten.
## Für kleinere Händler ist Amazon attraktiv
Gleichzeitig steigt die Bereitschaft, Lebensmittel online zu bestellen. So
prognostiziert etwa der Datendienst Statista in seinem Digital Market
Outlook von 2017 bis 2021 eine Verdopplung des Umsatzes, der online mit
Lebensmitteln und Getränken gemacht wird, von knapp einer auf knapp zwei
Milliarden Euro jährlich.
Angesichts dessen, dass der Lebensmitteleinzelhandel hierzulande jährlich
rund 170 Milliarden umsetzt, ist das noch ein sehr geringer Anteil.
Andererseits: Bereits 2015 – also deutlich vor dem Start von Amazon Fresh –
kauften laut einer Mc-Kinsey-Studie zehn Prozent der Kunden in
Ballungszentren regelmäßig Lebensmittel online, 20 Prozent gelegentlich.
Als attraktive Zielgruppe gelten vor allem junge Familien mit
überdurchschnittlichem Einkommen, aber wenig Zeit, um selbst einzukaufen.
Diese Kombination aus starker Konzentration, die eine Behauptung auf dem
Markt erschwert, einerseits und Kundenbereitschaft andererseits ist es, die
es vor allem für kleinere Händler attraktiv macht, ihre Waren über Amazon
zu vertreiben. Neben Tegut kooperiert unter anderem die Bio-Supermarktkette
Basic mit dem Konzern, ebenso der Schokoladenverkäufer Rausch und die
Kaffeerösterei Sagers. „Für kleine und mittelgroße regionale Händler ohne
eigenes Online-Angebot ist eine Kooperation mit Amazon besonders
attraktiv“, sagt Sascha Berens, Projektleiter E-Commerce beim EHI Retail
Institute.
## Kochhaus hat keine Angst
Was sowohl für die kleinen Kooperationspartner als auch für Amazon der
Knackpunkt werden könnte: Eigenmarken. Diese sind es, die für hiesige
Supermarktketten am interessantesten sind. Sie bringen bei dem niedrigen
Preisniveau in Deutschlands Lebensmittelhandel zumindest ein bisschen Marge
ein. Weil ein Akteur in der Vermarktungskette wegfällt und weil Kunden
nicht, wie bei bekannten Marken, Preise vergleichen können.
„Voraussetzung dafür, dass sich Amazon erfolgreich am Markt hält, ist, dass
sie es schaffen, Eigenmarken zu etablieren“, sagt Berens. Nicht sofort,
aber perspektivisch. Das könnte wiederum für die Kooperationspartner zum
Problem werden. Wenn Amazon ein beliebtes Produkt eines
Kooperationspartners auslistet und selbst, mit entsprechend größerer Marge,
anbietet, steht der kleine Anbieter schlechter da als zuvor. Er hat sich
auf steigende Umsätze eingestellt, möglicherweise die Produktion
entsprechend angepasst und würde nun einen Absatzkanal wieder verlieren.
Beim Anbieter Kochhaus, der über Amazon Boxen mit einem für ein Gericht
portionierten Zutaten anbietet, ist es durchaus absehbar, dass der
US-Konzern zumindest in das gleiche Geschäftsfeld einsteigt: Im September
hat Amazon beim Deutschen Patent- und Markenamt eine Wort-Bildmarke
angemeldet, die unter anderem Lebensmittel „kochfertig und zur
Zusammenstellung als Mahlzeit“ umfasst. Kochhaus-Sprecherin Friederike
Klasen befürchtet trotzdem nicht, dass sie als kleinerer Partner ins
Hintertreffen geraten. „Wir sind vollkommen unabhängig von Amazon.“ Man
habe Stammkunden und etablierte stationäre Märkte.
## Eigenmarken haben Unique Selling Point
In den USA bietet Amazon Eigenmarken bereits in zahlreichen Segmenten an –
zu den erfolgreichsten zählen unter anderem Batterien. Aber auch im
Lebensmittelbereich gibt es schon erste Schritte. So verkauft Amazon unter
dem Label „Happy Belly“ etwa Wasser, Gewürze oder Kaffee. Für Deutschland,
so eine Sprecherin des Konzerns, gebe es keine entsprechenden
Ankündigungen.
Auch bei Tegut fürchtet man eine eventuelle Eigenmarken-Konkurrenz nicht.
„Ich denke, die Tegut-Eigenmarken haben einen Unique Selling Point“, sagt
Sprecherin Kircher. Dass Kunden lieber online bestellen, als in einen Markt
zu gehen, glaubt sie nicht. „Vollsortimentler bieten einen Mehrwert im
Geschäft, zum Beispiel die Beratung an der Theke.“
## Am Ende gäbe es vielleicht weniger kleine Händler
Die Aktion Agrar warnt trotzdem vor Amazon – und zwar nicht nur Kunden,
sondern auch Händler. „Amazon erhöht die Austauschbarkeit der Lieferanten�…
sagt Sprecherin Jutta Sundermann. Dass sich vor allem kleine Händler für
die Kooperation interessieren, verhindere den Aufbau alternativer,
beispielsweise regionaler Online-Plattformen für den Vertrieb von
Lebensmitteln. Ein solches Beispiel gibt es etwa in Wiesbaden, wo Kunden
über das „Kiezkaufhaus“ unter anderem Lebensmittel von regionalen Händlern
bestellen können.
„Wenn regionale Lebensmittelhändler bei ihrer Kooperation mit Amazon auf
die Nase fallen und uns dann wegbrechen, haben wir ein Problem“, sagt
Sundermann. Am Ende gäbe es dann vielleicht einen neuen, großen
Konkurrenten für die etablierten Supermarktketten – aber ein paar kleine
bis mittelgroße Händler weniger.
24 Oct 2017
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Lebensmittel
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