# taz.de -- Autorin über afrikanische Literatur: „Die meisten Leser sind in … | |
> In Afrika gelten Bücher als etwas Fremdes, Importiertes, sagt Hilda | |
> Twongyeirwe. Mit dem Verband für Autorinnen will sie das zu ändern. | |
Bild: Die Autorin Hilda Twongyeirwe | |
taz: Frau Twongyeirwe, es gibt nicht viele Länder in Afrika, die einen | |
Verband für Autorinnen und Schriftstellerinnen haben. Wann und warum wurde | |
Femrite ins Leben gerufen? | |
Hilda Twongyeirwe: Ich habe an der Makerere-Universität in Kampala | |
Literatur studiert, um Lehrerin zu werden. Meine Dozentin Marry Kararo | |
Okrut hatte 1994 die Idee, einen Verband für Schriftstellerinnen zu | |
gründen, was sie 1995 auch tat. Ich war als Studentin damals von Anfang an | |
dabei. Angefangen haben wir mit neun Frauen, mittlerweile haben wir knapp | |
150 Mitglieder. Die Gründerin hat sich mittlerweile zur Ruhe gesetzt und | |
ich habe die Funktion der Direktorin übernommen. Ich schreibe selbst viele | |
Kurzgeschichten und Gedichte, aber meine Hauptaufgabe ist neben der | |
Verwaltung vor allem das Korrigieren. Unsere Mission ist es, eine Art | |
Schwesterngemeinschaft darzustellen und uns gegenseitig zu unterstützen, | |
unsere Geschichten zu veröffentlichen. | |
Femrite ist mehr als nur ein Verband: Sie organisieren Lesungen, | |
internationale Konferenzen und haben einen eigenen Verlag. Wie viele Bücher | |
haben Sie bislang publiziert? | |
Wir arbeiten derzeit an unserem 42. Buch, alle unsere Autorinnen sind | |
gleichzeitig auch Mitglieder. Wir arbeiten und publizieren jedoch nicht für | |
Profit. Alle Einnahmen, die wir aus einem Buch erzielen, investieren wir | |
direkt in weitere Projekte. Für jedes Buch müssen wir neu Fundraising | |
machen. Unsere Autorinnen verdienen also nichts, dafür publizieren wir sie | |
umsonst. Wir sind in Uganda der einzige Verlag, der kreative Werke und | |
Science Fiction herausbringt. Die anderen Verlage fokussieren sich | |
ausschließlich auf Bildungsmaterialien, akademische Werke – also auch auf | |
Schulbücher, das ist der größte Markt. Uganda hat einen sehr lustigen und | |
unvorhersehbaren Büchermarkt, den wir gerade mit einer Studie großflächig | |
untersucht haben. | |
Was war das Ergebnis? Und warum ist der Markt lustig? | |
Wir mussten feststellen, dass sich landesweit Zeitungen auf täglicher Basis | |
sehr gut verkaufen. Wir haben also eine wirklich gute Lesekultur. Doch | |
diese Leser lesen nicht unbedingt auch Bücher und wenn, dann kaum | |
ugandische. Es gibt in der Kette zwischen dem Buch und dem Leser eine | |
enorme Lücke: über das Marketing bis hin zum Vertrieb und Verkauf. Diese | |
versuchen wir zu schließen. Wir haben herausgefunden, dass Strukturen | |
fehlen. | |
Welche? | |
Wir können nicht einfach ein Buch online bewerben oder auf Amazon stellen, | |
denn es fehlen in Uganda die Bezahlmöglichkeiten für Onlineeinkäufe, also | |
Kreditkarten, und der Auslieferungsvertrieb. Damit ist es schwer, E-Books | |
zu vermarkten. Unser Ziel ist, in diese Strukturen langfristig zu | |
investieren. Wir hoffen, dass sich das mit dem mobilen Geldtransfer bald | |
ändern wird, nur fehlen uns auch dafür oft die finanziellen Ressourcen: Wir | |
finanzieren uns ausschließlich über Spendengelder und Projektgelder von | |
internationalen Stiftungen – und über unseren eigenen Verkauf. | |
Und warum ist die Lesekultur – in Bezug auf Bücher in Uganda – so, wie sie | |
ist? | |
Die meisten Leser finden wir in Schulen. Dort wächst unsere zukünftige | |
Kundschaft heran. Deswegen bemühen wir uns, das Bildungsministerium zu | |
engagieren, mehr in den Schulen zu unternehmen, also Lesezirkel zu kreieren | |
oder Bibliotheken einzurichten, die nicht nur mit rein akademischen Büchern | |
ausgestattet sind. Das Problem sind unsere Lehrpläne: Die sind sehr alt, | |
zum Teil noch aus der Kolonialzeit. In Literatur steht da Shakespeare auf | |
dem Plan und andere englische Literatur. Die wenigen afrikanischen Autoren, | |
die behandelt werden, stammen aus Nigeria, Kenia oder Südafrika. Aber es | |
gibt keine ugandischen Autoren, geschweige denn eine Autorin. Das wollen | |
wir ändern, wir arbeiten eng mit dem Ministerium zusammen, um das in die | |
Lehrpläne aufzunehmen. | |
Neuerdings eröffnen mehr Leihbüchereien und Buchläden. Ist das ein großer | |
Schritt? | |
Wir haben in Kampala relativ viele Bücherläden, aber die Leute kaufen dort | |
nur sehr selten Fiction und Belletristik, sondern nur wissensbezogene | |
Bücher oder Ratgeber. Die Ugander lesen nicht, um sich die Zeit zu | |
vertreiben. Zum Beispiel im Bus oder im Wartesaal im Krankenhaus. Da sitzen | |
die Leute stundenlang herum und warten und beschäftigen sich mit ihren | |
Smartphones. Wer im Bus ein Buch liest und sich nicht mit den anderen | |
Leuten unterhält, wird als Fremder komisch angeguckt – nach dem Motto, er | |
oder sie wolle sich nicht am Gespräch beteiligen. | |
Wie lässt sich das ändern? | |
Ich denke, das Grundproblem ist, dass wir nicht mit ugandischen Büchern | |
konfrontiert werden, sondern in Afrika Bücher als etwas Fremdes und | |
Importiertes betrachtet werden. Es wäre schön, wenn Eltern und Lehrer | |
anfangen würden, Kinder an mehr ugandische Literatur zu gewöhnen. Ein Buch | |
kann ein schönes Geburtstagsgeschenk sein. | |
Sind Bücher nicht auch sehr teuer für eine arme Familie mit vielen Kindern? | |
Ändert sich der Absatz mit der aufstrebenden Mittelklasse? | |
Darüber haben wir uns auch Gedanken gemacht in der Studie. Unsere Bücher | |
kosten rund 10.000 Schillinge, das sind nicht einmal drei Flaschen Bier. | |
Jetzt kann man sagen, das ist teuer für viele Familien – und fünf Bücher | |
sind dann ungefähr so viel, wie eine arme Familie für Schulgebühren pro | |
Trimester ansparen muss, um ein Kind zur Schule zu schicken. Aber gerade | |
bei der Mittelkasse: Wenn man sich anguckt, was diese sich täglich leistet | |
und jeden Abend an Bier vertrinkt, dann liegt das nicht nur am Geld. | |
Wer sind Ihre Autorinnen und warum schreiben diese Frauen – kann in Uganda | |
denn überhaupt jemand vom Schreiben leben? | |
Die meisten haben wie ich Literatur studiert, sind Lehrer oder Ähnliches. | |
Manche sind einfach gesegnet mit jeder Menge Kreativität und Fantasie und | |
schreiben als Hobby. Unser jüngstes Mitglied ist wirklich erfolgreich, aber | |
hauptberuflich Krankenschwester. Viele schreiben Gedichte, das ist einfach | |
und nicht sehr zeitraubend und man kann sie öffentlich vortragen, wir haben | |
viele Poetry Slams in Kampala und einen Leseclub, den wir jeden Montagabend | |
in unseren Büros abhalten. Vergangenes Jahr war hier zum ersten Mal Fiction | |
sehr beliebt. | |
In Ugandas Buchläden finden sich in der Abteilung für ugandische Bücher vor | |
allem Biografien. Über die Präsidentenfamilie gibt es unzählige. Oder | |
Memoiren vom Bürgerkrieg, veröffentlicht von Armeeoffizieren. Hier fehlen | |
vor allem die Frauen, oder? | |
Wir arbeiten daran, das zu ändern. Ich denke, viele ugandische Frauen sind | |
zu bescheiden, um ihre Geschichten zu erzählen. Wir arbeiten gerade mit | |
Sarah Ntiro zusammen, der ersten Frau in Ostafrika, die die Universität | |
abgeschlossen hat. Sie ist schon sehr alt und ich hoffe, wir bekommen ihre | |
Biografie noch zu Ende. Wir sind in Kontakt mit Roda Kalema, der einzigen | |
Frau in der Verfassungsgebenden Versammlung in Uganda – 1986 nach dem Krieg | |
–, die damals die Frauenbewegung gegründet hat, sowie mit Joice Mpanga, der | |
ersten Vizepräsidentin auf dem Kontinent. Grundsätzlich ist es aber so, | |
dass mehr Männer als Frauen in Uganda lesen. | |
Ugandas Buchsprache ist Englisch, so wie auch die Schulsysteme auf Englisch | |
sind. Aber es gibt über 50 verschiedene lokale Sprachen im Land. Gibt es | |
für diese Sprachen auch einen Markt? | |
Viele dieser Sprachen werden noch häufig in den Dörfern benutzt, aber meist | |
nur mündlich, nie schriftlich. Außer hier in der zentralen Region rund um | |
die Hauptstadt, hier finden wir sehr populäre Zeitungen in der lokalen | |
Sprache Luganda. Es ist aber so, dass ab einem bestimmten Bildungsgrad nur | |
noch Englisch benutzt wird, wenn es um Geschriebenes geht. Alle unsere | |
Mitglieder veröffentlichen in Englisch. Es gibt Gedichte auf lokalen | |
Sprachen, aber kaum Bücher. Wir haben festgestellt, dass Kinderbücher ein | |
wirklich vielversprechendes Segment in einem kommenden Markt sind – eines, | |
das noch nicht entwickelt ist. Hier finden wir einen breiten Markt für | |
lokale Sprachen, denn Kleinkinder lernen erst in der Grundschule Englisch. | |
15 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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