# taz.de -- Mobile Kinderbücherei in Uganda: Lesestoff per Boda-boda | |
> Kinderliteratur ist in Uganda teuer. Deshalb hat Rosey Sembatya eine | |
> Bibliothek gegründet. Die Bücher verschickt sie mit dem Motorrad. | |
Bild: Neue Bücher für Kampalas Kinder: Rosey Sembatya übergibt Moses Muribu … | |
Auf dem Parkplatz draußen hört Rosey Sembatya schon das Motorrad knattern. | |
Sie guckt aus dem Fenster ihres kleinen Büros im zweiten Stock des | |
Teacher’s House im Zentrum von Ugandas Hauptstadt Kampala und lächelt. Dann | |
packt sie weiter Bücher in die bunten Plastikordner mit den Comicfiguren. | |
Freitag ist ein besonderer Tag für die 35-jährige Lehrerin. Statt in ihrer | |
Sekundarschule englische Literatur zu unterrichten, stellt sie im Teacher’s | |
House Bücherpakete zusammen. Rund um ihren Schreibtisch türmen sich Comics, | |
Märchen, Abenteuer- und Science-Fiction-Romane, Bilder-, Pferde- und | |
Puzzlebücher – alles Raritäten in Uganda. | |
Sembatya ist Gründerin von Ugandas erster und einziger Leihbibliothek für | |
Kinder. Sie hat sich ein Konzept ausgedacht, wie sie die Bücher den Kindern | |
nach Hause schicken kann: per „Boda-boda“. So werden die wendigen | |
Motorradtaxis genannt, die nach dem Auto das Hauptverkehrsmittel in Ugandas | |
staugeplagter Hauptstadt sind. Immer freitags fährt Motorradfahrer Moses | |
Muribu für Sembatya die Pakete aus, in jedem drei sorgfältig ausgewählte | |
Bücher. | |
Die Pakete unter den Arm geklemmt, hastet Sembatya die Treppen hinunter auf | |
den Parkplatz. Dort begrüßt sie Muribu mit einem lockeren Handschlag und | |
erklärt ihm die heutige Route. Denn selbst in der Hauptstadt gibt es nur | |
selten Straßennamen, geschweige denn Hausnummern. | |
## Kampalas aufstrebende Mittelschicht | |
Meist wohnen die Kinder mit ihren Familien weit außerhalb des Zentrums, auf | |
einem der zahlreichen Hügel, wo die aufstrebende Mittelschicht in neu | |
gebauten Villen residiert. Ihre Eltern arbeiten in den Ministerien, | |
Behörden oder Bürogebäuden der Innenstadt. Dorthin liefert Motorradfahrer | |
Muribu freitags dann die Bücher, damit die Kinder zu Hause am Wochenende | |
etwas zu lesen haben. Die bereits gelesenen Bücher nimmt er wieder mit. | |
Die Idee zur Leihbücherei kam Sembatya vor zwei Jahren, als sie ihrer | |
Nichte zum 6. Geburtstag ihr erstes Buch schenkte. „Kinderbücher sind so | |
teuer in Uganda“, sagt sie, „Und ich konnte doch nicht die einzige Tante | |
mit dem Problem sein, viel Geld ausgeben zu müssen, um meiner Nichte das | |
Lesen nahezubringen.“ Sie fragte sich, ob es nicht Leihbibliotheken für | |
Kinder gäbe. Von ihren Kollegen in der Schule wusste niemand von einer. | |
Also entschied Sembatya sich für einen Testlauf: Sie kaufte ein paar bunte | |
Bilderbücher und lud alle ihre Freunde mit Kindern zu sich nach Hause zum | |
Tee ein. „Die Kinder haben sich um die Bücher schier gezankt“, sagt | |
Sembatya und lacht. Damals erzählte sie ihren Freunden auch von der Idee | |
mit der Leihbücherei. Ihre beste Freundin, Mutter von drei Kindern, wurde | |
sofort Abonnentin. Heute beliefert Rosey Sembatya wöchentlich fast 200 | |
Kinder rund um Kampala. | |
Während Moses Muribu losbraust, um die ersten Bücher auszuliefern, packt | |
Sembatya weitere Pakete. Immer wieder guckt sie in ihren Laptop und auf ihr | |
Smartphone. Per WhatsApp ist sie stetig mit den Eltern in Kontakt: „Das | |
Puzzlebuch hat ihr Spaß gemacht, bitte wieder eines einpacken“, schreibt | |
ihr die Mutter der 5-jährigen Grace. „Ich glaube, das waren zu wenige | |
Bilder und zu viel Text, er hat es kaum angefasst“, schreibt die Mutter des | |
9-jährigen Moses. | |
## Vorfreude auf den nächsten Harry Potter | |
Zu jedem Kind hat Sembatya eine Akte mit Alter, Vorlieben, Interessen und | |
den bereits gelesenen Büchern angelegt. Manchmal bekommt sie mit den | |
Büchern auch Briefe ihrer Leser direkt zurück. Diese pinnt sie an ihr | |
schwarzes Brett über dem Schreibtisch, um die Wünsche in der nächsten Woche | |
zu berücksichtigen: „Ich bin so gespannt auf den nächsten Teil von Harry | |
Potter“, schreibt ihr der 13-jährige Kyla. „Du schickst mir immer Bücher | |
für Kinder unter sechs Jahren, die ich nicht mag“, beschwert sich hingegen | |
die 6-jährige Catherine. Sembatya lacht, als sie auf den Brief guckt: „Sie | |
ist sehr fortgeschritten und verschlingt sehr viele Bücher pro Woche – | |
manchmal packe ich ihr sogar mehr ein.“ | |
Das ist in Uganda nicht üblich. Eine ausgeprägte Lesekultur gibt es nicht, | |
vor allem nicht bei Kindern. Uganda hat eine der höchsten Geburtenraten | |
weltweit, mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist im schulpflichtigen | |
Alter. Doch nur die wenigsten Schulen verfügen über eine Bibliothek – und | |
wenn, dann stehen da nur Lehrbücher, keine Romane, Abenteuerserien oder | |
Science-Fiction. | |
Auch lebt die Mehrheit der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, kann sich | |
nicht einmal die Schulgebühren für ihre fünf, sechs oder gar zehn Kinder | |
leisten. „Ein einziges buntes Kinderbuch kostet schon fast die Gebühr für | |
ein Trimester“, sagt Sembatya. Und Eltern, die genug Geld haben, kaufen | |
ihren Kindern lieber Smartphones oder Computerspiele, um sie zu | |
beschäftigen. | |
„Sehr schade“, findet das Sembatya. „Wenn man Kinder nicht früh für Bü… | |
begeistert, dann lesen sie als Erwachsene auch nicht viel.“ Deswegen zielt | |
sie mit ihrer Leihbibliothek schon auf die Kleinkinder. Gern denkt sie an | |
ihre eigene Kindheit zurück: „Meine Mutter hat uns immer Geschichten | |
erzählt oder vorgelesen – aber meist in unserer lokalen Sprache Luganda.“ | |
## Buchspenden aus Europa | |
Sembatya zieht ein Buch aus dem Regal für die Zweijährigen hervor: | |
Elefanten, Löwen, Affen sind darauf – ausgestanzt zu Puzzleteilen. Manche | |
sind etwas verschmiert und fettig von klebrigen Kinderhänden. Über 1.500 | |
Bücher lagern in Sembatyas kleinem Büro, alle sorgfältig katalogisiert, mit | |
einer Seriennummer am Buchrücken. Rund hundert hat Sembatya als Spenden | |
erhalten, die meisten hat sie von ihrem Geld gekauft. Jeden Schilling der | |
Leihgebühr investiert sie in den Kauf neuer Bücher, meist lässt sie sie von | |
Freunden aus Europa einfliegen. | |
„In den Buchläden hier gibt es kaum Kinderbücher und wenn, dann sind sie | |
ebenfalls importiert“, so Sembatya. Die ugandischen Verlage veröffentlichen | |
fast nur akademische Titel, denn da sei die Nachfrage groß. Kinderbücher | |
hat noch kein Verlag als Marktnische für sich entdeckt. | |
Die Lehrerin schreibt daher in ihrer Freizeit an kurzen Kindergeschichten. | |
Ihr heimlicher Traum sei es, einen Kinderbuchverlag zu gründen, vielleicht | |
sogar in den zahlreichen ethnischen Sprachen Ugandas zu veröffentlichen, | |
damit diese nicht verloren gehen. Denn in den Schulen lesen und schreiben | |
die Kinder nur in der Amtssprache Englisch. | |
## Expansionspläne, online wie offline | |
Doch Rosey Sembatyas nächstes Ziel ist erst einmal, eine richtige Bücherei | |
aufzumachen, mit Regalen, wo die Kinder sich selbst ihre Bücher aussuchen | |
können. Auch einen Onlinekatalog plant sie, damit Eltern und Kinder gezielt | |
bestellen können, auch von außerhalb Kampalas. | |
Wieder knattert vor dem Gebäude auf dem Parkplatz das Motorrad. Sembatya | |
rafft ihre Pakete zusammen, um Moses Muribu den nächsten Stapel zu | |
übergeben. Ein Päckchen hat sie besonders dick gemacht: sechs Bücher und | |
ein Puzzle. Es ist verschnürt mit dickem Klebeband, mit Filzstift hat | |
Sembatya einen Namen und eine Telefonnummer draufgeschrieben; darunter | |
„Gulu“, der Name einer Stadt im Norden Ugandas, über 400 Kilometer | |
entfernt. „Das hier muss zum Busbahnhof, und zwar vor 12 Uhr, denn dann | |
fährt der Überlandbus ab“, sagt Sembatya dem Motorradfahrer. In Golo lebt | |
eine Familie mit drei Kindern, die alle gerne lesen. Seit wenigen Wochen | |
hat Sembatya auch Abonnenten außerhalb Kampalas. | |
Muribu nickt und gibt ihr die ausgelesenen Bücherpakete zurück, die er | |
eingesammelt hat. „Ich soll dich von der Mutter von Moses grüßen“, sagt e… | |
„Sie meint, der Junge sei viel besser in der Schule geworden und kann sich | |
besser konzentrieren, seitdem er liest.“ Rosey Sembatya lächelt über das | |
ganze Gesicht. Solche Nachrichten machen glücklich. | |
13 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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