# taz.de -- Streit um Koloniales Erbe in Berlin: Namibier pochen auf Entschädi… | |
> In New York sind Schädel von Ovaherero und Nama aus einer Berliner | |
> Sammlung aufgetaucht. Das sei typisch für den Umgang mit „Human Remains“, | |
> sagen Kritiker | |
Bild: Vertreter von Ovaherero und Nama am Donnerstag vor dem New Yorker Distrik… | |
In der privaten Sammlung des Berliner Anthropologen Felix von Luschan, die | |
nach dessen Tod 1924 dem New Yorker Museum für Naturgeschichte verkauft | |
wurde, befinden sich auch Schädel und Knochen (human remains) von Ovaherero | |
und Nama aus dem heutigen Namibia. Mit „Schock und Entsetzen“ habe man | |
davon jetzt erfahren, erklärte die Vorsitzende der Ovaherero Genocide | |
Foundation, Esther Muinjangue, am Freitag. | |
Muinjangue ist Teil einer Delegation beider Volksgruppen, die am Wochenende | |
in Berlin an einer [1][internationalen Konferenz über das koloniale Erbe | |
Preußens] teilnimmt. Die Delegation schlage vor, dass die Gebeine in New | |
York bleiben, sagte sie. Man betrachte die Anwesenheit der Vorfahren dort | |
als „gutes Zeichen für unseren Prozess gegen die Bundesrepublik“. | |
Seit März läuft vor einem New Yorker Gericht eine Klage von Vertretern der | |
Nama und Ovaherero gegen Deutschland auf Entschädigung wegen des Genozids | |
von 1904 bis 1908 sowie auf Teilhabe an den seit 2016 stattfindenden | |
Aussöhnungsgesprächen zwischen den Regierungen der Bundesrepublik und von | |
Namibia. Doch auch zum dritten Verhandlungstag an diesem Donnerstag sei | |
niemand von deutscher Seite vor Gericht erschienen, berichtete Muinjangue. | |
„Sie können sich nicht verstecken. Wir haben 100 Jahre gewartet, wir können | |
noch länger warten“, sagte sie. | |
Bis heute erkennt Deutschland die Rechtmäßigkeit dieses Zivilprozesses | |
nicht an. Auch Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte sich im | |
Juli geweigert, die Klage zuzustellen. Er ist dafür zuständig, weil die | |
Bundesregierung ihren Sitz in Berlin hat. Man habe die Klage zwar | |
„wohlwollend geprüft“, so Behrendts Sprecher am Freitag zur taz, „aber w… | |
können die Klage nicht zustellen“. | |
Gegenüber dem Spiegel hatte Behrendt dies im Sommer mit dem | |
völkerrechtlichen Grundsatz erklärt, „dass Staaten vor ausländischen | |
Gerichten nicht wegen ihrer hoheitlichen Tätigkeit, also zum Beispiel dem | |
Handeln ihrer Soldaten, verklagt werden dürfen“. Er bedauere das, so | |
Behrendt. „Umso mehr sollte die Bundesregierung jetzt den Klägern | |
entgegenkommen und eine kollektive Entschädigung anbieten.“ | |
Vertreter der Bundesregierung hatten erstmals 2015 den Völkermord der | |
Deutschen an den Ovaherero und Nama als solchen anerkannt. Zuvor war die | |
Vokabel „Genozid“ offiziell sorgsam vermieden worden, offenkundig aus Angst | |
vor daraus folgenden Reparationsforderungen. | |
Etwas später begannen offizielle Gespräche mit der Regierung Namibias, für | |
die Deutschland explizit die Bedingung stellte, dass Namibia auf | |
Reparationen verzichtet. Stattdessen möchte man sich finanziell an | |
Entwicklungshilfsprojekten beziehungsweise einem „Zukunftsfonds“ beteiligen | |
und/oder auch an der Finanzierung einer Landreform. Bis heute gehört in | |
Namibia ein Großteil des Landes weißen Farmern. | |
Über Ergebnisse aus den Gespräche zwischen beiden Ländern ist nichts | |
bekannt. Nach Medienberichten hat Namibia inzwischen doch ein Gutachten zu | |
möglichen Reparationsforderungen in Auftrag gegeben, dort soll die Rede von | |
30 Milliarden Euro sein. | |
Die Ovaherero und Nama möchten an den Regierungsgesprächen beteiligt | |
werden. Nach ihrer Ansicht vertritt die namibische Regierung nicht die | |
Interessen beider Volksgruppen. Es gebe zum Beispiel bis heute in Namibia | |
keine offiziellen Gedenkfeiern oder einen staatlichen Feiertag, der an den | |
Genozid erinnere, erklärte Kambanda Veii, ein weiteres Mitglied der | |
Delegation, der taz. Zudem verweigere die Regierung Vertretern beider | |
Volksgruppen den Zugang zu jenen menschlichen Überresten von Vorfahren, die | |
bereits aus Berlin zurück nach Namibia gebracht worden sind. | |
Seit 2011 hat die Charité die Überreste von 91 Menschen an deren | |
Heimatländer – Namibia, Australien, Argentinien und Paraguay – | |
zurückgeschickt, weitere sollen folgen, erklärte der Krankenhauskonzern im | |
Sommer. Im Medizinhistorischen Institut der Charité lagerte bis 2012 ein | |
Gutteil der human remains, die der Anthropologe Luschan unter anderem für | |
„rassekundliche“ Forschungen sammelte, vor allem für das frühere | |
Völkerkundemuseum, das heute Ethnologisches Museum heißt. In New York | |
landete nur der private Teil seiner Sammlung. | |
## Hoch problematische Sammlungen | |
Sammlungen dieser Art gelten heute als ethisch hoch problematisch, weil die | |
Knochen, wenigstens teilweise, in gewaltsamen Zusammenhängen „gesammelt“ | |
respektive gestohlen wurden – und weil sie auch aus – wie man heute sagen | |
würde – rassistischen Motiven gesammelt wurden. Zudem gelten die Knochen | |
von Vorfahren in vielen Kulturen als „heilig“ und müssen nach bestimmten | |
Riten bestattet werden. Daher sieht sich Berlin (wie auch andere Städte mit | |
anthropologischen Sammlungen) heute vielfachen Forderungen nach Rückgabe | |
der Gebeine konfrontiert. | |
2012 überließ die Charité die Knochen-Sammlung der Stiftung Preußischer | |
Kulturbesitz (SPK) als Betreiberin der Berliner Museen. Diese will nun in | |
einem zweijährigen Forschungsprojekt die genaue Herkunft eines Teils der | |
Überreste klären, wie ihr Vorsitzender Herrmann Parzinger vorige Woche | |
erklärte. Danach werde – gemeinsam mit den Herkunftsländern – über deren | |
weiteren Verbleib respektive ihre Rückgabe entschieden. „Wir wollen sie | |
nicht behalten“, stellte Parzinger klar. | |
Unklar bleibt dagegen, was mit der so genannten Virchow-Sammlung passiert. | |
Der Berliner Pathologe und Anthropologe Rudolf Virchow hatte ebenfalls im | |
19. Jahrhundert eine große Schädel-Knochen-Sammlung angelegt, die heute der | |
privaten Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und | |
Urgeschichte gehört und von Wissenschaftlern aus aller Welt für | |
Forschungszwecke – etwa medizinische – benutzt wird. | |
Dass jetzt nur auf Nachfrage herauskam, dass auch in New York Schädel von | |
Ovaherero und Nama aus Berlin gelandet sind, sei typisch für den Umgang von | |
Museen mit diesen fragwürdigen Sammlungen, erklärte der Historiker | |
Christian Kopp am Freitag. Seine Initiative Berlin Postkolonial hat die | |
bereits erwähnte Konferenz am Wochenende mitorganisiert und setzt sich seit | |
Jahren für die Rückgabe von human remains sowie anderen ethnologischen | |
Objekten ein. „Das ist wie bei der SPK und dem Humboldt-Forum: Warum haben | |
sie nichts von sich aus gesagt?“ | |
13 Oct 2017 | |
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[1] http://www.berlin-postkolonial.de/cms/index.php/9-news/kurzmeldungen/127-co… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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