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# taz.de -- Prozess um Fabrikbrand in Karatschi: Rekonstruktion einer Katastrop…
> Ein neues Video simuliert die Zustände in der abgebrannten Fabrik in
> Karatschi, die für KiK nähte. Der Prozess ist ein Präzedenzfall.
Bild: 13. September 2012. Zwei Tage zuvor starben 260 Menschen im Feuer
Berlin taz | Aus dem Erdgeschoss der Fabrik zieht Rauch durch den
Aufzugschacht nach oben. Innerhalb kurzer Zeit füllen sich die höheren
Stockwerke der Textilfirma mit Qualm. Hunderte Beschäftigte versuchen,
durch das einzige Treppenhaus nach unten zu fliehen. Sie können kaum etwas
sehen – die Beleuchtung ist ausgefallen. Das Feuer hat die Treppen schon
teilweise zerstört. Viele kommen nicht mehr raus, ersticken, verbrennen.
259 von knapp 900 ArbeiterInnen sterben an diesem 11. September 2012. Die
Firma Ali Enterprises nähte viele Textilien für den deutschen Discounter
KiK, der zum Tengelmann-Konzern gehört.
Bei der Bundeszentrale für Politische Bildung in Berlin wurde am
Dienstagabend ein Video präsentiert, das den genauen Hergang des Brandes
und seine Ursachen darstellen soll. Es stammt vom Londoner Institut
Forensic Architecture. Die dortigen Wissenschaftler, Kriminalisten und
Filmemacher wurden von Berliner RechtsanwältInnen beauftragt. Diese
vertreten Angehörige von vier Brandopfern bei deren Klage gegen KiK am
Landgericht Dortmund.
Das gut 15-minütige Video, das die taz vorab sehen konnte, zeigt
Computersimulationen von der Fabrik. Strichmännchen laufen durch das
gezeichnete Gebäude. Genau wird erklärt, wie viele Treppen, Notausgänge,
Feuerlöscher und Alarmsirenen es gab. Sie hätten die exakten Maße,
Architektur, Einrichtung und Ereignisse der Brandnacht aus Fotos, Filmen
und Zeugenaussagen rekonstruiert, erklären die Londoner
WissenschaftlerInnen.
Das Verfahren in Dortmund – die KiK-Zentrale steht im benachbarten Bönen –
ist der erste Prozess dieser Art in Deutschland. Auch die internationale
Textilindustrie beobachtet, wie es weitergeht. Denn solche Fälle kommen
meist nicht vor die Gerichte der reichen Länder. Den Beschäftigten in den
ausländischen Zulieferfabriken der transnationalen Konzerne fehlen dafür
die rechtliche Unterstützung und das Geld.
## Ein Präzedenzfall
Zusammen mit Anwalt Remo Klinger will die juristische
Bürgerrechtsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and
Human Rights) den Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld jedoch
erstmals durchfechten. Wenn die Kläger Erfolg haben, könnten ähnliche
Forderungen auch auf andere deutsche Unternehmen zukommen.
Es handelt sich um einen Präzedenzfall: Würde KiK zur Zahlung an die
Familien der Opfer verurteilt, nähme der Druck auf viele europäische
Konzerne zu, hunderte Millionen Euro für bessere Arbeitsbedingungen bei
ihren weltweiten Zulieferern auszugeben.
„KiK ist mitverantwortlich für die hohe Zahl der Todesopfer“, fasst
Carolijn Terwindt, Juristin beim ECCHR, die Vorwürfe zusammen. „Die
Zulieferfirma Ali Enterprises war eng in die Produktionskette des deutschen
Unternehmens eingebunden. Nach eigenen Angaben haben KiK-Mitarbeiter die
Fabrik in Karatschi viermal besucht.“ Dabei hätten ihnen zumindest einige
der Missstände auffallen müssen, die in dem Video gezeigt würden, sagt
Terwindt.
So waren fast alle Fenster der Fabrik vergittert. Die ArbeiterInnen konnten
auch deshalb nicht vor dem Brand fliehen. Die Simulation zeigt, dass das
Gebäude mit Keller und drei Stockwerken nur ein Treppenhaus hatte, das alle
Ebenen verband. Die pakistanischen Bauvorschriften sahen dagegen zwei
Treppenaufgänge vor. Die Alarmanlage habe nicht funktioniert. Ein
Zwischengeschoss bestand illegalerweise aus Holz, nicht aus
brandgeschütztem Beton. Fluchttüren in ein angrenzendes Gebäude waren
permanent verschlossen.
## KiK sei nur als Auftraggeber aufgetreten
In früheren Schriftsätzen an das Landgericht Dortmund stellten sich die
KiK-Anwälte dagegen auf den Standpunkt, man dürfe das deutsche Unternehmen
nicht für die etwaigen Missstände bei Ali Enterprises verantwortlich
machen. KiK sei schließlich nur als Auftraggeber aufgetreten. Die
Textilfirma verweist auf ihre Verhaltensregeln, die die Lieferanten
unterschrieben hätten. Diese sagten damit zu, für Gesundheit und Sicherheit
der Beschäftigten zu sorgen. KiK ließ seinen Zulieferer Ali Enterprises
auch selbst von einer externen Kontrollfirma überprüfen.
Am Dienstag betonte eine Vertreterin von KiK, dass der Fabrikbrand
inzwischen in Pakistan vor einem Gericht verhandelt wird, das auf
Terrorismus spezialisiert ist. Beschuldigt werden mehrere Personen, sie
hätten den Brand gelegt, um Schutzgeld zu erpressen, das der Fabrikbesitzer
nicht zahlen wollte.
„Das Ermittlungsverfahren gegen die Eigentümer wurde zwischenzeitlich vom
pakistanischen Gericht eingestellt. Die Eigentümer werden im Verfahren
nicht mehr als Beschuldigte, sondern als Zeugen und Opfer geführt“, so KiK.
Das ECCHR bezeichnet die Brandursache als unerheblich. Schließlich hätten
die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen dazu geführt, dass so viele
ArbeiterInnen gestorben seien.
## Schon verjährt?
Der Prozess in Dortmund läuft seit zweieinhalb Jahren. Er schleppt sich
hin. Beide Seiten mobilisieren Gutachter. Aktuell lässt das Gericht auf
Antrag von KiK prüfen, ob die Sache nicht eigentlich schon verjährt sei.
Immerhin hat das Gericht den Klägern im vergangenen Jahr Prozesskostenhilfe
gewährt.
Der Textilhändler hat für die Opfer und Hinterbliebenen mittlerweile pro
Kopf rund 18.000 Euro Entschädigung gezahlt – insgesamt etwa 5,5 Millionen
Euro. Die Forderung, um die es am Landgericht geht, beträgt 30.000 Euro pro
Kopf.
10 Oct 2017
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
KiK
Brand
Textilindustrie
Pakistan
Unternehmen
Menschenrechte
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