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# taz.de -- Flüchtlinge in Griechenland: Lieber tot als gefangen auf Lesbos
> Die Lage der Flüchtlinge auf den ägäischen Inseln ist dramatisch. Das
> stellt ein Bericht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen fest.
Bild: Richtige Unterkünfte sind Mangelware: Flüchtlinge beim Gebet auf Samos
Berlin taz | Die Situation für Flüchtlinge auf den griechischen Inseln
verschlechtert sich massiv. Im September erreichten über 2.200 Menschen
allein die Insel Lesbos. Das sind so viele wie vor Inkrafttreten des
sogenannten EU-Türkei-Deals.
Hilfsorganisationen berichten von katastrophalen Zuständen. Im Lager Moria
auf Lesbos sind über 5.000 Menschen, ausgelegt ist es für 1.800.
Flüchtlinge würden in Cafés die Zuckerstücke von den Tischen nehmen, weil
sie nicht genug zu essen bekommen, schildert ein Helfer. Am 8. Oktober
starb ein 4-jähriges syrisches Mädchen in Moria.
Am Dienstag legte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) einen
Bericht über die Lage der Flüchtlinge auf den Ägäis-Inseln vor. Es herrsche
ein „psychosozialer Notstand“, so MSF.
95 Prozent der seit Ende 2016 auf Samos und Lesbos angekommenen Menschen
sind Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, meist aus Syrien oder Irak.
Neuankömmlinge in den Lagern müssten teils auf Pappkartons auf dem Boden
schlafen.
## Mehr Selbstmordversuche
Fast die Hälfte der Befragten habe in der Türkei Gewalt erfahren, fast ein
Viertel in Griechenland. Zwischen 50 und 70 Prozent der Gewaltvorfälle
seien von staatlichen Autoritäten verübt worden. Selbstmordversuche,
Selbstverletzungen oder psychotische Erkrankungen hätten im Sommer um 50
Prozent gegenüber den vorigen drei Monaten zugenommen.
Auch Schwerkranke würden interniert, wenn ihr Asylantrag abgelehnt werde.
Die Menschen seien teils Opfer von Bombardements in ihren Heimatländern
geworden, sagt Jayne Grimes von MSF Samos. Die Lebensumstände auf den
Inseln trieben sie zur Verzweiflung: „Jeden Tag behandeln unsere Teams
Patienten, die ihnen sagen, dass sie lieber in ihren Heimatländern
gestorben wären, als hier gefangen zu sein“, so Grimes.
Der EU-Türkei-Deal sieht vor, dass Flüchtlinge in der Regel erst nach
Abschluss des Asylverfahrens auf das griechische Festland gebracht werden.
Die Folge war eine extreme Überfüllung der Aufnahmeeinrichtungen auf den
Inseln. In der vergangenen Woche hatte es bei der EU-Kommission geheißen,
sie habe „Hunderte Millionen mobilisiert, um menschenwürdige Bedingungen zu
schaffen“.
Die Situation dürfte sich nun weiter verschärfen. Denn bislang wurden
SyrerInnen noch am ehesten anerkannt und auf das Festland gebracht. Am 22.
September aber entschied das höchste griechische Verwaltungsgericht, dass
Abschiebungen von Syrern in die Türkei rechtmäßig seien – so dürften nun
auch viele SyrerInnen länger in den überfüllten Lagern auf den Inseln
bleiben.
## Weniger Beamte
Besonders Schutzbedürftige, etwa Kranke oder Opfer sexualisierter Gewalt,
haben Anspruch auf eine Verlagerung auf das Festland. Die griechischen
Behörden hätten jedoch die Zahl der Beamten, die ermitteln sollen, wer zu
dieser Gruppe gehört, stark reduziert, obwohl immer mehr Flüchtlinge
kommen, so MSF.
Die EU-Staaten und die griechischen Behörden seien für das Leid auf den
Inseln verantwortlich, sagte Louise Roland-Gosselin von MSF Griechenland.
„Das komplette Versagen aller Ankunftssysteme auf den Inseln lassen keine
andere Maßnahme zu, als die Menschen auf das Festland zu bringen.“ Dies sei
ein „humanitärer Imperativ.“
10 Oct 2017
## AUTOREN
Christian Jakob
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Griechenland
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