| # taz.de -- Die EU und die „Flüchtlingskrise“: „Eine neue Form von Kolon… | |
| > Von der Afrika-Politik Europas halten die drei nach Berlin geflüchteten | |
| > Afrikaner Mouhamed Tanko, Oussman Dawarda und Adam Mohamed gar nichts. | |
| Bild: Oktober 2017: Flüchtlinge warten in Sabratha (Libyen) auf den Transport … | |
| taz: Herr Tanko, Sie kommen aus Niger und leben seit vier Jahren in Berlin. | |
| Vor Kurzem hat die EU mit der Regierung Ihres Landes sowie Tschad und | |
| Libyen vereinbart, dass diese Geld und Ausrüstung bekommen, um MigrantInnen | |
| von Europa fernzuhalten. Asylverfahren sollen künftig in „Schutzzonen“ in | |
| Niger und Tschad stattfinden. Was sagen Sie dazu? | |
| Mouhamed Tanko: Was in Paris vereinbart wurde, ist für mich und andere | |
| junge Afrikaner hier in Europa ein Affront. Ich denke, was die Europäer | |
| hier vorhaben, ist eine neue Form von Kolonisation. Wenn die europäischen | |
| Regierungen wirklich etwas gegen Migration tun wollten, könnten sie das | |
| einfach tun, das ist nicht das Problem. | |
| Sondern? | |
| Das Problem ist das System, das uns Europa aufgezwungen hat. Die | |
| afrikanischen Länder sind nicht arm. Sie sind reich an Ressourcen. Aber | |
| unsere Regierungen haben nichts zu sagen. Regiert werden wir von Europa und | |
| den USA. Deren Regierungen bestimmen, was unsere Regierungen machen. | |
| Wenn unsere Regierungen sagen, behaltet eure Flüchtlinge, macht Ihre | |
| Regierung das? | |
| Ich habe zehn Jahre in Agadez studiert (Stadt in Niger, d. Red.), wo Angela | |
| Merkel und Emmanuel Macron nun eine „Schutzzone“ für asylsuchende Migranten | |
| einrichten wollen. Ich denke, es ist unmöglich, dort so etwas einzurichten. | |
| Warum? | |
| Die Bürger von Niger, Tschad, Guinea, Kamerun oder anderswo würden ihren | |
| Regierungen niemals erlauben, ihre eigenen Bürger in solche Lager | |
| einzusperren. Wenn der Präsident von Niger die Grenze nach Libyen schließen | |
| würde, wäre er nach wenigen Tagen entmachtet. 90 Prozent der Nigrer hängen | |
| von Libyen, von Algerien ab, sie treiben Handel oder arbeiten dort. Wenn | |
| die Grenze geschlossen würde, würde das zusammenbrechen. Das gäbe eine | |
| Rebellion. | |
| Aber auch in Libyen gibt es Gefängnisse für Migranten, Tausende werden | |
| eingesperrt. | |
| Ja, das gibt es dort. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Es gibt etwas | |
| hinter den Kameras. Die Europäer sind in Nordafrika nicht wegen der | |
| Migranten. Ich möchte, dass die Führer Europas ehrlich sind und sagen: Wir | |
| sind in Niger und Tschad, weil wir eure Rohstoffe kontrollieren wollen. | |
| Denn die Sahara ist sehr reich. In Niger zum Beispiel haben wir Uran, ohne | |
| uns wären die Franzosen keine Nuklearmacht! In Mali sind die Franzosen, | |
| weil es dort Gas gibt. Wegen all der Rohstoffe sind die Europäer schon | |
| längst in der Sahara präsent. Im Norden von Niger arbeiten sie mit den | |
| Drogendealern zusammen, bewaffnen und schützen verschiedene | |
| Rebellengruppen. Vor einigen Jahren erklärte Nigers Expräsident Tandja | |
| Mamadou, er wolle keine Europäer mehr im Norden haben. Das gefiel den | |
| Franzosen nicht, sie haben einen Putsch inszeniert und Mamadou 2010 | |
| abgesetzt. | |
| Sie glauben den Europäern also nicht, wenn sie sagen, sie wollen die | |
| Schmugglerbanden und Schlepper bekämpfen? | |
| Nein, denn das machen sie nicht. Sie machen gar nichts gegen diese Leute. | |
| Ich habe viele Freunde in Agadez, die sagen, da passiert gar nichts, diese | |
| Banden können ungehindert tun, was sie wollen. Dabei gibt es dort ja schon | |
| französische Soldaten: Sie helfen sogar Migranten die Grenze nach Libyen zu | |
| überqueren! Heute noch! | |
| Die Franzosen? | |
| Ja, sie sind an der Grenze zwischen Niger und Libyen. | |
| Also es geht nicht um Migration, sondern um Ressourcenkontrolle, sagen Sie. | |
| Ja. Angela Merkel nennt Afrikaner „Wirtschaftsmigranten“. Ja, wir sind | |
| Migranten. Aber wir sind hier wegen der Probleme, die Europa in Afrika | |
| verursacht. Deutschland macht viele Geschäfte in Afrika, verkauft überall | |
| Waffen, sogar illegal. Darüber redet niemand. Unser Präsident hat das auch | |
| schon kritisiert, aber er hat keine Macht, das zu stoppen. Die Geschäfte | |
| laufen schön weiter, und das Gerede über Migration dient als Propaganda für | |
| die eigene Bevölkerung. Wenn die Europäer wirklich etwas gegen Migration | |
| unternehmen wollten, wäre das sehr einfach: Gebt uns Frieden! Gebt uns | |
| echte Kontrolle über unsere eigene Ökonomie! Verkauft nicht illegal Waffen | |
| an Rebellen und Banditen! Mehr brauchen wir nicht. | |
| Sie meinen, dann würde die Massenmigration nach Europa aufhören? | |
| Ja, klar. Wenn wir das haben, wird kein Afrikaner mehr nach Europa kommen. | |
| Wir haben ja alles in Afrika, hier haben wir nichts und werden auch noch | |
| schief angesehen. | |
| Oussman Dawarda, Sie kommen aus Tschad, einem der ärmsten Länder der Welt | |
| mit einer Diktatur und vielen Menschenrechtsverletzungen. Sollte die EU mit | |
| Ihrer Regierung zusammenarbeiten? | |
| Oussman Dawarda: Tschad ist ein Land mit vielen Problemen. Unser Präsident | |
| regiert seit 27 Jahren. Es gibt sehr viele Ethnien in Tschad, aber nur eine | |
| regiert seit dieser langen Zeit, die anderen werden diskriminiert. Die | |
| BürgerInnen von Tschad kennen nicht einmal die Bedeutung des Wortes | |
| Menschenrechte. Es gibt nur Regierungsmedien, keine ausländischen oder | |
| unabhängigen. Aber der Präsident, ein Diktator, genießt den Schutz | |
| Frankreichs. Sie lassen ihn an der Macht, weil er ihre Interessen vertritt. | |
| Welche wären das? | |
| Die Kontrolle über die Ressourcen, also Öl und Baumwolle. Seit der | |
| Unabhängigkeit 1960 gab es sechs Präsidenten – und alle, die etwas gegen | |
| den französischen Einfluss unternehmen wollten, wurden von den Franzosen | |
| gestürzt. Als letztes haben sie 1990 haben Idriss Déby an die Macht | |
| gebracht, der ihnen gibt, was sie wollen. Nur die Probleme unseres Landes | |
| löst er nicht, deswegen verlassen viele Menschen das Land oder schließen | |
| sich Rebellengruppen an, zum Beispiel im Grenzgebiet zu Sudan und Libyen. | |
| Darum kann ich mir gar nicht vorstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger | |
| von Tschad es zulassen werden, wenn in ihrem Land Asyllager für Europa | |
| errichtet werden. Das liegt nicht in ihrem Interesse, nur in dem der | |
| Regierung und der Europäer. | |
| Das ist ja auch die Kritik vieler Europäer am Gipfel von Paris. Sie sagen, | |
| Merkel und Macron wollen Regimes, die selbst eine Ursache für Migration | |
| sind, dafür bezahlen, Migranten abzuhalten. | |
| Adam Mohamed: Die Grenzen zwischen Niger, Tschad und Libyen zu schließen, | |
| das ist eine ganz schreckliche Idee. Das widerspricht jeder Idee von | |
| Menschenrechten. Viele Menschen sterben dort, an Krankheiten, an Hunger. | |
| Die Idee von Menschenrechten ist, Grenzen einzureißen. Warum sind wir hier? | |
| Weil Europa Diktaturen unterstützt – und nicht Menschenrechte. Das ist das | |
| Problem. Jetzt wollen sie den Diktatoren noch mehr Geld geben, damit sie | |
| uns einsperren. Warum geben sie das Geld nicht der Bevölkerung? Die | |
| Diktatoren sind schon reich. Auch unsere Länder sind reich, wir haben dort | |
| eigentlich alles! Aber wo ist das Öl, wo ist die Baumwolle? Hier in Europa! | |
| Europa ist mitverantwortlich für unsere Probleme. Trotzdem werden die | |
| Migranten hier nicht akzeptiert. Viele junge Afrikaner sterben im | |
| Mittelmeer, und wer nicht stirbt, muss hier auf der Straße leben, er | |
| bekommt keine Chance. | |
| Mouhamed Tanko: Sie wollten uns nicht haben. Nicht weil wir Flüchtlinge | |
| sind, sondern weil wir schwarz sind, Afrikaner. Andere Flüchtlinge, die | |
| Syrer etwa, werden von euch akzeptiert. Afrikaner aber, die hier teils | |
| schon über 20 Jahre leben, werden nicht akzeptiert. Deutschland, ein Land | |
| der Menschenrechte? Ein Land, in dem Menschen über Jahre kein Recht haben, | |
| zu arbeiten oder irgenwas zu machen? Heute ist klar, wir Afrikaner haben | |
| hier keine Zukunft, keine Möglichkeiten – weil die europäischen Führer uns | |
| nicht mögen. | |
| Oussman, wenn jemand aus Tschad zu Ihnen am Telefon sagt, er will auch nach | |
| Europa – was sagen Sie ihm? | |
| Oussman Dawarda: Ich rate niemandem dazu. Aber die Leute sind gezwungen, | |
| das Land zu verlassen. Sie gehen nicht wegen Hunger, sondern wegen der | |
| Diskriminierungen durch die Diktatur. Lange war es so, dass sie nach Libyen | |
| gegangen sind, sie wollten nicht nach Europa. Dort lebten 20 Millionen | |
| Migranten aus ganz Afrika friedlich zusammen. Dann haben die Europäer | |
| Gaddafi getötet und Libyen zerstört. Nur darum sind wir hier. | |
| 11 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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