| # taz.de -- Neues Buch von Michel Houellebecq: Flirt mit dem Willen | |
| > Kontemplatives Kunstverständnis: In Michel Houellebecqs Eloge auf den | |
| > Philosophen Arthur Schopenhauer lauscht ein Pessimist dem anderen. | |
| Bild: Für ihn gilt Schopenhauers Satz: „Die eigentlich großen Geister horst… | |
| Mit Schopenhauer ist das so eine Sache. In Philosophieseminaren an der Uni | |
| konnte man immer wieder auf Teilnehmer stoßen, kauzige, verschlossene | |
| Typen, die, ganz gleich, was gerade Thema war, plötzlich mit einer | |
| Wortmeldung um die Ecke kamen. Sinngemäß schlugen sie meistens vor, als | |
| Lösung für alles quasi, sich doch am besten an Schopenhauer zu halten. Um | |
| dann, wenn ihr Begehr auf taube Ohren stieß, zu verstummen. | |
| Anscheinend übt Schopenhauer eine nicht ganz ungefährliche Faszination | |
| [1][auf seine Leser aus]. Auch der französische Schriftsteller Michel | |
| Houellebecq bekennt sich in seinem Büchlein „In Schopenhauers Gegenwart“ zu | |
| Größe und Bedeutung des Philosophen. In aller Bescheidenheit reklamiert | |
| Houellebecq darin, dass seit 1860, dem Todesjahr Schopenhauers, auf | |
| intellektueller Ebene „nichts mehr passiert ist“. | |
| Houellebecq lobt an Schopenhauer etwa ein „geschlossenes philosophisches | |
| System“, das sich bei Thomas Mann oder Sigmund Freud nicht finde. Nun gut, | |
| könnte man einwenden, die Herren waren eben keine Philosophen, da sucht man | |
| im Zweifel vergeblich nach derlei Dingen. Und überhaupt habt sich das mit | |
| den Systemdenkern nach Schopenhauer in der Philosophie mehr oder minder | |
| erledigt. Worin das System bei Schopenhauer besteht, dass die Begriffe | |
| „Vorstellung“ und „Wille“ dafür zentral sind, kann man ohne Vorbereitu… | |
| bei Houellebecq allerdings nicht recht nachvollziehen. Doch das nur am | |
| Rande. | |
| Houellebecq tritt insofern wirklich bescheiden auf, als er die Hälfte der | |
| knapp 70 Seiten Text seinem Objekt der Bewunderung im Original einräumt. | |
| Die Auswahl der Schopenhauer-Zitate ist mehr oder minder repräsentativ für | |
| dessen Denken, den Kontext muss man sich überall ein bisschen dazu denken. | |
| Es sind eher Schnappschüsse, mit denen Houellebecq aufwartet. Mit mehr oder | |
| minder erhellenden Einlassungen des Schriftstellers umrahmt. | |
| Toll findet er an Schopenhauer besonders, dass dieser sich als „Philosoph | |
| des Willens“ betätigt hat. Dass Schopenhauer damit Neuland betreten habe, | |
| das niemand vor ihm und auch nach ihm kaum jemand betreten habe, kann man | |
| allerdings nicht einfach so stehenlassen. In einem Sinn stimmt es wohl: So, | |
| wie Schopenhauer den Begriff „Willen“ deutet, haben das tatsächlich wenige | |
| sonst getan. Andererseits führt Houellebecq durchaus Spinoza an, dessen | |
| Begriff des Conatus, des Selbsterhaltungstriebs, vereinfacht gesprochen, | |
| ein direktes Vorbild für Schopenhauers Willensbegriff war. Womit | |
| Houellebecq sich im Grunde selbst widerspricht. | |
| ## Gar nichts tun | |
| Allemal interessant ist das kontemplative Kunstverständnis, das Houellebecq | |
| bei Schopenhauer entdeckt. Demnach ist ein Künstler weniger jemand, der | |
| Werke produziert, als jemand, der die Welt in einer bestimmten Weise | |
| anschaut. „Der Künstler ist immer einer, der ebenso gut gar nichts tun | |
| könnte,“ so Houellebecq, „der allein mit der Versenkung in die Welt und | |
| einer damit verbundenen vagen Träumerei zufrieden wäre“. Umgekehrt kann die | |
| Kunstproduktion der Kunst selbst sogar abträglich sein. Als Gedanke allemal | |
| reizvoll, wenn auch nicht gänzlich im Sinne des Kunstmarkts. | |
| Über ein weihevolles Lob kommt Houellebecq ansonsten kaum hinaus. In Sätzen | |
| wie: „Er stellte die Wahrheit systematisch über die Originalität, was für | |
| jemanden von seinem Niveau alles andere als einfach gewesen sein muss“, | |
| offenbart sich bei Houellebecq zudem ein merkwürdiges (Miss-)Verständnis | |
| der Philosophie als solcher. Dass hier ein erklärter Pessimist | |
| hingebungsvoll dem anderen lauscht, geht aber alles in allem in Ordnung. | |
| 15 Oct 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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